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„Spielberg hat nur einen ungleich höheren Etat“

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„Spielberg hat nur einen ungleich höheren Etat“

 

„Spielberg hat nur einen ungleich höheren Etat“

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Cato, Palmer, Exklusiv

Herr Jungnickel, rechtzeitig zum 50. Jahrestag des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 haben Sie den fünften und letzten Teil Ihrer Dokumentarfilmreihe „Zeit-Zeugen“ mit dem Titel „Agenten, Faschisten und Provokateure – Schicksalstag 17. Juni ’53“ herausgebracht. Sie sind einer der wenigen Filmemacher in Deutschland, die sich intensiv mit den Opfern des Kommunismus in der deutschen Nachkriegszeit beschäftigt haben. Warum? Jungnickel: Auslöser waren Anfang der neunziger Jahre die Funde der Überreste von Opfern der sowjetischen NKWD-Lager in der SBZ in der Nähe ehemaliger KZs wie Buchenwald und Sachsenhausen. Die Medien gaben sich betroffen; selbst im Westen war dieses Kapitel deutscher Geschichte weitgehend verdrängt worden. Erschüttert hat vor allem, wie unwürdig die Opfer verscharrt waren und wie hoch ihre Zahl war. Siegmar Faust und ich waren der Meinung, daß es höchste Zeit sei, die Überlebenden dieser Lager über ihre Schicksale zu befragen. So entstand der erste Teil. Zudem gab es im Bereich Dokumentarfilm für die politische Bildung über den Terror der Nachkriegszeit in der SBZ so gut wie kein Material. Warum nicht? Jungnickel: Ich kenne Betroffene, die nach Jahren Lagerhaft bzw. „DDR“-Zuchthaus in die Bundesrepublik kamen und dort mit der Ansicht konfrontiert wurden, daß – wenn man jahrelang eingesessen hat – schließlich irgend etwas „gewesen“ sein muß. Mit der neuen Ostpolitik und der These vom Wandel durch Annäherung – in Wirklichkeit: Anbiederung – verschlimmerte sich die Ignoranz vor allem der westdeutschen Linken, die schließlich, was die im Namen des Kommunismus begangenen Verbrechen betrifft, bis heute notorisch begriffsstutzig sind. Der ehemalige antitotalitäre Konsens in der Bundesrepublik verkam zum Lippenbekenntnis, und die wenigen, die immer wieder versuchten, ehrlich aufzuarbeiten, wurden auf infame Weise in eine rechtsextreme Ecke gestellt. Hellmuth Karasek hat sich neulich in einer Veranstaltung in der Akademie der Künste quasi dafür entschuldigt, daß er Gerhard Löwenthal immer wieder angegriffen hatte. Weil es also politisch nicht korrekt schien, nahm sich die politische Bildung kaum dieses Themas an. Sie selbst haben die Entwicklung nicht miterlebt, weil Sie erst 1985 nach Ihrer Flucht aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen sind. Jungnickel: Ja, und ich war bitter enttäuscht, als ich feststellen mußte, wie hier die Menschenrechtsverletzungen in der „DDR“ – man sollte sich die Anführungszeichen endlich wieder angewöhnen – verharmlost wurden. Ein Schlüsselerlebnis war die Veröffentlichung einer Stellungnahme des damaligen Bischofs Kruse zum 25. Jahrestag des Mauerbaus. Das war der Duktus des SED-Blattes Neues Deutschland. Mein Protest-Leserbrief ist leider nur unvollständig abgedruckt worden. Ich kenne einen Mitarbeiter des Gesamtdeutschen Ministeriums, dem etwa ab Mitte der sechziger Jahre verboten wurde, im Auffanglager Gießen die Flüchtlinge aus der „DDR“ zu befragen. Er tat es dennoch heimlich. Das 1987 von SED und SPD ausgeschwitzte gemeinsame Papier steht für die politisch-geistige Verwirrung der westlichen Miturheber. Oder denken Sie an Günter Grass, der die „Wortblase“ Wiedervereinigung platzen sah und noch im Dezember 1989 auf einem SPD-Parteitag dafür Claqueure fand. Warum ist das Interesse an den Opfern des braunen Sozialismus heute so groß, während das für die Opfer des roten Sozialismus