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Kapitäne der Marktwirtschaft

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Das wirtschaftliche Wachstum war über Jahrhunderte ein langsamer und keineswegs stetiger Prozeß. Soweit überhaupt eine Gütermehrung zu registrieren war, handelte es sich um extensives Wachstum. Solches tritt auf, wenn eine wachsende Bevölkerung eine größere Landfläche für Agrar-, Vieh- oder Waldwirtschaft nutzt. Das führt jedoch nicht zu höherer Produktivität – und somit auch nicht zu höherem Lebensstandard. Ganz anders beim intensiven Wachstum. Hierbei entstehen mehr Produkte bei gleichem oder sogar geringerem Faktoreinsatz (Einsatz von Arbeit und Kapital). Die Produktivität steigt also, und das Resultat ist ein höherer Lebensstandard der Bevölkerung. Aber intensives Wachstum gab es in der Menschheitsgeschichte vor der Industrialisierung nur auf dem Han-delssektor – und dort nur in bescheidenem Maß. Der Zuwachs an Gütern je Kopf der Bevölkerung lag nur selten bei mehr als einem Prozent pro Jahr. Die meisten Menschen konnten im Verlauf ihrer (damals relativ kurzen) Lebenszeit kaum eine Verbesserung ihrer Existenzbedingungen feststellen.

Das änderte sich ziemlich plötzlich um die Mitte des 19. Jahrhunderts, jedenfalls in Mitteleuropa und in den USA. Die Wachstumsraten stiegen auf zwei bis drei Prozent pro Jahr. Technische Innovationen traten auf und wurden zunehmend rasch in die Tat umgesetzt. In den fünfzig Jahren zwischen 1850 und 1900 stieg der Lebensstandard in den Industrialisierungsländern um mehr als in den 500 vorangegangenen Jahren.

Als Hauptursache haben die Ökonomen die Tatsache ausgemacht, daß mittlere und größere Unternehmen entstanden, deren Geschäftsumfang und Tätigkeitsbereich über die bisherigen Handwerks- und Kleinhandelsaktivitäten hinausging. Immer mehr Unternehmerfiguren traten auf, gründeten Firmen und weiteten deren Produktions- und Handelsvolumina mit zunehmender Geschwindigkeit aus. Der Übergang schließlich vom Unternehmer als alleinigem "Herr im Haus" zu hierarchisch gegliederten Management-Organisationen machte den Aufbau von Großunternehmen mit Massenproduktion möglich, was den Lebensstandard der breiten Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und im 20 Jahrhundert dramatisch steigen ließ. Besonders die Phase der Gründung und des Ausbaus großer Aktiengesellschaften in der Zeit zwischen 1870 und 1914 nennt man aus guten Gründen die Zweite industrielle Revolution, die Gründerjahre und die Belle Epoque.

Die innerbetriebliche Arbeitsteilung, also die Zerlegung der Produktionsprozesse in viele kleine Schritte – auch im Rahmen der Fließbandarbeit – hat die Beschäftigung von Millionen ungelernter oder geringqualifizierter Menschen möglich gemacht und damit die wachsenden Bevölkerungsmassen in Lohn und Brot gebracht. Massenproduktion und Massenbeschäftigung haben sich wechselseitig begünstigt. Löhne für alle ergaben rapide steigende Güternachfrage. Das wiederum machte Massenproduktion lohnend. Und mit der Massenproduktion wurden die Güter immer billiger, so daß sie von immer mehr Leuten gekauft werden konnten. Ein sich selbst beschleunigender Prozeß.

Die Großunternehmen waren bei ihrem raschen Wachstum auf ein wachsendes Heer an kleinen Zulieferern und Verteilern (Handels- und Transportfirmen) angewiesen, die ihrerseits immer mehr Leute beschäftigen konnten. Es waren (und sind) die Unternehmer – die kleinen, mittleren und großen Unternehmer -, die unsere Welt von einem Platz des Elends, des Hungers, der Not und der Rückständigkeit in einen Planeten des Wohlstands und der tausendfältigen Lebenschancen verwandelt haben.

Zwar ist Kapital der wichtigste Engpaßfaktor, ohne den gar nichts geht, was Fortschritt, Wohlstand und Zivilisation anbelangt; aber ohne Unternehmer ist dieses so wertvolle Kapital trotzdem wertlos. Es entsteht dann erst gar nicht, sammelt sich nicht an, wird – soweit überhaupt vorhanden – nicht eingesetzt oder falsch eingesetzt (wie zur Bereicherung der Herrschaftscliquen und zu Waffenkäufen). Kapital ohne Unternehmer entspricht einem Automobil ohne Motor und ohne Fahrer. Die Unternehmer sind die alles entscheidenden Figuren im großen Schachspiel namens Wohlstand der Nationen. Sie sind die eigentlichen Helden der Neuzeit.

