Das Jahr 1817 begann mit einem Schock für deutsche Reeder. Obwohl die Royal Navy erst ein Jahr zuvor die Piratenhochburg Algier durch ein Bombardement in Schutt und Asche gelegt hatte, kaperten nordafrikanische Korsaren ungestraft drei deutsche Segler in der Nordsee. Der dreiste Piratenakt blieb ohne strafrechtliche Folgen. Weder die Hansestädte noch andere deutsche Staaten besaßen hochseetaugliche Kriegsschiffe. Außer ein paar Kanonenschaluppen und einem bewaffneten Schoner hatte Preußen keine Kriegsmarine. Einzig Österreich besaß Kriegsschiffe und glänzte 1829 mit einer erfolgreichen Strafexpedition gegen marokkanische Korsaren. Zum Glück für den deutschen Seehandel setzte die Eroberung Algiers durch die Franzosen 1830 weiteren Tributzahlungen an die Piraten Nordafrikas ein Ende.
Doch nicht nur Seeräuber setzten dem deutschen Seehandel zu. 1841 kam es wegen der Erhöhung des Sundzolls durch Dänemark zu diplomatischen Spannungen zwischen Preußen und Dänemark. Preußen wollte die Erhöhung nicht zahlen, mußte allerdings nach zähen Verhandlungen klein beigeben, weil ihm ein politisches Druckmittel in Form einer Flotte fehlte. Die Folge war ein Schrei der Entrüstung in der deutschen Öffentlichkeit. Der Dichter Georg Herwegh rief in seinem „Lied von der deutschen Flotte“ 1843 zur Gründung einer nationalen Seestreitkraft auf, was neben dem Verlangen der Reichseinheit in den folgenden Jahren zu einer der Hauptforderungen der deutschen Nationalbewegung wurde.
Nur fünf Jahre später wurde der Wunsch Herweghs Realität. Die Revolution von 1848 schuf die politische Basis für den Flottenbau. Der am 24. März beginnende Aufstand der Schleswig-Holsteiner gegen Dänemark lieferte den nötigen Anlaß. Nachdem die in militärische Bedrängnis geratenen Schleswig-Holsteiner den Deutschen Bund um Militärhilfe gebeten hatten, erklärte dieser Dänemark den Krieg. Mit ungeahnter Schnelligkeit setzten sich die Bundestruppen unter preußischer Führung nach Schleswig-Holstein in Marsch. Am 23. April schlugen die Preußen die Dänen bei Schleswig und drängten sie nach weiteren Gefechten nach Norden zurück. Aber der Erfolg war nicht vollständig.
Schutz des deutschen Handels, ohne Großbritannien zu provozieren
Während sich das dänische Heer zurückzog, errichtete die dänische Flotte eine äußerst wirksame Blockade der deutschen Nord- und Ostseehäfen. Der deutsche Seehandel brach ein. Am 18. Mai 1848 wurde in Frankfurt unter Vorsitz des Bremer Handelssenators Arnold Duckwitz ein „Fünfziger-ausschuß“ eingerichtet, der den Bau einer Reichsmarine vorbereitete. Am 14. Juni beschloß daher die deutsche Nationalversammlung einen Jahresetat von sechs Millionen Talern zur Gründung einer deutschen Reichsflotte.
Der Gründungsakt elektrisierte sofort das deutsche Volk. Flottenbauvereine gründeten sich und sammelten Geldspenden. Hamburger Reeder stifteten Dampfer für die Flotte. Seemänner meldeten sich als Kriegsfreiwillige. Eine technische Marinekommission wurde gebildet und Prinz Adalbert von Preußen zu ihrem Vorsitzenden ernannt. Er verfaßte im Mai eine Denkschrift, in der er erörterte, welche Flotte für Deutschland am geeignetsten wäre. Dabei kam er nach Erwägung mehrerer Möglichkeiten zu dem Schluß, daß zur offensiven Verteidigung und zum notwendigsten Schutz des deutschen Handels eine Kriegsmarine mittlerer Größe das Beste wäre, da sie Großbritannien nicht provozierte. Die Marinekommission beschloß daraufhin den Bau von 15 Dampffregatten und 30 Raddampfern. Die Bauzeit sollte zehn Jahre dauern, das Budget sechs Millionen Taler pro Jahr betragen.
