Man wird nicht behaupten können, daß Stauffenberg in Vergessenheit gerät. Eher ist von einem steigenden Interesse an seiner Person, seinem familiären und geistigen Hintergrund zu sprechen. Das gilt für die breitere Öffentlichkeit, wie man am Erfolg der Spielfilme über den 20. Juli 1944 von ARD und ZDF feststellen konnte, und es gilt erst recht für die Geschichtsschreibung. Mit den Arbeiten von Christian Müller, Peter Hoffmann und Eberhard Zeller, der selbst noch dem Umkreis Stauffenbergs angehört hatte, wurden gründliche und eindringliche Darstellungen seines Lebens vorgelegt. Damit konnten auch die älteren Verzerrungen beseitigt werden, die entweder alle Konturen eingeebnet oder Stauffenberg zum Prototyp des bekehrten Hitleranhängers gemacht hatten, der 1933 an der Spitze einer Demonstration durch Bamberg gezogen war und erst unter dem Eindruck des Kriegsverlaufs seine Haltung korrigierte. Dieser größeren Exaktheit in der äußeren Erfassung Stauffenbergs steht allerdings ein Verlust an innerer Erfassung gegenüber. Hoffmann hat in seinem großen Buch über die Brüder Stauffenberg geäußert, es fehle den Heutigen das „Wissen vom Besonderssein“, das Gleichheitsdogma habe sie stumpf gemacht für die Wahrnehmung eines Ausnahmemenschen. Die Gegenwart hat den größten Teil jener Tradition verloren, die einen Zugang zu der Welt eröffnete, in der Stauffenberg lebte. Auffallend früh entwickelte sich seine Persönlichkeit Das „Besonderssein“ Stauffenbergs muß früh erkennbar gewesen sein, angeborenes Rangbewußtsein, Reife und eine besondere Ausstrahlung spielten dabei zusammen. Andeutungen finden sich in den Fragmenten der Korrespondenz, die aus seiner Jugendzeit erhalten sind, und dann in den Aussagen über den Jüngling und jungen Erwachsenen. Stauffenbergs Frau hat später geäußert, die Entscheidung ihres Mannes für die Offizierslaufbahn – die sogar seine Familie überraschte – habe damit zu tun gehabt, daß er „bewußt den Weg eines Heldenlebens“ gegangen sei. Die Annahme, daß er zum „Täter“ geboren wurde, war auch im George-Kreis verbreitet, in dem Stauffenberg seine geistige Prägung erhielt. Diese Prägung war entscheidender, als die durch seine Herkunft aus dem katholischen Adel Schwabens. Selbstverständlich spielte die Zugehörigkeit zur alten Oberschicht eine Rolle für seine gesellschaftliche Stellung, aber Nostalgien waren ihm fremd. Die Äußerungen über die 1918 gestürzten Dynastien klangen eher wegwerfend, bestenfalls mitleidig, weil ihnen der Mut gefehlt hatte, das angestammte Recht zu verteidigen. Auch der Einfluß von Schule oder Jugendbewegung – Stauffenberg war Mitglied der „Neupfadfinder“ – scheint wenig nachhaltig gewirkt zu haben. Bedeutung hatte die Verwurzelung im Christentum, aber ausschlaggebend war die Begegnung mit George; Stauffenberg bekannte später, er „habe den größten Dichter seiner Zeit zum Lehrmeister gehabt“ und sogar, George sei der „größte Mann“ seiner Zeit gewesen. George seinerseits hat Stauffenberg innerhalb des Kreises ausgezeichnet und ihn unter die Auserwählten, die „Staatsstützen“, gezählt. Die Verbindung zwischen beiden blieb bis zum Tod des Dichters 1933 bestehen; Stauffenberg gehörte zu denen, die an das Sterbelager in Minusio gerufen worden waren und dann die Totenwache hielten. Im Vergleich zur früh entwickelten Persönlichkeit erscheint der berufliche Werdegang