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„Abkommen der Superlative“: Die Kunst des Deals mit Mercosur

„Abkommen der Superlative“: Die Kunst des Deals mit Mercosur

„Abkommen der Superlative“: Die Kunst des Deals mit Mercosur

Mercosur-Gipfel im Dezember 2024, von links nach rechts: Argentinas Staatschef Javier Milei, Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Brasiliens Präsident Lula da Silva und Paraguays Staatsoberhaupt Santiago Pena. (Themenbild)
Mercosur-Gipfel im Dezember 2024, von links nach rechts: Argentinas Staatschef Javier Milei, Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Brasiliens Präsident Lula da Silva und Paraguays Staatsoberhaupt Santiago Pena. (Themenbild)
Mercosur-Gipfel im Dezember 2024, von links nach rechts: Argentinas Staatschef Javier Milei, Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Brasiliens Präsident Lula da Silva und Paraguays Staatsoberhaupt Santiago Pena. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Matilde Campodonico
„Abkommen der Superlative“
 

Die Kunst des Deals mit Mercosur

Sie wollen an einem Strang gegen Trumps Zollpolitik ziehen: Zwischen der EU und den Mercosur-Staaten wie Argentinien soll nun ein Freihandelsabkommen in Kraft treten. Sind die Sorgen der Kritiker berechtigt?
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Es ist ein „Deal der Superlative“ den die EU-Kommission im Eilverfahren durch Parlament und Rat boxen will: 700 Millionen Menschen in einer gemeinsamen Freihandelszone, die größten Volkswirtschaften Südamerikas und Europas, einige der weltgrößten Agrarnationen zusammen mit industriellen Schwergewichten der nördlichen Hemisphäre können nun weitgehend zollfrei Waren und Dienstleistungen austauschen – zumindest wenn es nach den Plänen der EU-Kommission geht.

Seit Jahren trommelt die oberste Behörde in Brüssel für den Abschluß des Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur, dem „gemeinsamen Markt des Südens“, wie der Zusammenschluß übersetzt lautet.

Tatsächlich eint beide Zusammenschlüsse auf dem Papier viel, Mercosur wird sowohl von seinen Gegnern wie Befürwortern oft als „Proto-EU“ oder „Südamerikanische EU“ bezeichnet, die beteiligten Länder geben – analog zu den EU-Mitgliedern – Pässe heraus, bei denen die Mitgliedschaft im Mercosur vermerkt ist, eine „Vorstufe“ zu einer Art Mercosur-Bürgerstatus; gemeinsam gleichen die Mitgliedsländer Vorschriften und Richtlinien an, um so die Freihandelszone auch rechtlich auf eine neue Stufe zu heben, und bemühen sich um ein Mindestmaß an politischer Integration.

Doch wo die EU eine Gemeinschaft von einigen Großen und vielen Kleinen ist, wird Mercosur vor allem von einer Volkswirtschaft geprägt: Brasilien. Über 200 Millionen der insgesamt 270 Millionen Mercosur-Bürger leben in dem riesigen Land zwischen Belem und Porto Alegre, über 70 Prozent des Mercosur-BIP wird von Brasilien erwirtschaftet.

Vor allem Autoindustrie dürfte vom Mercosur-Deal profitieren

So ist es wenig überraschend vor allem Brasilien, das den Block politisch und wirtschaftlich dominiert. Doch der Blick auf die nackten Zahlen versteckt eine zweite Wahrheit, die gerade viele Brasilianer aus dem Norden des Landes ungern zugeben: Der wirtschaftlich stärkste Raum des Mercosur umfaßt den brasilianischen Südosten mit den Metropolen São Paulo und Rio de Janeiro, den Süden Brasiliens sowie die wirtschaftlich bedeutenden Zentren Montevideo (Uruguay) und den Ballungsraum Buenos Aires (Argentinien), die durch Handel, Logistik und Infrastruktur verbunden sind und durch die fortschreitende Integration des Blocks stark profitieren.

Der Norden Brasiliens gehört genauso wie die weitgehend menschenleeren Flächen im Amazonas, dem Chaco oder den Hochebenen Boliviens zu ökonomischen Randgebieten, deren Relevanz für die Wirtschaft des Blocks vor allem in ihrem Ressourcenreichtum liegt.

