Gegenwärtig ist sein Name immer noch an den Roman „Berlin Alexanderplatz“ (1929) gebunden, während das restliche uvre, bestehend aus zahlreichen Romanen, Essays, Kurzgeschichten, Drehbüchern usw. weiterhin auf Entdeckung wartet. Als Einar Schleef sein „Verratenes Volk“ (2000) auf die Bühne des Deutschen Theaters stemmte, konnte er vom Publikum bezüglich der Vorlage – Döblins Roman „1918 – Eine deutsche Revolution“ – kaum Vorkenntnisse erwarten. Dabei sind die Stühle, zwischen die der anarchische Döblin sich setzte, von der Geschichte fast völlig weggeräumt. Bruno Alfred Döblin, geboren 1878 in Stettin, betrat als Zehnjähriger die Stadt Berlin, deren Image er maßgeblich prägen sollte. 25 Jahre später eroberte er als studierter Mediziner dort die literarische Bühne mit der „Ermordung einer Butterblume“ (1913), einer expressionistischen Kurzgeschichte vom Zertreten einer Blume, was im Täter zur Zwangsneurose mutiert und seine Seele konsequent auffrißt. Zuletzt widmet er ihr bizarre Totemkulte. Ein psychiatrisches Sujet sowie literarisches Pendant zu Sigmund Freuds Studie „Totem und Tabu“, die im gleichen Jahr erschien. Als Psychiater eröffnete Döblin eine Praxis in Berlin, Frankfurter Allee. Seine Patienten bestanden aus ansässigen Arbeitern und Arbeitslosen. Erfahrungen mit diesen Menschen flossen in „Berlin Alexanderplatz“ ein, der später den Filmregisseur Rainer Werner Faßbinder (JF 24/07) faszinieren wird, weil er „den sog. ‚Kleinen‘ die gleiche Größe zubilligt, wie sie in der Kunst gemeinhin nur den sog. ‚Großen‘ zugebilligt wird“. Dem Transportarbeiter Franz Biberkopf werde „ein derartig differenziertes Unterbewußtsein zugestanden, wie es den meisten Figuren der Weltliteratur (…) so weitgehend nicht gegönnt wird“. Döblin schildert den Alexanderplatz als „Lebewesen“, seine Collagen- und Assoziationstechnik lassen ihn wie einen lebendigen Organismus erscheinen: eine organische Philosophie der Allbeseelung, die in seinem letzten Buch vor der Emigration, in „Unser Dasein“ (1933), theoretische Ausformulierung fand. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft floh Döblin 1933 zunächst nach Frankreich, dann über Lissabon in die USA. Dort schrieb Drehbücher für die Metro Goldwyn Mayer. Seine Philosophie des Organischen erweiterte sich um einen metaphysischen „Weltengrund“, den er ab Mitte der 1930er Jahre mit dem Gott des Judentums für identisch erklärte. In den USA konvertierte er schließlich zum Katholizismus. Nach dem Krieg war Döblin einer der ersten Emigranten, die 1945 nach Deutschland zurückkehrten, um sich dort am kulturellen Wiederaufbau zu beteiligen, was jedoch in bittere Enttäuschungen mündete. Der letzte Roman, „Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende“ (1956), fragt anhand von Mythen und Legenden radikal nach dem menschlichen Versagen im Zweiten Weltkrieg, ohne dabei finale Antworten aufzuweisen. Privat projizierte der alte Döblin seine Hoffnung und ungelebte Liebe auf den katholischen Marienkult. Er starb am 26. Juni 1957 bei Freiburg im Breisgau.