Zum Oberbefehlshaber der geplanten Flotte und Seezeugmeister wurde Kapitän Karl Rudolf Bromme ernannt, den alle nur „Brommy“ nannten. Brommy hatte während des griechischen Freiheitskampfes gegen die Osmanen mit Auszeichnung in der griechischen Flotte als Offizier gedient. Darüber hinaus hatte er erst kürzlich eine Abhandlung über das Marinewesen verfaßt, wodurch die Marinekommission auf ihn aufmerksam geworden war. Gleich zu Beginn stand der altgediente Veteran vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Er sollte aus unerfahrenen Mannschaften und zumeist unbrauchbaren Schiffen eine Flotte schmieden, die in der Lage war, den deutschen Seehandel zu schützen. Zum Glück wurde der Krieg mit Dänemark durch einen Waffenstillstand unterbrochen, was ihm die Zeit für den Erwerb neuer Schiffe gab.
Noch siegte nur die Küstenverteidigung
Etwa zeitgleich zum Aufbau der Reichsflotte vollzogen sich die Gründung der Schleswig-Holsteinischen Flottille, der Hamburger Flottille und die Gründung der preußischen Marine. Alle Flotten behalfen sich in der Anfangsphase mit armierten vor Raddampfern, Ruder- und Kanonenschaluppen sowie Schonern aus der Handelsschiffahrt. Nach Fertigstellung der Reichsverfassung, wurden sie gemäß Paragraph 19 der obersten Reichsmarinebehörde, der Seezeugmeisterei, formal unterstellt. Der Paragraph definierte die Marine als Reichssache und untersagte den Einzelstaaten den Unterhalt eigener Flotten.
De facto übergab aber nur Hamburg am 1. April 1849 seine Schiffe der Seezeugmeisterei. Die Herzogtümer Schleswig und Holstein akzeptierten zwar die formelle Oberhoheit der Reichsmarine, behielten aber ihre Schiffe. Einzig Preußen spielte nicht mit. Es hatte die Reichsverfassung nie anerkannt und forcierte mittlerweile die Gegenrevolution.
Nachdem die diplomatische Lösung des Konflikts Anfang 1849 vorläufig gescheitert war, flammte der Krieg mit Dänemark am 3. April 1849 wieder auf. Nur zwei Tage später pulverisierten schleswig-holsteinische Küstenbatterien in der Bucht von Eckernförde nach mehrstündigem Feuergefecht ein dänisches Flottengeschwader. Der Sieg von Eckernförde verzückte die deutsche Öffentlichkeit. Der Schriftsteller Gustav Freytag schrieb: „Es war eine rechte Familienfreude, die von Baden bis Königsberg in alle Herzen drang, als die Anschläge an allen Straßenecken den ersten Seesieg der Deutschen verkündeten …“
Aber Eckernförde war kein „echter“ Seesieg, sondern das Resultat erfolgreicher Küstenverteidigung. Der Lorbeerkranz gebührte dem schleswig-holsteinischen Heer, nicht der deutschen Reichsflotte. Diese war in der Zwischenzeit auf zwölf Schiffe angewachsen und wartete noch im Hafen von Bremerhaven auf ihren ersten Einsatz. Die Zusammenstellung des Geschwaders war nicht ohne Schwierigkeiten abgelaufen, was auch an der Unterfinanzierung lag. Von den ursprünglich bewilligten sechs Millionen Talern war nur die Hälfte geflossen, weil sich nicht alle Mitgliedsstaaten an den Kosten beteiligt hatten.