Es dürfte auch dieser Ressourcenreichtum sein, auf den die Verhandler der Europäischen Union ihr Augenmerk gelegt haben. Auf die reichen Lithiumvorkommen in Bolivien und Argentinien etwa, oder auf Mangan und Nickel aus Brasilien. Für diese Stoffe sieht das Abkommen mittelfristig einen Nullzollsatz beim Import ohne Maximalquoten und ein Verbot von Exportzöllen vor.

Eine Regelung, die vor allem bei der europäischen Autoindustrie Anlaß zu Freudentänzen geben wird. Gemeinsam mit weiteren Handelserleichterungen könnten, so zumindest die Hoffnung der Industrie, Produktionskosten deutlich gesenkt werden. Auch Batteriehersteller und Produzenten von Mikrochips können sich freuen. Gleich an mehreren Stellen des Vertragsanhangs tauchen Grundstoffe und Zwischenprodukte für diese Industrien auf – stets entweder mit einem äußerst niedrigen Zollsatz oder der Zollbefreiung.

Die wichtigsten Zahlen zum Mercosur-Deal. Quelle: EU-Kommission Grafik: JF

Österreichs FPÖ spricht von „massiver Wettbewerbsverzerrung“

Auch deshalb fürchten vor Ort einige den Ausverkauf des eigenen Landes. In Bolivien, dem jüngsten Mercosur-Mitglied mit einer ohnehin protestfreudigen Bevölkerung, kommt es immer wieder zu Demonstrationen gegen das Abkommen. Viele vor Ort sehen sich als neues Mitglied übervorteilt, man werde „marginalisiert“: „Ressourcen wie Lithium werden ausgebeutet, ohne Stimme in den Verhandlungen.“ Dies sei „Imperialismus unter dem Deckmantel des Freihandels“, wie es ein linker Abgeordneter in Bolivien ausdrückt.

Ein Einwand, der nicht unbegründet scheint, denn von den fünf Mercosur-Staaten können nur Brasilien und Argentinien eingeschränkt als Industriestandorte gelten, die anderen drei sind in erster Linie auf den Export von Agrargütern und Bodenschätzen angewiesen.

Gerade für Paraguay und Uruguay steht vor allem der Export von Agrargütern nach Europa im Fokus der Bemühungen. Die beiden dünn besiedelten Staaten gelten traditionell als Kornkammern und zählen zu den größten Exporteuren von Getreide und Rindfleisch. Auf riesigen Flächen wird in industriellem Maßstab neben Futtergetreide wie Soja auch Reis oder Weizen angebaut.

Die Viehzucht erfolgt ebenfalls in enormen Dimensionen, sowohl Uruguay als auch Paraguay zählen zu den zehn größten Exporteuren von Rindfleisch weltweit. Etwa 124 Kilogramm Rindfleisch exportiert statistisch jeder Uruguayer pro Jahr, was das Land zu einem Pro-Kopf-Exportweltmeister macht.

Es sind solche Zahlen, die in Europa Sorgen bereiten. Besonders im rechten und linken politischen Lager warnen Politiker vor einer Abwertung europäischer Qualitäts- und Umweltstandards sowie einer Beschleunigung des Höfesterbens. Von einer „massiven Wettbewerbsverzerrung“ spricht der österreichische FPÖ-Europaabgeordnete Roman Haider. Im Mercosur gebe es „deutlich weniger strenge Umwelt- und Sozialauflagen, so daß man ganz klar von unfairem Wettbewerb“ sprechen müsse.

Südamerikas Exporteure müssen EU-Standards einhalten

In der Tat liegen die Produktionskosten in Südamerika deutlich unter denen in den meisten EU-Ländern – was neben niedrigeren Lohnkosten vor allem an deutlich günstigeren Preisen für Energieträger wie Diesel oder Benzin liegt. Doch ein genauerer Blick in die Unterlagen zeigt, daß diese Warnungen unter Umständen unbegründet sein könnten. Für den Import einer ganzen Reihe an Agrargütern sind Kontingente vereinbart worden, für Rindfleisch etwa 99.000 Tonnen pro Jahr mit einer Staffelung über sechs Jahre, um Produzenten in der EU schonend auf die neue Realität vorzubereiten. Eine überraschend niedrige Zahl, die etwa 1,2 Prozent des jährlichen Gesamtverbrauchs entspricht.

