Der Rückblick auf die deutsch-deutsche Währungsunion könnte melancholischer nicht stimmen. Am 1. Juli 1990 wurde die monetäre Einigung Deutschlands vollzogen, ein Vierteljahr bevor die Unterhändler beider deutscher Nachkriegsstaaten ihren „Einigungsvertrag“ unter Dach und Fach bringen konnten.
Damit endete die babylonische Gefangenschaft eines Teils der Deutschen, in der das DDR-Regime (Moskaus Gefängniswärter, die sich „volksdemokratisch“ im Amt bestätigen ließen) sie vier Jahrzehnte lang gehalten hatte. Der Fall der Mauer stellte am 9. November 1989 zwar die Reisefreiheit her, aber was brachte sie Menschen, solange diese nichts von dem erwerben konnten, was ihnen Schaufenster und Leuchtreklamen als das „Paradies im Westen“ verhießen? Was empfindet der halb verdurstete Wüstenwanderer, wenn er am Brunnen angekommen erfährt: Trinken verboten!
Deswegen war es für das Gelingen der Wiedervereinigung so eminent wichtig, daß die Einführung der D-Mark dem Fall der Mauer so dicht auf folgte wie möglich – noch bevor die politischen Pokerspieler beider Seiten ihre Forderungen aushandeln und abgleichen konnten.
„Pausbäckiger DM-Nationalismus“
Das Beschämende auf westlicher – nicht östlicher – Seite war etwas ganz anderes. Kaum hatte sich die Bundesregierung unter Helmut Kohl durchgerungen, den „Brüdern und Schwestern im Osten“ mit der Einführung der D-Mark nahezu zum Paritätskurs von 1: 1 (Westmark = Ostmark) einen generösen Ausgleich für 40 Jahre Haft und Gefängniskost zu offerieren, meldete sich in fast bestellter Einheit die „Elite“ westdeutscher Staatsphilosophen und progressiver Linkspolitiker zu Wort: Jürgen Habermas, Oskar Lafontaine und Otto Schily.
Einig wie heute wieder im Fall Thilo Sarrazin (der 1990 die Währungsunion als Referatsleiter im Bundesfinanzministerium mit vorbereitete) verteufelten sie das generöse DM-Geschenk als Fortsetzung großdeutscher NS-Politik mit anderen Mitteln. Habermas geißelte den „pausbäckigen DM-Nationalismus“ als Ausweis „einer wirtschaftsnationalen Gesinnung“.
SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine, ganz Robin Hood, erklärte: „Das Boot ist voll“ und lehnte die Aufnahme der DDR-Übersiedler kategorisch ab. Den Gipfel der Geschmacklosigkeit erklomm der von den Grünen zur SPD übergewechselte Otto Schily, als er am Wahlabend des 18. März 1990 den Landsleuten aus der DDR im Fernsehen die Banane vorhielt und damit ausdrücken wollte: Das ist Euer Motiv; dafür habt Ihr gekämpft!
Lord Dahrendorf, Deutschlands einziger Liberaler, der diesen Namen verdient, schrieb damals in seiner Besprechung zu meinem die Währungsunion kommentierendem Buch: „Man muß angesichts der Wirtschaftsferne der deutschen öffentlichen Diskussion befürchten, daß Gegenthesen (gemeint waren die meinen) nicht viel Gehör finden“. Er behielt recht. >>
Die Übertragung der D-Mark auf die damals noch existierende DDR war nicht nur das Ende der monetären Leibeigenschaft der dortigen Bürger, denn ohne im Ausland gültiges Geld konnte auch ohne Mauer niemand das „Paradies der Werktätigen“ verlassen. Deswegen – so schrieb ich damals – ist die Offerte der Bundesregierung, „weder Überfall noch Knebelung, weder Ausbeutung noch DM-Imperialismus. Es ist ein Angebot von Verfassungsrang“ – nämlich der Freiheit, zu leben wie und wo ein jeder will.
Leider hat dieselbe Regierung Kohl, die den DDR-Bürgern das Freiheitsgeschenk gemacht hatte, nichts unterlassen, es wieder zu entwerten. Der schwerste und ökonomisch unverzeihlichste Fehler war, den „Aufwertungsschock“ der 1:1-Umstellung den DDR-Betrieben aufzuladen. Ab dem 2. Juli 1990 mußten sie „Westlöhne“ in D-Mark zahlen, die sie nie und nimmer verdienen konnten.
Statt die bereitgestellten Ausgleichs-Milliarden zur Lohnverbilligung einzusetzen, flossen sie in Rathäuser, Landeshaushalte und bauliche Schönheitsreparaturen, wo sie politische Wendehälse im besten Einvernehmen mit westdeutschen Politiker-Exporten staatstragend verpulverten und in lukrative Aufträge für westdeutsche Baufirmen transformierten. Am Erhalt der DDR-Wirtschaft und ihrer Arbeitsplätze war man im Westen nicht sonderlich interessiert.
Ihre „Tarifautonomie“ war ihnen heiliger als der Erhalt von Arbeitsplätzen
Die westdeutsche Industrie zog eine platt gemachte Konkurrenz einer aktiven und ihre Geschäfte gefährdenden vor. Zudem paßte es ins Bild, die zuvor niedergeknüppelte DDR-Wirtschaft als „sozialistische Mißwirtschaft“ vorführen zu können. Die sozial unabgefederte Währungsunion verwandelte die DDR, nachdem sich der erste Konsumrausch gelegt hatte, vom Paradies der Werktätigen in das der Arbeitslosen. Den Gewerkschaften war das sogar recht – hatten sie doch am lautesten gegen die Pläne westlicher Experten für Lohnsubventionen gewettert. Ihre „Tarifautonomie“ war ihnen heiliger als der Erhalt von Arbeitsplätzen!
Der Tragödie zweiter und letzter Teil kam mit dem Ende der glücklich vereinten D-Mark. Ob es die Montags-Demonstrationen mit den Plakaten; „Kommt die D-Mark nicht nach hier, gehen wir zu ihr!“ gegeben hätte, wenn darauf „Euro“ gestanden hätte, läßt sich nicht mehr ermitteln. Selten hat eine politische Elite so kläglich versagt, wie die seit der deutschen Einheit regierende und opponierende.
Sie hat bis heute nicht begriffen, daß Währung und Staat eine untrennbare Einheit bilden, weil dies allein die Gewähr dafür ist, daß Freiheit und Wohlstand keine getrennten Wege gehen. Währung, Freiheit und Wohlstand sind ein Angebot an alle Bürger. Sie stehen weder zur Disposition der Regierung, um damit Politik zu machen noch der Bankwelt, um sich schamlos zu bereichern.
Prof. Dr. Wilhelm Hankel ist Währungsexperte. Er verfaßte 1990 das Buch: „Eine Mark für Deutschland“ (BouvierVerlag ) und 1993 „Die Sieben Todsünden der Vereinigung – Wege aus dem Wirtschaftsdesaster“ (Siedler Verlag).