Gleichwohl war (und ist) ihr Lohn bei den Intellektuellen und bei weiten Teilen der Bevölkerung nur Schimpf und Schande. Besonders die Funktionäre aller Art, die als Parasiten des von Unternehmern geschaffenen Reichtums leben, tönen am lautesten von "Ausbeutung" und "Profitgier", um sich als Beschützer des kleinen Mannes gegen die angebliche unternehmerische Willkür aufspielen zu können.

Die Unternehmer sind die alles entscheidenden Figuren im großen Schachspiel namens Wohlstand der Nationen. Sie sind die eigentlichen Helden der Neuzeit.

Der Ökonom Wilhelm Röpke hat von der Unternehmerfunktion das treffliche Bild von einem Kapitän in gefährlichen Gewässern gezeichnet. "Jede Unternehmung, die erfolgreich sein will", so Röpke, "wird die Abstimmung der Produktion auf dem Markt, das heißt auf das fortgesetzte Konsumentenplebiszit, als oberste Aufgabe ansehen. (…) Da aber die Impulse und Reaktionen des Marktes ein Feld äußerster Unsicherheiten und Unberechenbarkeiten sind, so wird der Unternehmer zu einem Kapitän, dessen Hauptaufgabe die Navigation auf dem Meere des Marktes mit seinen Strömungen, Stürmen und Untiefen ist. Diese Navigationsfunktion bleibt trotz aller ’nautischen Hilfsmittel‘ (Marktforschung, Statistik und andere) eine solche, die die Urteilskraft, Erfahrung, den Charakter, den sicheren Instinkt des geschulten Kapitäns erfordert, ein fortgesetztes Urteilen und Entscheiden nach abgewogenen Wahrscheinlichkeiten. Daraus folgt der unschätzbare Wert des Unternehmers und einer wirtschaftlichen Ordnung wie der Marktwirtschaft, die so beschaffen ist, daß sie ständig für die beste Auslese der wirtschaftlichen Navigatoren sorgt und den wirksamsten Antrieb für die Höchstleistung des Unternehmers und für die höchste Sorgsamkeit gewährleistet, mit der er seine Entscheidungen trifft."

Nun ist der Unternehmer zwar Kapitän seines Unternehmensschiffes, aber das Ziel der Reise wird vom Konsumenten bestimmt. Ludwig von Mises schrieb dazu: "Der Markt der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ist Demokratie der Verbraucher. Die Käufer sind souverän, ihr Kaufen und ihr Nichtkaufen leitet die Produktionsmittel in die Hände derer, die sie so zu verwenden wissen, daß sie die Wünsche und Begehrungen der Verbraucher, so gut es geht und so billig es geht, befriedigen. Daß die einen reicher und die anderen ärmer werden, ist das Ergebnis des Verhaltens der Verbraucher. (…) Der Konsument allein herrscht in der kapitalistischen Wirtschaft. Die Unternehmer und die Kapitalisten sind seine Diener, die auf nichts anderes bedacht sind als darauf, die Wünsche des Verbrauchers zu erraten und nach Maßgabe der verfügbaren Mittel zu befriedigen. Unternehmer und Kapitalisten gehen aus einem täglich wiederholten Wahlverfahren hervor, sie können jeden Tag ihren Reichtum und ihre bevorzugte Stellung verlieren, wenn die Konsumenten ihnen die Kundschaft entziehen. Es ist töricht, wenn der Verbraucher den Männern, die er reich gemacht hat, indem er ihre Dienste in Anspruch nimmt, den Reichtum neidet. Der Verbraucher schädigt sich selbst, wenn er Maßnahmen gegen ‚big business‘ fordert."