Auch die Zuckerindustrie kann aufatmen. Während in Südamerika Zucker kostengünstig aus Zuckerrohr gewonnen wird, produziert Mitteleuropa Zucker aus der Zuckerrübe. Deren Anbau, der durch die EU bis 2017 mit hohen Schutzzöllen belegt wurde, wird in vielen EU-Ländern weiterhin stark subventioniert. Ein zollfreies Einfuhrkontingent für Brasiliens Rohrzucker hätte der ohnehin bedrohten Industrie vermutlich endgültig das Rückgrat gebrochen, fiel nun aber dem starken Druck aus Polen, Deutschland und Frankreich zum Opfer.

Ethanolproduzenten müssen sich hingegen künftig für einen härteren Preiskampf wappnen. Hier sind vergleichsweise hohe Kontingente vereinbart worden, mit denen europäische Produzenten kaum mithalten können. Aufatmen können auch alle, die vor einer Abwertung europäischer Standards gewarnt haben. Die EU behält ihre strikten Regeln zur Lebensmittelsicherheit, Tier- und Pflanzengesundheit, die sogenannten SPS-Standards, bei.

Wer aus Mercosur nach Europa exportieren will, muß diese Standards künftig erfüllen. Eine Bestimmung, die aufgrund der dominanten Stellung brasilianischer und argentinischer Unternehmen auf dem südamerikanischen Markt ganz nebenbei auch bei Nicht-Mercosur Ländern zu einer weiteren Angleichung lokaler Standards an Europa führen wird. Auch geographische Produktbezeichnungen wie Prosciutto di Parma oder Schwarzwälder Schinken bleiben vor südamerikanischen Kopien geschützt.

Trumps Zollpolitik macht den Deal notwendig

So richtig freuen können sich in der EU vor allem die Automobil-, Chemie-, Maschinenbau- und Pharmaindustrie. Der Wegfall von etwa 90 Prozent der Zölle in beide Richtungen führt Prognosen zufolge zu Einsparungen von ungefähr vier Milliarden Euro jährlich.

Nachdem sich jahrelang zunehmend chinesische Hersteller auf dem lukrativen südamerikanischen Markt breitgemacht haben, könnte nun eine europäische Renaissance bevorstehen. Gerade bei Landmaschinen, Kraftfahrzeugen und agrarchemischen Mitteln ist die Nachfrage nach europäischen Industrieprodukten unverändert hoch. Insbesondere deutsche Hersteller können hier auf ein traditionell gutes Image zählen.

Daß sich nun private Unternehmen auf öffentliche Aufträge sowohl in Mercosur wie auch in der EU bewerben können, wird sowohl für europäische wie auch für südamerikanische Unternehmen von größerem Interesse sein. Der brasilianische Flugzeughersteller Embraer hat bereits in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit Ausschreibungen in der EU gesammelt, weitere Unternehmen aus der Region dürften folgen.

Einer, der sich deutlich weniger freuen wird, sitzt weder in Brüssel noch in Brasilia. Denn auch darin sind sich Politiker, Journalisten und Experten auf beiden Seiten des Atlantiks einig: ohne Donald Trump und seine Zollpolitik wäre dieser Freihandelsdeal so schnell nicht zur Umsetzung gekommen. Der von Trump forcierte Protektionismus traf Mercosur mindestens so hart wie die EU und führte hüben wie drüben die Notwendigkeit einer geopolitischen Neuausrichtung den Verantwortlichen deutlich vor Augen.

Aus der JF-Ausgabe 38/25.

Mercosur-Gipfel im Dezember 2024, von links nach rechts: Argentinas Staatschef Javier Milei, Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Brasiliens Präsident Lula da Silva und Paraguays Staatsoberhaupt Santiago Pena. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Matilde Campodonico
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