Stauffenbergs nach der Schulzeit – Eintritt in die Reichswehr 1926, Ernennung zum Leutnant 1930, Lehrgang an der Kriegsakademie in Berlin 1936-1938, danach Ib in der 1. Leichten Division – fast unerheblich. So deutlich sich auch in seiner Laufbahn Intelligenz und Führungsqualitäten zeigten, Selbstbewußtsein bezog er nicht aus einer störungsfreien Karriere, sondern aus einem bestimmten Entwurf der eigenen Persönlichkeit. Dafür spielte Georges Lehre vom symbolischen Menschen eine wichtige Rolle. Diese Lehre stand im Zusammenhang mit der Geschichtsbetrachtung, die der Dichter in seinem Kreis förderte und mit der Erwartung eines „Neuen Reichs“ verband, in dem das „geheime Deutschland“ seine endgültige Gestalt gewinnen würde. Soweit sich das sagen läßt, hat Stauffenberg von den Epochen der Vergangenheit vor allem das Mittelalter beeindruckt. Aus Anlaß einer Reise seines Kriegsakademiejahrgangs nach Schwaben hielt er eine enthusiastische Ansprache über seine Heimat und deren Bedeutung als Stammland der Staufer. In Bann geschlagen haben ihn außerdem die Führer der „Deutschen Bewegung“, des großen nationalen Aufbruchs im Kampf gegen Napoleon zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts. An dem Buch seines Freundes, des Germanisten und Historikers Rudolf Fahrner, über Gneisenau hat er selbst mitgewirkt, und auch dafür gesorgt, daß Fahrner vor Offizieren über Gneisenau sprechen konnte. Dabei unterschied sich die Vorstellung von Gneisenau, die Stauffenberg und Fahrner vertraten, sehr deutlich von der üblichen patriotischen Verklärung. Für sie war Gneisenau vor allem die nicht zur Vollendung gekommene Gegengestalt Napoleons. Das wirkt weniger irritierend, wenn man bedenkt, daß der George-Kreis nie die platte Feindseligkeit gegen Napoleon geteilt hatte, die in nationalen Kreisen üblich war, sondern in ihm eine große Potenz der europäischen Geschichte sah, einen Umgestalter der Verhältnisse, einen Heros, der aber an der Aufgabe scheiterte, eine neue Weltordnung zu schaffen. Das Scheitern war ebenso tragisch wie notwendig, denn Napoleon hatte das innere Gesetz seines Zeitalters nicht begriffen. Tragisch war auch das Scheitern Gneisenaus, in dem Fahrner und Stauffenberg einen revolutionären Kopf sahen, der wie Napoleon bereit war, alles zu beseitigen, was daran hinderte, eine neue organische Staatsform zu schaffen. Noch in dem von Fahrner formulierten „Eid“ der Verschwörer finden sich an zentraler Stelle Aussagen, die auf diese Deutung Gneisenaus zurückgehen: die Einheit des Volkes bei Verwerfung der „Gleichheitslüge“, die Idee eines neuen Adels, der aus den Besten aller Stände hervorgehen sollte, der Respekt vor der kosmischen Ordnung und vor dem göttlichen Recht. Daß Stauffenberg durch seine Mutter ein Ururenkel Gneisenaus war, spielte sicherlich auch eine Rolle für die Art und Weise, wie er sich zu diesem Mann in Beziehung setzte. Und weiter hängt das eigenartig sachliche Interesse Stauffenbergs an Hitler mit der Idee der historischen Entsprechungen zusammen. Zeller hat eine Reihe von Belegen dafür überliefert, daß er in den Friedensjahren jede vorschnelle und abfällige Bemerkung in seiner Gegenwart verbot. Er hielt es in dieser Zeit noch für ungeklärt, welche geschichtlichen Kräfte sich in Hitler verkörperten, ob man ihm nicht wie Napoleon zu Gute halten mußte, daß er „die