Die meisten Bürger neiden den Unternehmern ihre manchmal sehr hohen Einkommen. Doch gilt es zu bedenken: Wenn Boß X viel Gewinn erzielt, kann das uns allen nur recht sein. Es beweist, daß er mit seinen Investitionen richtig lag und den Wohlstand aller gemehrt hat, sonst hätte ihn der Markt (die Konsumenten) nicht so reichlich belohnt. Ein solcher Unternehmer kann uns gar nicht "teuer" genug sein, denn die Alternative zu seiner Figur ist der Minister. Und jeder Minister kommt uns wahrlich teuer. Er verschwendet ungezählte Millionen, ja Milliarden, nicht für ertragreiche Investitionen, sondern für Projekte, die seinem und seiner Partei Machterhalt dienen; er investiert nicht sein eigenes Geld oder geliehenes Geld, für das er geradestehen muß, sondern er zieht die Mittel unter Gewaltandrohung aus unseren Taschen; er kennt keine Gewinn- und Verlustrechnung und wird weder vom Markt (von den Konsumenten) noch vom Gerichtsvollzieher oder vom Konkursrichter zur Rechenschaft gezogen; und er macht letztlich nichts anderes, als den Pferden, die den Karren unseres Wohlstands nach vorne ziehen, immer schwerere Lasten aufzubürden. Jeder Minister ist unendlich viel teurer als alle Unternehmer zusammen. Je mehr Unternehmer einnehmen, desto wohlhabender werden wir alle; je mehr Minister einnehmen, desto ärmer werden wir alle.

Zur Zeit des deutschen Wirtschaftswunders ist die Zahl der unternehmerischen Existenzen geradezu explodiert. Heute aber nimmt ihre Zahl ab. Seit 1999 sinkt die Zahl der Unternehmensgründungen rapide. In Deutschland fehlen mindestens 550.000 Unternehmer, wenn wir nur den internationalen Durchschnitt der Industrieländer an Selbständigen und Firmeneignern erreichen möchten. Die Gesetzesflut und die Steuer- und Abgabenwut in Deutschland machen den Unternehmer-Beruf immer mehr zum Survival-Abenteuer im Paragraphendschungel. Kaum ein junger Mensch strebt noch eine Unternehmertätigkeit an.

Der machthungrigen Politik kann dieser Trend nur recht sein, denn sie braucht möglichst viele abhängige – und möglichst wenige eigenständige Wähler. Jeder Selbständige ist eine kleine Festung gegen den Herrschaftsanspruch der politischen Kaste und der Funktionäre, weshalb diese den Preis der Freiheit immer weiter in die Höhe treiben. Der Preis der Freiheit trägt den Namen Risiko. Und der Preis für das Versprechen des Staates, die Bürger vor Risiken zu schützen, buchstabiert sich als Knechtschaft. Das politische Schachergeschäft "Sicherheit gegen Wählerstimmen" ist trügerisch und betrügerisch, denn an seinem Ende stehen Armut, Abhängigkeit und Tyrannei – und somit die größte aller Unsicherheiten. Doch nun, ausgesaugt und ausgelaugt vom kleptokratischen Würgegriff der politischen Lieferanten einer angeblich umfassenden Sicherheit, ist der Preis der Freiheit so hoch geworden, daß ihn kaum noch jemand zahlen kann. Das Werk der umfassenden Abhängigkeit und Entmündigung der gesamten Bevölkerung ist fast vollbracht.

Regulierungen, Gesetzesflut, Bürokratie, Verordnungs- und Instanzen-Dschungel sowie die Labyrinthe des Steuer-, Arbeits- und Sozialrechts wirken nicht nur effizienzmindernd und lähmend auf bestehende Unternehmen, sondern sind auch abschreckend für potentielle Neugründungen. Sie stellen immer höhere Qualifikations- und Kostenanforderungen an das Management und den unternehmerischen Nachwuchs. So wie das Höherlegen der Latte beim Hochsprung die Zahl derjenigen verringert, die den Sprung überhaupt noch sinnvoll wagen können, so verringert das Auftürmen staatlicher und tariflicher Hindernisse auch die Zahl der Unternehmer und Manager, die am wettbewerblichen Wirtschaftsprozeß überhaupt noch mit Aussicht auf Erfolg teilnehmen können. Damit verringern sich auch die Chancen für Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand des betreffenden Landes. (…)

Gottlob eröffnet die Globalisierung neue Chancen für Unternehmer an anderen Ecken unseres Planeten. Und viele unserer besten Kräfte haben die Gelegenheit bereits ergriffen – und weitere werden sie ergreifen.

Der Werdegang einer Firma beginnt fast immer mit einem mutigen "Einzelkämpfer", entwickelt sich dann zum Kleinunternehmen, und danach, bei anhaltendem Erfolg, zum mittleren und manchmal zum großen Unternehmen. "Von oben" aufpfropfen oder durch staatlichen Akt "einführen" läßt sich Unternehmertum und eine unternehmerische Kultur nicht. Ein marktwirtschaftliches Lehrstück hierfür waren die Vorgänge in der Ukraine nach deren Wiedererlangung der Souveränität durch den Zusammenbruch des Sowjetimperiums. Die Regierung führte eine halbherzige Landreform durch. Neben großen Genossenschaftsfarmen entstanden auch elf Millionen Gartenparzellen, die Ende 1992 per Präsidialdekret an die Bevölkerung verteilt wurden.