so gering ist? Jungnickel: Weil die 68er-Generation, die heute die Meinungshoheit innehat, indem sie die Verbrechen des Dritten Reiches beständig in den Vordergrund stellt, ihr Versagen zu kaschieren sucht, was die Wahrnehmung der Verbrechen der Kommunisten betrifft. Es müssen aber beide Diktaturen aufgearbeitet werden, und zwar mit den gleichen Maßstäben und dem gleichen Engagement. Ihre Filme rekonstruieren nicht die historischen Ereignisse, sondern Sie lassen sich Schicksale von den Zeitzeugen vor laufender Kamera erzählen. Befürchten Sie nicht, daß diese Form unattraktiv auf die Zuschauer wirkt? Jungnickel: Mich würde interessieren, ob Sie die Frage so auch Steven Spielberg stellen würden. Er verfährt exakt ebenso mit Überlebenden des Holocaust. Allerdings steht ihm ein ungleich höherer Etat zur Verfügung. Sein erster Film kam übrigens lange nach unseren ersten Teilen heraus. Natürlich können Interviewfilme keine cineastischen Ereignisse sein. Auf diese „oral history“-Methode muß der Zuschauer sich einstellen und sich selbstverständlich für die Thematik interessieren. In etwa 120 Veranstaltungen mit Filmen der Reihe hat sich deshalb eine kurze Einführung als vorteilhaft erwiesen. Im übrigen halte ich nichts davon, einen Sprechertext visuell mit nachgestellten Mätzchen zu unterlegen. Die Knopp-Methode mag wiederum durchaus angemessen sein, um ein breiteres Publikum zu erreichen, nur sind dort die Zeitzeugen eher Staffage und dürfen lediglich zur Bestätigung der Deutungsherrschaft der Macher ein paar Sätze äußern. Ich bin davon überzeugt, daß dann, wenn aus biologischen Gründen keine authentischen Zeitzeugen mehr vorhanden sein werden, die Wertschätzung dieser Zeitzeugen-Filme eine andere sein wird. Sie beklagen, daß auch heute noch diese intensive Form der Aufarbeitung kommunistischer Verbrechen politisch nicht gewünscht ist. Jungnickel: Einmal hat dies, wie gesagt, mit der ideologischen Dünnbrettbohrerei der 68er zu tun. Aber es gibt auch Widerstände aus Richtungen, die auf den ersten Blick erstaunlich sind. Das beginnt mit der Finanzierung. Prädestiniert dafür ist die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Seit es sie gibt, kommen übrigens andere Geldgeber kaum noch in Frage, was nicht unbedingt ein Vorteil ist. Die letzten beiden Teile wurden von dieser Stiftung finanziert. Man hat sich dort nie wirklich mit meinem Stil und der Reihe beschäftigt. Die Stiftung protegiert Filme, die für eine Fernsehausstrahlung geeignet sind. In gewisser Hinsicht ist das verständlich. Nur: Die Frage muß erlaubt sein, ob Stiftungsgelder damit in öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten fließen sollten, die a priori den Auftrag haben, Lücken in der geschichtlichen Aufarbeitung zu schließen. Die Stiftung hätte gerade und vor allem die Pflicht, Dokumentationen zu fördern, die im Fernsehen keine Chance haben. Das hat sie doch in Ihrem Fall getan. Jungnickel: Ja, nur schauen Sie sich einmal die Internetseiten der Stiftung an: Meine Filme habe ich da nicht gefunden! Bei der Premiere in Leipzig glänzte die Stiftung als Auftraggeber durch Abwesenheit. Der 17.-Juni-Film wäre fast gescheitert, weil die Stiftung meinen Intentionen nicht folgen wollte, obwohl sie in der Antragstellung eindeutig umrissen waren. Der Premierenerfolg von Leipzig dürfte sie eines besseren belehrt haben. Wie wollen Sie nun Ihre Filme, die Geschichte auf eine besondere Art transparent machen, zum Beispiel an Schulen einsetzen? Jungnickel: Wir werden weiterhin mit der Reihe Veranstaltungen durchführen, auch an Gymnasien. Unterstützung kommt dafür vor allem von der Birthler-Behörde, der Adenauer-Stiftung und der Külz-Stiftung. Für eine bundesweite Verbreitung wäre die Bundeszentrale für