leergewordnen formen zerbrach“. Das war keine ideologischer Sympathie, erklärt aber das Nebeneinander von grundsätzlicher Loyalität – vor allem nach Kriegsbeginn -, prinzipieller Reserve und der Erwägung, daß Widerstand notwendig werden könnte. In der ersten Phase des Krieges zeigte Stauffenberg vorsichtigen Optimismus, gespeist von der Erwartung des Soldaten, sich im Feld auszuzeichnen, aber auch von der Hoffnung, daß Hitler die überraschend leicht errungenen Siege sinnvoll nutzen würde. Wie viele seiner weiter denkenden Zeitgenossen hoffte Stauffenberg, daß die Niederwerfung Frankreichs den unseligen Kampf um die Hegemonie auf dem Kontinent ein für allemal beenden würde. Daß Hitler die Gelegenheit nicht erfaßte und dann im Osten eine auf Unterdrückung und Zerstörung gerichtete Strategie verfolgte, belehrte ihn aber rasch über die Sinnlosigkeit seiner Erwartungen. Ohne Opfer kein Kult, ohne Kult keine Kultur Bedenkt man die Kürze der Zeit, die zwischen seiner ersten Weigerung, die militärische Opposition zu unterstützen 1939 und dem Entschluß zum aktiven Widerstand lag, und die Fülle der Ereignisse, dann läßt auch das deutlich werden, daß Stauffenberg immer grundsätzlich mit der Möglichkeit einer Entscheidung gegen Hitler gerechnet hatte. Nachdem sie getroffen war, trat er rasch in das Zentrum des Geschehens, erlangte einen bestimmenden Einfluß auf die Pläne der Opposition und wurde vor allem zum Motor der praktischen Vorbereitungen zum Staatsstreich. Was Stauffenberg dabei leistete, gedeckt durch seine Position als Stabschef des Allgemeinen Heeresamtes und trotz der schweren, im Afrikafeldzug erlittenen Verwundung, um den Staatsstreich in letzter Stunde zu realisieren, war Ausdruck für die innere Überzeugung von der Notwendigkeit der Tat. Der Untersuchungsbericht der Gestapo vermerkte nach der gescheiterten Erhebung mit widerstrebender Bewunderung: „Kennzeichnend für die Persönlichkeit Stauffenbergs scheint eine erhebliche Willenskraft und geradezu asketische Härte gegen sich selbst gewesen zu sein.“ Wie sehr Stauffenberg von der Möglichkeit des Gelingens überzeugt war, ist nicht mehr zu klären. Es spricht viel dafür, daß der Opfer-Charakter seines und des Tuns seiner Freunde immer stärker in den Vordergrund rückte. Die Idee des Opfers ist uns so fremd geworden wie die des „Besondersseins“, aber auch das nicht zu unserem Besten. Ohne Opfer kein Kult, ohne Kult keine Kultur. Zum Wesen des Opfers gehört der Verzicht, die Bereitschaft etwas aufzugeben, nicht zu verwirklichen, um Höheres zu erreichen oder in seinem Bestand zu sichern. Verzicht gehört auch zum Helden, der sich der Realisierung bestimmter Züge seines Wesens bewußt enthält. Vielleicht werden wir keine Helden wie Stauffenberg mehr sehen, aber wir sollten sie uns als „reinigendes Ideal“ (Joachim Latacz) vor Augen halten. Foto: Schwerverwundeter Stauffenberg mit seinen Kindern vor dem Attentat: Der Untersuchungsbericht der Gestapo vermerkte nach der gescheiterten Erhebung mit widerstrebender Bewunderung: „Kennzeichnend für die Persönlichkeit Stauffenbergs scheint eine erhebliche Willenskraft und geradezu asketische Härte gegen sich selbst gewesen zu sein.“ Dr. Karlheinz Weißmann ist Historiker und Gymnasiallehrer. 1997 erschien im Herbig Verlag, München, sein Buch „Der Weg in den Abgrund. Deutschland unter Hitler 1933-1945“.