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Mischzone Masuren

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Die Redaktion der Münchener Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte (VjZ) scheint entschlossen, dem Übelstand abzuhelfen, den Manfred Kittel in diesem renommierten Periodikum unlängst ausführlich beklagen durfte: der zeithistorischen Vernachlässigung der preußisch-deutschen Ostgebiete (siehe JF 42/02). Denn mehrfach wurden in den letzten Heften der VjZ den Berliner Historikern Heinrich August Winkler und Ingo Haar (siehe JF 06/02) die Spalten geöffnet, um ihren Disput um die Bewertung des wissenschaftspolitischen Engagements eines Königsberger Historikers, des 1939 emigrierten Hans Rothfels, austragen zu können. Reemtsma-Fraktion unter deutschen Zeithistorikern Und nun knüpft Andreas Kossert, tätig am Deutschen Historischen Institut in Warschau, indirekt an diese „Roth-fels-Debatte“ an. Geht es Kossert, der vor zwei Jahren mit einer dickleibigen Geschichte Masurens hervortrat (siehe JF 27/02), doch um das Thema „‚Grenzlandpolitik‘ und Ostforschung an der Peripherie des Reiches“ (Heft 2/03). Also wieder um die von der VjZ im redaktionellen Vorspann polemisch zugespitzte, auch im Streit um Rothfels zentrale Frage nach der Beteiligung vornehmlich ostdeutscher Wissenschaftler an der vor und nach 1933 angeblich gleichermaßen „aggressiven Germanisierungspolitik“. Dies möchte Kossert am konkreten Fall der ethnischen Mischzone Masuren in den Jahren zwischen 1918 und 1945 demonstrieren. Seine Ausbeute ist jedoch nicht allzu beeindruckend. Weder für die „Abstimmungszeit“ 1920 noch für den gesamten Zeitraum der Weimarer Republik kann er, abgesehen von den publizistischen Aktivitäten des Königsberger Staatsarchivars Hermann Gollub, ein nennenswertes grenzlandpolitisches Engagement von Königsberger oder von Wissenschaftlern aus dem „Reich“ nachweisen. Für die NS-Zeit scheinen die Dinge anders zu liegen, wenn Kossert besonders den Anteil an der Eindeutschung masurischer Ortsnamen erwähnt, die 1938 abgeschlossen wurde, siebzig Prozent aller historischen Ortsnamen betroffen hatte und in der Tat als „Auslöschung markanter regionaler Spezifika“ aufgefaßt werden darf. Darauf daß Kossert selbst das Dickicht der polnischen, deutschen und masurischen Namen kaum durchschaut, läßt die ungenaue Wiedergabe der 1928 erfolgten Umbenennung des masurischen Marggrabowa in Treuburg schließen. Der Name des Kreises, gleichzeitig die heutige polnische Bezeichnung Oletzko folgte erst später. Für die pauschale Behauptung freilich, Historiker hätten darüber hinaus ihren Beitrag geleistet, um die Gestapo bei der Verfolgung propolnischer Masuren zu unterstützen, muß Kossert den Beweis schuldig bleiben. Vor allem für die These, daß die „Spitzelberichte“ des von Theodor Oberländer bis 1937 geleiteten Bundes Deutscher Osten (BDO) der Gestapo ab September 1939 bei Verhaftungsaktionen gute Dienste geleistet hätten, vermag Kossert nicht einmal ansatzweise einen aktenkundigen Beleg beizubringen. Insgesamt also ein mageres Resultat angesichts der dem Leser von der VjZ-Redaktion und auch von Kossert versprochenen Aufdeckung „politischer Funktionalisierung“ historischer Wissenschaft. Trotzdem – und offenkundig höchst unfreiwillig die eigenen wissenschaftspolitischen Prämissen destruierend – gelangt Kossert zu einer erstaunlichen Neubewertung der Ostforschung. Erstaunlich deshalb, weil Kosserts Gewährsleute Götz Aly, Hans-Erich Volkmann, Ingo Haar und Michael Fahlbusch heißen und er peinlichst darauf achtet, die vielfach vernichtende Fachkritik an deren Erzeugnissen aus seinem Anmerkungsapparat herauszuhalten. Diese von ihm fast schon als offiziös behandelte „Reemtsma-Fraktion“ unter den bundesdeutschen Wissenschafts- und Zeithistorikern unterstellt die weltanschauliche Übereinstimmung zwischen konservativen Exponenten der Weimarer „Volks- und Kulturbodenforschung“ sowie NS-Rassenideologen. Sie findet mit ihrem alten DDR-Mustern folgenden, nur den stalinistischen Schwammbegriff „Faschismus“ durch das Passepartout „Rassismus“ ersetzenden Reduktionismus großen Widerhall in den Medien, wo dann Historiker wie Hans Roth-fels, Werner Conze oder Theodor Schieder neben dem deswegen einst in einem DDR-Schauprozeß