politische Bildung zuständig, doch hat man hier zwar das Versprechen abgegeben, sich der Filme anzunehmen, dieses dann aber mit fadenscheinigen Begründungen nicht eingehalten – ich habe irgendwann resigniert. Vielleicht nimmt man den letzten Teil wieder zur Kenntnis. Lehrer beklagen nach Veranstaltungen immer wieder, daß die Filme nicht über die Medienzentrale zugänglich sind. Und das Deutsche Historische Museum Berlin, dem ich die Reihe angeboten hatte, lehnte sie mit der nicht nachvollziehbaren Begründung ab, daß wegen des Raumangebots und der einzusetzenden Technik keine Einsatzmöglichkeiten bestünden. Man hat die Filme weder angesehen noch gibt es Vergleichbares. Offensichtlich sind Zeitzeugen kommunistischer Verbrechen dort nicht gefragt. Ich hoffe auch, daß die Opferverbände endlich begreifen, daß sie ihre berechtigten Forderungen, etwa nach einer Ehrenpension, nur mit einer besseren Öffentlichkeitsarbeit, auch mittels solcher Dokumentationen, untermauern können. Die zumeist tragischen Schicksale sprechen doch für sich. Sie haben im letzten Teil die nationale Dimension des 17. Juni einbezogen. In anderen Filmen wird sie dagegen kaum zur Kenntnis genommen. Warum? Jungnickel: Leider wurde da der Protest gegen die Normerhöhungen viel zu sehr in den Vordergrund gestellt. Er war aber letztlich nur der Funke, der zur Explosion führte. Die Forderungen nach der Einheit Deutschlands und nach freien Wahlen standen gegen den Terror der Sowjets und ihrer Kollaborateure von der SED. Ein Theaterregisseur namens Wolf Bunge verstieg sich sogar dazu, sein Stück zum 17. Juni „Die Norm muß weg“ zu nennen, und entblödete sich nicht, in einem Interview das Thema seiner Inszenierung mit einem „erfolgreichen Kampf für das Recht auf Faulheit“ zu umreißen. Das könnte man unter dümmlicher Ignoranz verbuchen, aber der Mann soll Intendant in Cottbus werden. Und ein doppelter Witz ist es, wenn die ehemalige FDJ-Gazette Junge Welt am 17. Juni 2003 jammert, daß in der Bundesrepublik für den Kampf gegen den Kommunismus immer Geld vorhanden sei und aus Anlaß des 50. Jahrestages ein Propagandafeldzug in der Dimension eines nationalen Weihefestspiels inszeniert wurde. Hat der Aufstand von 1953 noch heute ein Befreiungspotential bezüglich der Zustände in der Bundesrepublik Deutschland? Jungnickel: Der zweifellos nationale Aspekt des 17. Juni ist nicht nur für Junge Welt-Schreiber eine unwillkommene und unbeherrschbare Größe, sondern auch für die, die unser Land mit dem Mehltau der political correctness überziehen. Der 17. Juni sollte vor allem eine Vorbildwirkung haben, was Zivilcourage betrifft, und indem wir die ehren, die – wie Rainer Barzel einmal sagte – für Freiheit und Einheit aller Deutschen alles einsetzten, kann man darin durchaus auch ein ideelles Befreiungspotential erblicken. Dirk Jungnickel: „Wenn aus biologischen Gründen keine authentischen Zeitzeugen mehr vorhanden sein werden, wird die Wertschätzung dieser Zeitzeugen-Filme eine andere sein Dirk Jungnickel wurde 1944 in der Oberlausitz geboren. Nach seinem Abitur machte er eine Facharbeiterausbildung und begann 1966 mit der Schauspielausbildung. Seit 1969 arbeitete Jungnickel als Regieassistent und später Assistenzregisseur im DEFA-Studio für Spielfilme in Potsdam-Babelsberg, wo er an über dreißig Spielfilmen mitwirkte. 1985 verließ er illegal die DDR und arbeitet seitdem freiberuflich als Regisseur und Autor in Berlin. In den letzten Jahren wurden verschiedene Dokumentarfilme in der ARD und der Deutschen Welle veröffentlicht. In seiner bisher fünfteiligen Dokumentation „Zeit-Zeugen“ berichten Opfer stalinistisch-kommunistischer Willkür über ihre Schicksale. weitere Interview-Partner der JF

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