BERLIN. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat ein verpflichtendes soziales Jahr für alle Rentner gefordert. Die Belastungen der kommenden Jahre dürften nicht allein auf die junge Generation abgewälzt werden, sagte er dem Spiegel. Die ältere Bevölkerung müsse stärker zur Verantwortung gezogen werden.
Fratzscher warf den Babyboomern vor, den Generationenvertrag gebrochen zu haben. Zu wenige Kinder und eine steigende Lebenserwartung führten dazu, daß die Balance nicht mehr stimme. „Wieso sollten ausschließlich die Jungen für diese Lebensentscheidungen der Babyboomer geradestehen?“, fragte er. Die Politik habe durch das Aussetzen des Nachhaltigkeitsfaktors in der Rentenversicherung die Situation verschärft.
Die von der Bundesregierung geplante Festschreibung des Rentenniveaus auf 48 Prozent bezeichnete Fratzscher als „schlechteste aller Welten“. Sie sichere weder den ärmeren Rentnern ein ausreichendes Einkommen noch schone sie die Beitragszahler. Hohe Abgaben gefährdeten zudem die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Statt einer weiteren Umverteilung von Jung zu Alt brauche es einen Ausgleich von Reich zu Arm.
Fratzscher gegen pauschale Erhöhung des Renteneintrittalters
Als ein Instrument brachte der Ökonom erneut den „Boomer-Soli“ ins Gespräch (JF berichtete), der auf hohe Alterseinkünfte erhoben werden solle. Damit könnten untere Renten finanziert werden. Die Kritik an diesem Vorschlag, der unter anderem von der CDU als „Geisterfahrt“ bezeichnet wurde, wertete Fratzscher als Ausdruck von Besitzstandswahrung und Realitätsverweigerung.
Zur Diskussion um das Renteneintrittsalter äußerte sich Fratzscher hingegen zurückhaltend. Zwar müsse das tatsächliche Eintrittsalter steigen, doch dürfe man die gesundheitlichen Risiken älterer Arbeitnehmer nicht ignorieren. Eine pauschale Erhöhung auf 70 Jahre könne zu mehr Erwerbsunfähigkeit führen. Stattdessen sollten Anreize für längeres Arbeiten und Investitionen in Prävention geschaffen werden.
Seinen Vorschlag eines verpflichtenden Dienstjahres für Rentner begründete der DIW-Chef damit, daß bisherige Modelle die Probleme allein den Jungen aufbürdeten. Auch ältere Menschen könnten im Sozialbereich oder im zivilen Bereich der Verteidigung eingesetzt werden. Technische Fähigkeiten und berufliche Erfahrung seien dort wertvoll. Ziel sei eine gerechtere Verteilung der Lasten zwischen den Generationen.
Fratzscher warnt auch vor „fat gap“
Zuletzt fiel Fratzscher auch mit einem Beitrag in der Zeit auf. Darin warnte er vor einer Art „fat gap“ am Arbeitsmarkt. Studien zufolge verdienten insbesondere übergewichtige Frauen deutlich weniger als normalgewichtige. Diese Diskriminierung nehme mit dem Alter zu und gleiche in der Größenordnung dem Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Einkommen, dem sogenannten Gender Pay Gap.
Die Ursachen verortete Fratzscher vor allem in gesellschaftlichen Schönheitsidealen und im Verhalten von Vorgesetzten sowie Kunden. Während Diskriminierung in anderen Bereichen abgenommen habe, wachse sie beim Körpergewicht. Dies sei Ausdruck einer problematischen Werteverschiebung, die durch soziale Medien noch verstärkt werde. (sv)