Thomas Kerschner* ist Reporter bei einer großen Berliner Boulevardzeitung. Er kennt sich bestens aus in der Hauptstadt und hat über die Geschichte des Gianni C. geschrieben. Schreiben müssen. Denn er hatte Anweisungen von oben. Gianni C. ist ein italienischer Zuwanderer. Vor einem guten Jahr ist er am U-Bahnhof Eberswalder Straße im Stadtteil Prenzlauer Berg von Rechtsextremisten brutal überfallen worden. Sie prügelten ihn mit einer Keule fast tot, weil er ihnen keine Zigarette geben konnte. „Verprügelt, weil er kein Deutscher ist“, schrieb die Zeitung hinterher. Es gab eine Riesenaufregung um diesen neuen Fall „ausländerfeindlicher Gewalt“. Sofort sprangen alle Sender und Zeitungen auf diesen Zug auf und berichteten umfassend. Am Tag nach dem Übergriff demonstrierten gewaltbereite Antifa-Chaoten mit einem Spontanprotestzug gegen rechte Gewalt in ihrem Bezirk. Das Problem an der Geschichte von Gianni C.: Sie war erstunken und erlogen. Und jeder, der seinen Verstand benutzt, wußte es. In diesem Szenebezirk in der Berliner Innenstadt gibt es alles mögliche, aber keine „Nazis“. Und an der besagten Stelle ist rund um die Uhr Betrieb, so daß ein Überfall nicht unbemerkt vonstatten gehen kann. Gianni C. ist betrunken auf die Gleise gestürzt und hat aus Scham über die entstandenen Verletzungen dieses Ammenmärchen erfunden. Am Ende der Woche mußte auch Kerschners Blatt zurückrudern. Die Zeitung beschimpfte Gianni C., dessen haarsträubende Lügengeschichte sie eben noch als ungeschminkte Wahrheit verbreitet hat, jetzt als „Lügenitaliener im Knast“. Eine Entschuldigung bei den Lesern hingegen erfolgte nicht. Ein halbes Jahr später räumt Kerschner selbstkritisch ein, das sei „Scheiße gelaufen“. Wörtlich sagt er: „Du kannst solche Sachen nicht gegen den Trend schreiben. Wenn alle anderen das schreiben, dann mußt du es auch.“ Seine Kollegin Sandra Meins*, die ebenfalls bei der gleichen Zeitung mit der Geschichte vertraut war, ist zu ihrem zuständigen Ressortleiter gegangen und hat gefragt, ob es richtig war, Gianni C.s Lügenmärchen einfach so abzudrucken. Die Reaktion ihres Chefs war ein gelangweiltes Achselzucken. „Und dann hat er mich einfach stehengelassen“, berichtet sie weiter. Diese geschilderten Ereignisse sind typisch für die Mechanismen in den deutschen Zeitgeistmedien. Selbst diejenigen Journalisten, die diese Geschichten über angeblich ausufernde rechte Gewalt verfassen (müssen), glauben selten daran. Es gibt natürlich Journalisten, die aus ihrer Überzeugung heraus vorsätzlich ein politisches Süppchen kochen, der „Rechtsextremismusexperte“ vom Tagesspiegel Frank Jansen etwa oder der „Enthüllungsspezialist“ Anton Maegerle (alias Gernot Modery). Die meisten anderen Journalisten folgen dann – was töricht ist – stumpf dem Zeitgeist, der nach immer neuen Bedrohungsszenarien schreit – sei es durch Klimawandel, Fettleibigkeit, Alkoholismus oder eben Nazis. Die Objektivität bleibt dabei auf der Strecke. Schröder rief den „Aufstand der Anständigen“ aus So bauschten Medien einen auf die Düsseldorfer Synagoge geworfenen Molotowcocktail zum antisemitischen Neonazi-Brandanschlag auf. Der Tagesspiegel sah eine „Welle von Rassenhaß“ über das Land hinweggleiten. Und das, obwohl sich der Übergriff später als Tat zweier jugendlicher Araber herausstellte. Im Sommer davor war bereits ein Sprengstoffanschlag auf dem Düsseldorfer Bahnhof verübt worden. Weil die Opfer – es gab Schwerverletzte -überwiegend russische Juden waren, kursierte auch hier schnell das übliche Täterprofil: rechtsradikale Antisemiten – wer sonst? In der Welt forderte Chefredakteur Wolfram Weimer aufgeregt „Null Toleranz! Null Toleranz!“ und schrieb: „Wenn im Osten ganze Landstriche von rechtsradikalen Gangs terrorisiert werden, wenn sich Diplomaten im neuen Berlin nicht mehr in manche Stadtteile trauen, wenn in Frankfurt an der Oder ausländische Studenten Dauerterror ausgesetzt sind – dann wird es höchste Zeit, daß etwas geschieht.“ Es ist dann auch etwas geschehen: Bundeskanzler Gerhard Schröder rief die den „Aufstand der Anständigen“ aus. Die Täter wurden indes nie ermittelt. Auch im Jahr 2000 kam ein drei Jahre altes Verbrechen ans Tageslicht, das in die Kategorie „Nazi-Übergriff“ gehört: der Fall Joseph. Durch den angeblichen Mord an einem sechsjährigen irakischen Jungen, der „wie eine Katze ertränkt“ worden sei (Süddeutsche Zeitung), geriet die sächsische Kleinstadt Sebnitz ins Fadenkreuz einer nationalen Kampagne. Der Mord, den 300 Badegäste gleichgültig beobachtet haben sollen, sei mit das „Scheußlichste, was in Deutschland in den letzten Jahren passiert ist“, war die Bild-Zeitung überzeugt. Aber die Geschichte des kleinen Joseph war von Anfang an haarsträubend unglaubwürdig. Natürlich war sie erlogen. Trotzdem hielten „die meisten Medien wochenlang das Unwahrscheinliche für sehr wahrscheinlich und das Monströse für normal“, räumte die Berliner Zeitung, die sich selbst nach Kräften an der Kampagne gegen die von „Nazis bevölkerte Sächsische Schweiz“ beteiligt hatte, später reumütig ein. *Namen von der Redaktion geändert