Bereits zwölf Stunden nach der italienischen Kriegserklärung an Österreich-Ungarn bricht in Venedig Panik aus: Ein Marineflieger wirft am 24. Mai 1915 genau 14 Bomben über der Stadt ab. Das Arsenal brennt, ein Zerstörer wird stark beschädigt, auch Bahnhof, Ölbehälter und Hangars am Lido sind getroffen. So meldet es der amtliche Bericht der k. u. k. Flotte. Und für den 8. Juni hält der Heeresbericht einen „Angriff des österreichisch-ungarischen Marineflugzeuges ‘L 47’ (Führer Fregattenleutnant Banfield) auf Venedig“ fest. Mehr als vierzig Bombenangriffe fliegt die österreichisch-ungarische Luftwaffe bis Herbst 1918 gegen die Stadt. Über 1000 Bomben werden abgeworfen, treffen Menschen, Bauten, Denkmäler und Kunstwerke.
Ereignisse, von denen in Deutschland heute kaum jemand Kenntnis hat, es sei denn, er hat im Fotomuseum von Venedig auf der Insel Giudecca die Ausstellung „Venedig verteidigt sich. 1915 – 1918“ gesehen. Militärfotografen hatten seinerzeit die Zerstörungen, aber auch die Maßnahmen auf Glasplatten gebannt, die die Venezianer ergreifen, um die wichtigsten Denkmale ihrer Stadt gegen Luftangriffe zu schützen. Fotos dokumentieren die beschädigten Skulpturen und Gemälde, das zerbombte Gewölbe der Scalzi-Kirche mit dem zerstörten Deckenfresko Giambattista Tiepolos, und damit das Scheitern dieser Anstrengungen.
Frage von Gewalt und Zerstörung, Bewahrung und Schutz
Erstmals außerhalb Italiens werden 230 dieser Fotos und 14 Postkarten jetzt im Japanischen Palais Dresden unter dem Titel „Eine Stadt im Krieg“ gezeigt. Sie sind Teil der Schau „Krieg und Frieden“ der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (8 bis 25. Oktober), in die auch das Albertinum und das Kupferstich-Kabinett im Residenzschloss einbezogen sind. Gemeinsam wird die Frage von Gewalt und Zerstörung, Bewahrung und Schutz vom 19. bis 21. Jahrhundert thematisiert. Beteiligt sind neben den städtischen Archiven von Venedig auch die Tate Modern London und das Museum Folkwang Essen.
Das Albertinum vereint unter der Überschrift „Conflict, Time, Photography“ Bilder von Menschen, Orten und Dingen sowie Zeichnungen und Gegenstände, die von den Auswirkungen von Gewalt und Zerstörung zeugen. Die Ausstellung zeigt, in welcher Weise in der Fotografie seit dem 19. Jahrhundert kriegerische Ereignisse und deren Folgen reflektiert werden. Historische Reportagen, Dokumentaraufnahmen und Positionen zeitgenössischer Fotografie lenken den Blick auf die Spuren, die jeder Konflikt hinterlässt und die sich nicht nur in die kollektive Erinnerung, sondern auch in die realen Schauplätze des Geschehens eingeschrieben haben.
Fotografien Tage, Wochen, Monate, Jahre oder Jahrzehnte nach dem Ereignis
Weltweit und über die Zeiten hinweg ‒ vom amerikanischen Bürgerkrieg bis zum Irakkrieg ‒ offenbaren die Bilder von Menschen, Orten und Dingen die Auswirkungen von Gewalt und Zerstörung. Die ausgewählten Fotografien entstanden Momente, Tage, Wochen, Monate, Jahre oder Jahrzehnte nach dem Ereignis, auf das sie verweisen. Dieser Chronologie folgend, spannt die Ausstellung einen zeitlichen Bogen von Aufnahmen, die unmittelbar nach der Atombombenexplosion in Hiroshima gemacht wurden, über Beobachtungen aus dem geteilten Berlin bis hin zu Fotos von Schauplätzen des Ersten Weltkrieges, die rund 100 Jahre später aufgenommen wurden.
Zu den beeindruckenden Fotos gehören eine Aufnahme Richard Peters vom bombardierten Dresden und Don McCullins 1968 in Vietnam entstandenes Bild „US-Marinesoldat unter Granatenschock“. Thomas Höpkers Foto vom 11. September 2001 in New York wurde erst fünf Jahre nach dem Attentat auf die Twin Tower veröffentlicht und löste eine heftige Diskussion aus, weil auf ihm junge Leute entspannt vor der Kulisse des brennenden Manhattans sitzen.
„Sind die Bilder nicht gut genug, warst du nicht nah genug dran“
Zu den 44 ausgestellten Künstlern zählt auch der Kriegsreporter Robert Capa (1913-1954), der mit seinen bereits durchkomponierten Bildern als Erfinder der modernen Kriegsfotografie gilt. Das Kupferstich-Kabinett gibt erstmals Einblick in das 2014 erworbene Konvolut von Kriegsfotografien Capas. Die rund 110 Bilder zeichnen den Weg des Reporters nach, wie er zwischen 1943 und 1945 mit den Alliierten durch Europa zieht, von den Landungen in Sizilien und Frankreich bis zum Vormarsch nach Deutschland in den letzten Kriegsmonaten.
Die Fotos erschienen in auflagenstarken Nachrichtenmagazine und suggerieren, dass die Leser direkt und doch in schützender Distanz an der Weltgeschichte teilhaben. Capas Motive der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944, der Befreiung von Paris im September 1944 und nicht zuletzt der Kapitulation Leipzigs im April 1945 gingen um die Welt. Der Besucher erfährt aber auch, wie Capa manipulierte, in dem er Ausschnitte wählte oder Bilder stellte. Einige Aufnahmen sind wandhoch vergrößert, wie das Poträt eines alten Manns in Palermo 1943. Mit seinem Leitsatz „Sind die Bilder nicht gut genug, warst du nicht nah genug dran“ etablierte Capa, der am 25. Mai 1954 durch eine Landmine im ersten Indochinakrieg starb, eine Fotografie der Teilhabe, des Risikos und des Voyeurismus.
Bis 25. Oktober, 10 bis 18 Uhr, Schließzeiten: Albertinum und Japanisches Palais montags, Kupferstich-Kabinett dienstags