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Undank ist des Meisters Lohn

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Karl Schiller, neben Ludwig Erhard der zweite legendäre Wirtschaftsminister der Bonner Republik, hat ein intelligenteres Buch verdient und einen kompetenteren Autor als den 34jährigen Politologen Torben Lütjen, der sich als selbst als Mitarbeiter des DFG-Graduiertenkollegs „Freunde, Gönner, Getreue: Praxis und Semantik von Freundschaft und Patronage in historischer, anthropologischer und kulturvergleichender Perspektive“ der Universität Freiburg ausweist. Der Leser, der erfahren will, mit welchen Methoden und Mitteln der Wirtschafts- und spätere Finanzminister der ersten Großen Koalition von 1966 bis 1969 Erhards überraschend eingebrochenes „Wirtschaftswunder“ rettete, innerhalb von 18 Monaten fast zwei Millionen Arbeitslose von der Straße zurück an ihren Arbeitsplatz holte und dem stark verblaßten Modell der Sozialen Marktwirtschaft neuen Glanz und wählerwirksame Zustimmung verlieh, sieht sich enttäuscht. Lütjen bietet einen bunten Potpourri aus Schillers reicher Vita. 1911 in Breslau geboren, studierte Schiller Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft in Kiel, Frankfurt am Main, Berlin und Heidelberg. Lütjen beginnt mit Schillers Wirken im NS-Staat und seiner Militärzeit im Zweiten Weltkrieg, geschildert wird sein Vor- und Privatleben, seine Eheverhältnisse, sein Dauerclinch als bunter Hackspecht unter dem schon damals farblosen Sperlingshaufen seiner Parteifreunde in der SPD, seine im Staatsamt lustvoll ausgelebte Rolle als Diva unter den Politstars seiner Zeit. Lütjen porträtiert den ebenso erfolgreichen wie selbstbewußten Wirtschaftspolitiker als eine menschlich bedauernswerte, weil seelisch vereinsamte Mischung aus Heinrich Manns Professor Unrat, dem die Frauen zum Verhängnis werden – und Woody Allen. Nur daß Schillers offenbar unheilbare Neurosen nichts Komisches an sich haben, sondern tragisch enden; tragisch enden müssen, wie uns der Autor (das ist die Quintessenz seiner psychologischen Deutung) von der Einleitung an wissen läßt. Der Held ist arrogant, solange er Erfolg hat. Seine Arroganz kostet ihn zwangsläufig das Amt. Doch sein Sturz macht ihn (dank seiner vierten Ehefrau) wieder zum Menschen; er wird gegen Lebensende ein guter Opa. Dieses Schiller-Bild ist ein Kitschroman der fürchterlichsten Sorte. Daran ändert auch der polithistorische Hintergrund nichts. Zwar sind Fakten und Zeitangaben richtig ermittelt, doch stimmen weder Deutung noch Verknüpfung. Kein Wunder, denn der Biograph stützt sich bei seinen Recherchen mehr auf Schiller-Kritiker als -freunde, auf tote Quellen statt auf noch lebende Zeitzeugen. Oder auf Auskunftspersonen wie eine Spiegel-Korrespondentin, der Schiller leichtsinnigerweise einmal ein Mammut-Interview gegeben hatte. Lütjen vertraut auf von Schiller enttäuschte oder ihn ablehnende Partei-„Freunde“ wie auf einen Abteilungsleiter, der den Chef als befristetes Übel betrachtete und alles dransetzte, ihn zu überleben. Das wirklich Fatale jedoch ist: Der Autor ist auf beiden Augen blind für Schillers gerade heute so herausragende Aktualität. Von ihm könnten beide wieder in einer Großen Koalition vereinten Volksparteien lernen, wie man gut regiert und eine Politik macht, welche die breite Zustimmung des Volkes findet, die die Regierungsautorität und Demokratie stärkt, statt sie unheilvoll zu schwächen. Politikverdrossenheit hat es mit Schiller nicht gegeben – und würde es wohl auch heute nicht geben. Schiller hat zusammen mit seinem „Widerpart“, Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß (CSU), die Reformen angestoßen, um die sich seine Nachfolger im Amt heute feige (und parteiegoistisch) herumdrücken: die Sanierung der Städte und Gemeinden, der größten und wichtigsten öffentlichen Investoren im Land, der langfristigen (nicht kurzatmigen) Haushaltsplanung und -sanierung, des Wildwuchses im deutschen Geld-, Bank- und Börsenwesens. Die Umsetzung und Fortführung der Bankenenquête von 1968 (für die er den Verfasser in sein Ministerium holte) hätte Deutschland die schwersten Auswirkungen der Finanzkrise auf Volkswirtschaft, Haushalt und Arbeitsmarkt erspart. Schiller hat im Amt und ab 1972 als Gestürzter wie kein anderer Politiker seiner Generation für den Erhalt und die Stabilität der D-Mark als unverzichtbarer deutscher Währung gekämpft. Er hat mit seiner Aufwertungspolitik ein Stabilitätsmodell geschaffen, wie man die Kaufkraft von Einkommen und Vermögen gewährleistet, ohne den Pferdefuß hoher Zinsen und teurer Kredite unter denen die Investitionen des Mittelstandes leiden. Er hat mit großer Souveränität die schon damals bestehenden Pläne für den Ersatz der D-Mark durch ein europäisches „Teuro“-Geld vom Tisch gewischt, indem er die Währungsunion an nachprüfbare (und nicht manipulierbare) Stabilitätsvorbehalte band. Sie schlossen den heutigen Euro aus. Gerade in diesem Kampf um die D-Mark hat ihn sein Schüler und Nachfolger im Amt, Helmut Schmidt – und nach ihm alle Kanzler von Helmut Kohl bis Angela Merkel, einschließlich der Deutschen Bundesbank – schmählich verraten. Schiller war eben kein Woody Allen, sondern ein deutscher Patriot. Was sein Biograph überhaupt nicht begreift: Seine fachliche Brillanz war nicht seinem Ego geschuldet, sondern der Sache, um die er kämpfte. Er nahm seinen Amtseid: „Schaden vom deutschen Volk zu wenden“, bitter ernst. Dafür setzte er seine Rhetorik ein. Sie war seine Waffe gegen Dummheit, Lobbyismus und politischen Klüngel, sei es zu Hause oder auf dem internationalen Parkett. Dafür hat ihn das einfache (Wähler-)Volk geliebt, denn es spürte hinter seiner professoralen Attitüde den überlegenen Sachverstand und die politische Ehrlichkeit. Beides kam im Ausland besser an als in den Führungsgremien seiner Partei, die er 1972 verließ. Von alldem ist in Lütjens Schiller-Biographie keine Rede. Sie rechtfertigt das böse Wort, daß eine Biographie oft mehr über den Biographen aussagt als den Biographierten. Das ist um so trauriger, als sie die erweiterte Fassung einer Dissertation darstellt. Was ist das für eine „politische Wissenschaft“, die Beiträge auf Illustriertenniveau akademisch auszeichnet; was sind das für Professoren, die ihrem Fach so etwas antun! Einer, der den Autor permanent beraten hat, vergaß sogar die von ihm mitedierte Festschrift zu Karl Schillers 75. Geburtstag zu erwähnen, in der die Fachwelt Karl Schillers Verdienst um die Modernisierung der Wirtschaftspolitik ohne Abstriche würdigte (Heiko Körner/Hrsg.: Die Zukunft der Globalsteuerung, 1986). Sie endet mit einem Zitat Friedrich Schillers: „Denn wer den Besten seiner Zeit genug getan, der hat gelebt für alle Zeiten“. Das gilt nicht nur für seinen Wallenstein, sondern auch seinen späteren Namensvetter. Torben Lütjen: Karl Schiller (1911-1994) – „Superminister“ Willy Brandts. Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Band 76. Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger, Bonn 2008, gebunden, 404 Seiten, 34 Euro Foto: Bundesminister Strauß und Schiller (r.): Wie Plüsch und Plum

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