Am Vormittag des 18. August 1976 parkte der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz seinen Wartburg Camping 311 vor der Michaeliskirche in der Kreisstadt Zeitz und stellte zwei Plakate auf das Dach des Wagens, auf denen geschrieben stand: „Funkspruch an alle … Funkspruch an alle … Die Kirche in der D.D.R. klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen.“
Anschließend übergoß er seinen Talar mit zwanzig Litern Benzin und zündete sich an. Dann rannte Brüsewitz laut schreiend in Richtung der Superintendentur in der Rahnestraße, wurde aber schon nach wenigen Metern von zwei Passanten gestoppt, denen es gelang, die mittlerweile schon drei bis vier Meter hohen Flammen mit einer Decke zu ersticken.
Die sofort zum Ort des Geschehens geeilte Volkspolizei entfernte zuerst die Plakate und veranlaßte hernach den Transport des Verletzten, dessen Körperoberfläche zu 85 Prozent verbrannt war, auf die Intensivstation des Bezirkskrankenhauses Halle-Dölau. Dort starb der Geistliche aus Droßdorf-Rippicha im Süden des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt am 22. August 1976.
Zahlreiche Augenzeugen
Da es um die 300 Augenzeugen der spektakulären Tat gegeben hatte, erlangten die Medien der Bundesrepublik Kenntnis von dem Vorfall, die in großer Aufmachung darüber berichteten. Aufgrund dessen mußte die DDR-Führung ebenfalls an die Öffentlichkeit gehen.
Dies tat sie am 31. August mit einem extrem verleumderischen Artikel in der Parteizeitung Neues Deutschland aus der Feder von „A.Z.“ (möglicherweise war das Erich Honecker selbst), in dem es hieß, Brüsewitz habe „nicht alle fünf Sinne beisammen gehabt“. Dem folgten Anspielungen auf pädophile Neigungen und Kontakte zum Bundesnachrichtendienst.
Tatsächlich geht aus den Abschiedsbriefen des aus dem Memelland stammenden 47jährigen Theologen aber hervor, daß er ein politisches Zeichen setzen wollte – und zwar sowohl gegenüber dem SED-Staat als auch den eigenen Kirchenfürsten.
MfS-Akte von Brüsewitz wurde sofort vernichtet
Diese stießen sich nämlich schon seit längerem an Brüsewitz’ unorthodoxen Protestaktionen, wie dem Anbringen von sarkastischen Transparenten neben kommunistischen Propagandatafeln. Sein Vorgesetzter, Probst Friedrich-Wilhelm Bäumer, forderte ihn deshalb am 23. Juli 1976 auf, die Gemeinde zu wechseln.
Dazu kam der Druck von seiten der Stasi: Diese soll dem Pfarrer gedroht haben, er werde innerhalb von 24 Stunden ausgebürgert oder in die Psychiatrie eingewiesen, wenn seine „Provokationen“ weitergingen – kurz darauf brach ein mysteriöser Brand im Pfarrhaus aus. Allerdings wurde die MfS-Akte von Brüsewitz sofort nach dessen Tod vernichtet, weshalb das ganze Ausmaß der „Zersetzungsarbeit“ im Vorfeld des Suizids nicht mehr rekonstruierbar ist.
Auf jeden Fall aber bekundete der damalige Oberkirchenrat Manfred Stolpe nach dem erst viel später so genannten „Fanal von Zeitz“ seine „Solidarität mit dem Staat“, und der Magdeburger Oberkonsistorialrat Harald Schultze zweifelte im Interview mit dem ZDF ebenfalls an der Zurechnungsfähigkeit des Toten.
Doch da hatten die Kirchenoberen die Rechnung ohne den Wirt, nämlich die einfachen Gläubigen im Lande, gemacht. Diese sorgten durch ihre breite Solidarisierung mit Oskar Brüsewitz und ihrer wütenden Kritik an der Liebedienerei von Stolpe, Schultze und Co. dafür, daß der Pfarrer nicht auch noch von den eigenen Dienstherrn als geistig verwirrter Querulant abgestempelt wurde.
Andererseits arbeiteten kirchliche und staatliche Stellen jedoch sehr harmonisch Hand in Hand, als es anläßlich des Begräbnisses des Märtyrers galt, politische Bekundungen zu unterbinden.
> Der Beitrag erschien in leicht veränderter Form erstmals in der Ausgabe Nr. 34/16 der JF.