Nach gescheiterten Revolution war es eine Flotte ohne Reich
Nun fehlte der deutschen Reichsflotte nur noch die schwarzrotgoldene Kriegsflagge mit dem Doppeladler in der Gösch. Wie eine Anekdote vermerkt, wurde das Banner von einigen Jungfrauen aus Brake mit folgenden Worten gestiftet: „Das sei der erste deutsche Aar, der die Raben der Zwietracht und der Tyrannei zuerst von den Pforten des deutschen Vaterlandes mit gewaltigem Flügelschlag zurückscheucht (…). Gott schütze die deutschen Waffen. Ehre, Sieg und Ruhm der Barbarossa.“
Brommy nahm sich dies zu Herzen. Am 4. Juli lief die „Barbarossa“ zusammen mit zwei weiteren Schiffen der Reichsflotte aus. Ein dänisches Blockade-Geschwader kreuzte vor der Wesermündung, war aber zuerst nicht auffindbar. Erst vor Helgoland traf die deutsche Flottille auf die „Valkyrien“, einen dänischen Kriegsdampfer. Brommy nahm ihn sofort unter Feuer. Der Kapitän der „Valkyrien“ nahm den ungleichen Kampf nicht auf. Noch während der Kanonade flüchtete die „Valkyrien“ in den sicheren Hafen von Helgoland, das damals noch zu Großbritannien gehörte. Vergeblich setzte der deutsche Flottenchef den Dänen nach. Ein Signalschuß der britischen Garnison zwang ihn zum Abbruch des Gefechts.
Der Vorfall löste eine politische Krise aus. Die britische Regierung ließ verlauten, alle unter der Reichskriegsflagge fahrenden Schiffe in Zukunft wie Piraten zu behandeln, da sie die Marineflagge des Reiches nicht anerkannte. Der Reichsverweser Erzherzog Johann von Österreich wertete dies als politischen Affront und drohte England mit Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Die britische Regierung zeigte sich unbeeindruckt. Zum Zeitpunkt des Feuerwechsels vor Helgoland war die deutsche Revolution bereits gescheitert und das Deutsche Reich Geschichte. Die Reichsflotte war zu einer Flotte ohne Reich geworden und damit obsolet.
Reichsflotte mußte sich nicht beweisen
In den folgenden Jahren wurde der einstige Stolz der deutschen Nation vollends zum Politikum. Das kleine Geschwader war von geringem militärischen Wert, seine Unterhaltung wurde zu kostspielig. Zudem konnten sich Preußen und Österreich nicht über die Form der Weiterverwendung der Flotte einigen. Die Bundesversammlung faßte daher am 2. April 1852 den Beschluß, die Reichsflotte aufzulösen und beauftragte den Bremer Kaufmann Laurenz Hannibal Fischer mit der Versteigerung der Reichsflotte. Die Abwicklung dauerte bis Ende Oktober 1853.
Trotz ihres Scheiterns gehört die Gründung der ersten deutschen Kriegsmarine neben der Ausarbeitung der Reichsverfassung zu den herausragenden Leistungen der Frankfurter Paulskirche. Angesichts der politischen Wirren war der Aufbau der Reichsflotte sowie ihre Organisation eine großartige Leistung, auch wenn sich die Reichsflotte nie ernsthaft im Gefecht bewähren mußte.
Der Kraftakt ihrer Gründung war eine echte Zeitenwende. Die deutsche Politik hatte die See für sich entdeckt. Dennoch ist es erstaunlich, wie einseitig die Deutsche Marine ihr Jubiläum mit der Gründung der Reichsflotte verbindet. Schließlich war es die ebenfalls im Revolutionsjahr gegründete Preußische Marine, welche nach der Fehlgeburt der Reichsflotte zur Keimzelle deutscher Seemacht wurde. Und noch etwas anderes stört am Umgang mit dem historischen Jubiläum: die Ausblendung der Tatsache, daß die Erschaffung der Reichsflotte in erster Linie ein nationales Symbol der deutschen Einheitsbewegung war und weniger dem Wunsch des Volkes nach Demokratie entsprach.