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Wirtschaftspolitik: Von Klimazielen und Vorgaben durch die Hintertür

Wirtschaftspolitik: Von Klimazielen und Vorgaben durch die Hintertür

Wirtschaftspolitik: Von Klimazielen und Vorgaben durch die Hintertür

Das Bild zeigt den Aufbau eines Windrads bei Issum, Nordrhein-Westfalen. Deutschlands Klimapolitik gilt als teuer und ineffektiv.
Das Bild zeigt den Aufbau eines Windrads bei Issum, Nordrhein-Westfalen. Deutschlands Klimapolitik gilt als teuer und ineffektiv.
Aufbau eines Windrads bei Issum, Nordrhein-Westfalen: Deutschlands Klimapolitik gilt als teuer und ineffektiv. Foto: IMAGO / Jochen Tack
Wirtschaftspolitik
 

Von Klimazielen und Vorgaben durch die Hintertür

Die Aufweichung der Schuldenbremse ermöglicht auch mehr Steuergeld für Klimapolitik. Doch diese könnte dazu beitragen, wichtige Infrastrukturprojekte auszubremsen.
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Mit der rot-schwarz-grünen Mehrheit des alten Bundestags wurde im März die Schuldenbremse im Grundgesetz aufgeweicht (Artikel 109/143h). Neben unbegrenzten Verteidigungskrediten und einem Kreditspielraum der Länder von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wurde ein schuldenfinanziertes Sondervermögen von 500 Milliarden Euro geschaffen, das „für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045“ verwendet werden darf.

Damit stellt sich die Frage, ob das ergänzte Klimaziel den politisch beabsichtigten „Infrastruktur-Turbo“ abwürgen könnte. Hinzu kommt die Vorgabe, daß „Zuführungen aus dem Sondervermögen in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) von 100 Milliarden Euro vorgenommen“ werden – sprich dessen Regularien unterliegen. Aber was gilt als Investition? Staatsrechtlich werden darunter alle Staatsausgaben gerechnet, die den politisch-demokratisch näher zu bestimmenden Zielen von Wachstum und Transformation dienen. Demnach steht es dem Gesetzgeber hier frei, durch einfachgesetzliche Regelung den Investitionsbegriff des Sondervermögens speziell auszuführen.

Es liegt nahe, daß möglichst weite Spielräume geschaffen werden sollen. Alles andere käme vermutlich einer weitgehenden Verwendungssperre für die 100 KTF-Milliarden gleich. In Anlehnung an die Abgrenzung des Paragraphen 13 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) könnten zukünftig auch die Förderung privater Investitionen sowie entsprechende Darlehen gemeint sein. Deshalb könnten aus den KTF-Mitteln beispielsweise nicht nur Windkraftanlagen oder gewerbliche E-Auto-Ladestationen gefördert werden, sondern gemäß der Zweckbindung von Paragraph 2 KTF-Gesetz auch Anschaffungsprämien für private E-Autos gezahlt werden, weil diese zur Senkung von CO₂-Emissionen im Straßenverkehr beitragen würden.

Einzelne Bestimmungen können nicht isoliert betrachtet werden

Die erste „Umweltprämie“, die zwischen 2016 und 2023 die Anschaffung von 2,1 Millionen E- und Plug-in-Hybrid-Autos subventionierte, verschlang laut Wirtschaftsministerium etwa zehn Milliarden Euro. Doch damit nicht genug. Seit 1994 ist in Artikel 20a GG der Umwelt- und Klimaschutz durch den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung“ bereits als Staatsziel etabliert. In seinem Klimabeschluß von 2021 ging das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch einen Schritt weiter und leitete hieraus die Herstellung von Klimaneutralität ab (1 BvR 2656/18).

