BERLIN. Die deutsche Wirtschaft ist in den Jahren 2023 und 2024 deutlich stärker geschrumpft als von der Regierung behauptet. Das dem Bundesinnenministerium unterstehende Statistische Bundesamt korrigierte die Zahlen Ende Juli weitgehend unbemerkt deutlich nach unten.
Hatten die Statistiker für 2023 ursprünglich einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von 0,1 Prozent gemeldet, wurde die Zahl nun auf minus 0,7 Prozent korrigiert. Auch für 2024 mußten die Zahlen von minus 0,2 auf minus 0,5 Prozent gesenkt werden. Grund für die Überarbeitung sei „insbesondere die Integration von Analyseergebnissen zu Geschäftsaktivitäten multinationaler Unternehmensgruppen“, teilte die Bundesbehörde mit.
Bessere Werte für 2021 und 2022
Dagegen mußten die Zahlen für 2021 und 2022 nach oben korrigiert werden. Statt um 3,6 Prozent wuchs die Wirtschaft 2021 um 3,9 Prozent. Für 2022 steht am Ende ein Plus von 1,9 Prozent statt den ursprünglich angegebenen 1,4 Prozent unter dem Strich.
Obwohl die Bundesbehörde die Revision der Ergebnisse als „üblich“ verteidigt, zeigten sich Wirtschaftsexperten erstaunt über die Höhe der Änderungen. „So etwas habe ich in meiner langen Zeit als Konjunkturforscher noch nicht erlebt“, sagte der Vizechef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Oliver Holtemöller, nach Angaben des Handelsblattes. „Durch die Revision ändert sich das ganze Konjunkturbild der vergangenen Jahre.“
Statistikamt weist Vorwürfe zurück
Die umfangreiche Revision der Zahlen ist auch deswegen brisant, weil sie als Grundlage für zahlreiche Forschungsinstitute dienen und unter anderem in die Steuerschätzung einfließen. „Das BIP als aktueller Konjunkturindikator funktioniert jetzt nicht mehr ohne Weiteres“, monierte Holtemöller.
Die neuen Zahlen werfen auch ein Schlaglicht auf die Leistungen des damaligen Wirtschaftsministers Robert Habeck, dessen Bilanz damit noch schlechter ist als bisher bekannt. Daß die Zahlen aus politischen Gründen geschönt wurden, wies das Bundesamt vehement zurück. „Vorwürfe, wir hätten eine politische Agenda, können schon insofern nicht stimmen, weil wir nach europäischen Vorgaben arbeiten“, sagte der für die Berechnung der Wirtschaftsleistung zuständige Abteilungsleiter im Bundesamt, Michael Kuhn, dem Handelsblatt.
Scharfe Kritik kommt von der Opposition im Bundestag. „Die jetzt offengelegte Neubewertung der Wirtschaftsleistung ist ein wirtschaftspolitischer Skandal ersten Ranges: Deutschland befand sich längst in einer Rezession – doch Regierung, Medien und Institute operierten offenbar jahrelang mit geschönten Zahlen“, sagte AfD-Chefin Alice Weidel. „Dieses beispiellose Ausmaß an nachträglichen notwendigen Korrekturen, das selbst erfahrene Experten schockiert, erschüttert das Vertrauen in die Neutralität des Statistischen Bundesamts.“ (ho)