in Abwesenheit verurteilten Theodor Oberländer als „Vordenker und Wegbereiter von Auschwitz“ vermarktet werden. Multiethnisches Ideal nach Habsburger Vorbild Gegen eine derartige, politisch motivierte Versimpelung hat zuletzt Martin Burkert mit einer eindrucksvollen, ganz aus den Quellen gearbeiteten Studie Front gemacht („Die Ostwissenschaften im Dritten Reich“, Wiesbaden 2000). Burkert muß sich dafür von dem ahnungslosen Kossert als „Apologet“ abfertigen lassen – von einem Junghistoriker, der es nicht einmal fertigbringt, die Namen der ostwissenschaftlichen Protagonisten richtig zu schreiben und der aus dem Königsberger Lektor für Litauisch Viktor Falkenhahn „Falkenhayn“, aus dem Danziger Historiker Erich Keyser „Kayser“ oder aus dem Nationalökonomen Peter-Heinz „Hans-Adolf“ Seraphim macht, und den Direktor des altehrwürdigen Königsberger Friedrichskollegs, Bruno Schumacher, posthum ebenso bedenkenlos zum „Archivar“ ernennt, wie er den Greifswalder Prähistoriker Carl Engel zum „Althistoriker“ umtauft. Doch die Pointe von Kosserts Aufsatz besteht darin, daß er am Beispiel der deutschen Volkstumspolitik in Masuren exakt – selbstverständlich ohne zitierende Bezugnahme – Martin Burkert und nicht Götz Aly folgt. Burkert hat nämlich nachgewiesen, was Ideologen wie Aly und Haar bisher mit allen Mitteln zu unterdrücken bestrebt waren: daß es einen „qualitativen Unterschied“ zwischen dem Volks- und Kulturbodenkonzept eines Konservativen wie Rothfels und der NS-Ideologie gibt. Der konservative, im masurischen „Grenzkampf“ verwendete Volksbegriff war eben nicht „biologisch-rassisch“ motiviert. Ohne Rücksicht auf ethnische und sprachliche Bindungen zählte deshalb vor 1933 das nationale „Bewußtsein“ der Masuren – die der extrem polonophile Kossert beharrlich als „polnisch-sprachig“ klassifiziert, obwohl bei der Volkszählung 1925 82 Prozent von ihnen Deutsch als Muttersprache nannten! -, also allein ihr „Wille“, der deutschen Kultur- und Staatsnation anzugehören. Diesen westeuropäischen, subjektiven Begriff von Volk und Nation haben Historiker wie Rothfels, dem im Osten ein „multhiethnisches Staatsgebilde habsburgischer Prägung“ vorgeschwebt habe, und Grenzpolitiker wie der Allensteiner Journalist Max Worgitzki verfochten. Darum war mit solchen Leute nach der NS-Machtergreifung keine Politik mehr zu machen. Kossert windet sich zwar, das einzuräumen, spricht fast widerwillig von „deutlichen Differenzen“, die sich aus diesen „nichtrassischen Konzeptionen“ im Verhältnis zum Nationalsozialismus ergaben, wirft dann aber sein Herz über die Hürde und beschreibt, wie es seit 1933, nach der Ausschaltung nicht nur Worgitzkis und Rothfels‘, zu einer „politischen Neuausrichtung“ der ostpreußischen Volkstumspolitik gekommen ist. Daraus folgte ein radikaler Bruch mit der „überholten Volks- und Kulturbodentheorie“ und die angestrebte Liquidierung der, wie es im von „habsburgischer“ Toleranz freien NS-Jargon hieß, masurischen „Mischzone labilen Volkstums“. Ausräumen einer Mischzone labilen Volkstums nach 1933 Mit dem volkstumspolitischen Kurswechsel, den in Ostpreußen der Gauleiter Erich Koch in die Praxis umzusetzen hatte, änderte sich aber keineswegs das „Selbstverständnis der Wissenschaft“, wie Kossert uns glauben machen will. Für seine Behauptung, jüngere Wissenschaftler hätten die Oberhand gewonnen und eine „viel radikalere Germanisierungspolitik“ vertreten als ältere Kollegen, fehlen wieder einmal die Belege. Das „Ausräumen der Mischzone“ war eine Sache von Partei und den Vordenkern der SS. Obwohl Kossert also klar die Unterscheidung zwischen konservativer und nationalsozialistischer Volkstumskonzeption trifft, „vergißt“ er zu erwähnen, daß dieser konzeptionelle Graben auch die jüngeren Ostwissenschaftler von den Ethnospezialisten der SS trennte. So verzeiht man Kossert nicht, daß er nicht konsequent genug ist, auch Oberländer, dessen Wirken dieser nicht-rassistischen Ethnopolitik entsprang und der deshalb 1937 als BDO-Chef gehen mußte, als Gegner der NS-Rassenideologie zu präsentieren. Fotos: Neidenburg um 1925: Der masurische „Grenzkampf“ dieser Zeit war nicht biologisch-rassisch motiviert / Volksabstimmung 1920 in Allenstein: Wille und Volksbewusstsein

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