Doch der Begriff der Klimaneutralität ist nicht eindeutig bestimmt. Auch hier müßte eine gesetzliche Auslegung für Klarheit sorgen, damit die Klimaschutzziele nicht der Beliebigkeit geöffnet werden. Beispielsweise sollen gemäß Paragraph 3 des Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) die Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2045 so weit gemindert werden, daß „Netto-Treibhausgasneutralität“ erreicht wird. Nach dem Jahr 2050 sollen sogar negative THGE erreicht werden. Somit wird aus „Klimaneutralität“ im KSG „Netto-Treibhausgasneutralität“ – ein deutlich anspruchsvolleres Ziel als CO₂-Neutralität. Denn auch Methan (CH₄), Lachgas (N₂O) oder Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) zählen zu den THGE.

Zwar geht es in Artikel 143h GG nur um das Sondervermögen Infrastruktur. Auch ist die Formulierung finanzverfassungsrechtlich als Kreditermächtigung mit enger Zweckbegrenzung gefaßt. Doch mit Hinweis auf die Zeitschiene bis 2045 leistet der 143h eine weitere Konkretisierung des Staatsziels Klimaschutz. Des weiteren können – so das BVerfG schon 1951 (2 BvG 1/51) – einzelne Bestimmungen nicht isoliert betrachtet, sondern müssen im Kontext der gesamten Verfassung bewertet werden.

NGOs könnten mit Klima-Klagen Bauvorhaben verzögern

Vor diesem Hintergrund kann die 143h-Maßgabe nicht losgelöst gesehen werden, sondern ist auf das Staatsziel „Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen“ des Artikels 20a GG zu beziehen. Von daher kann dieser Grundsatz als Anknüpfungspunkt für die zeitliche Konkretisierung der Klimaneutralität bis 2045 gesehen werden. So hat das BVerfG in seinem Klima­beschluß erstmalig – allerdings nicht ohne Kritik – die Rechte zukünftiger Generationen auf der Grundlage des 20a GG in Verbindung mit den Grundrechten gerechtfertigt und diese Norm damit verfassungsdogmatisch aufgewertet.

Praktische Relevanz erfährt die Vorgabe dadurch, daß der 2020 geschaffene Expertenrat für Klimafragen (ERK) im Mai in seinem „Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2024 und zu den Projektionsdaten 2025“ die bislang geltenden gesetzlichen Klimavorgaben als unzureichend bewertet hat. Die praktische Umsetzung thematisierte das Bundesverwaltungsgericht (BVG 9 A 7.21) in seiner Rechtsprechung aus dem Mai 2022, indem „die Planfeststellungsbehörde“ bei ihrer Abwägungsentscheidung die „Aspekte des globalen Klimaschutzes und der Klimaverträglichkeit berücksichtigen“ muß.

Welche konkreten Folgen könnte das für den „Infrastruktur-Turbo“ haben? Zwar würde kein Straßenbauvorhaben einzig am Gebot der Klimaneutralität 2045 scheitern, da die Verhältnismäßigkeit in einer Abwägung von Kosten und Nutzen zu prüfen ist. Jedoch dürfte auf die Antragsteller und -prüfer durch die zeitliche Dimension der Klimaneutralität als neue verfassungsrechtliche Zielvorgabe ein zusätzlicher Ermittlungs-, Begründungs- und Prüfaufwand hinzukommen. Dies könnte nicht nur Autobahnprojekte betreffen, bei deren Bewertung der Grad der E-Mobilität und die Nutzungsdichte 2045 einen prognostischen Spielraum erkennen lassen. Nicht zuletzt werden dadurch NGOs weitere Möglichkeiten zu Klagen eröffnet, deren gerichtliche Klärung zu Zeitverzug und kostenintensiven Nachbesserungen führen können. Droht so ein „Infrastruktur-Turbo“ mit Ladehemmungen?

Der Text handelt von der Entwicklung der deutschen Klimapolitik.


Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Aus der JF-Ausgabe 26/25. 

Aufbau eines Windrads bei Issum, Nordrhein-Westfalen: Deutschlands Klimapolitik gilt als teuer und ineffektiv. Foto: IMAGO / Jochen Tack
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