Obwohl die privaten Gartengrundstücke nur 14 Prozent des bebaubaren Bodens des Landes umfaßten, wurde auf ihnen schon im Jahr 1996 etwa 95 Prozent der nationalen Kartoffelernte, 82 Prozent des Gemüses, 67 Prozent der Eier, und über 50 Prozent des Fleisches und der Milch erzeugt (Unternehmertum "von unten"). Die neuen Genossenschaften hingegen verzeichneten noch schlechtere Ergebnisse als die ohnehin miserablen Erträge der vormaligen Kolchosen und Sowchosen der Sowjetära. Der Hauptgrund: Man hatte die Leitung der Unternehmen an ehemalige Apparatschiks oder an Manager ehemaliger Staatsfirmen übertragen (Unternehmertum "von oben").

So aber läßt sich eine unternehmerische Kultur nicht generieren. Sie muß "von klein auf" – also organisch – heranwachsen. Aus dem Humus der vielen Kleinen wachsen alsdann diejenigen Persönlichkeiten heran, die zu mehr und zu besserem fähig und willens sind. Die Lernprozesse müssen "erlebt" werden und können nicht von oben befohlen oder aufgepfropft werden. Von oben müssen im Transformationsprozeß von der Plan- zur Marktwirtschaft die Rahmenbedingungen gesetzt werden, vor allem gesicherte Eigentumsrechte und das Rechtsgefüge für den Schutz und die Durchsetzung von Verträgen. Was nicht von oben kommen kann, sind Unternehmer. Wenn man politische Figuren über Nacht zu "Unternehmern" erklärt oder sie unter Rückgriff auf die "alten Seilschaften" installiert, dann entsteht nur eine wirtschaftlich ineffiziente Mafia-Ökonomie und ein neuer politisch verfilzter "militärisch-ökonomischer Komplex".

Dieselbe Erfahrung muß Rußland machen. Es fehlt nicht nur Realkapital, sondern auch – und ganz besonders – das für eine Marktwirtschaft unerläßliche unternehmerische Humankapital. Unter Stalin wurden ganze Bevölkerungsschichten vernichtet, vor allem Bauern, Kaufleute und Unternehmer (jedenfalls diejenigen, die nach den Gemetzeln der Revolution von 1917 noch übriggeblieben waren). Ab dann herrschten 45 Jahre lang nur Funktionäre und Politbonzen über ein Volk von Knechten und Befehlsempfängern. Woher soll da unternehmerisches Humankapital für eine funktionierende Marktwirtschaft kommen?! Was sich "Privatisierung" nennt, ist ein Verschiebebahnhof für ehemals politische Eliten und somit ein Trauerspiel nach dem Motto "Von der Ausbeutung durch politische Verbrecher zur Ausbeutung durch private Verbrecher". Wie soll da die Friedensordnung des Marktes entstehen?!

Man kann eine Unternehmerkultur auch langsam ausrotten und in schleichender Form politisieren. Dieser Prozeß läuft seit Jahrzehnten in Deutschland ab. Schon den Grundschülern bringt man bei, daß Unternehmer und "das große Geld" schlecht seien; an den Universitäten gilt der Sozialismus nach wie vor als Ideal der intellektuellen Eliten; und die Unternehmer, die das Land noch nicht verlassen haben, mühen sich mehr und mehr im politischen Geschäft um Subventionen und Steuervorteile, um Genehmigungen und Ämterstempel sowie als verlängerter Verwaltungsarm der Fiskal- und Sozialbürokratie – also bei Aufgaben, die mit Unternehmertum eigentlich nichts zu tun haben.

Gottlob eröffnet die Globalisierung neue Chancen für Unternehmer an anderen Ecken unseres Planeten. Und viele unserer besten Leistungskräfte haben die Gelegenheit bereits ergriffen – und weitere werden sie ergreifen, auch wenn die europäischen Regierungen nichts unversucht lassen, die größeren Freiheitsräume für Unternehmer in anderen Ländern auf dem Wege der "Harmonisierung" zu verrammeln. Unternehmer wollen eben – zu ihrem eigenen und zu unser aller Nutzen und Wohlergehen – etwas unternehmen; und wenn das hierzulande nicht mehr geht oder allzu schwierig wird, dann eben anderswo.

Roland Baader ist Nationalökonom, Sozialphilosoph und Autor zahlreicher Bücher und Schriften. Bei dem hier veröffentlichten Text handelt es sich um ein stark gekürztes Kapitel aus seinem diese Woche erschienenen Buch "Das Kapital am Pranger – Ein Kompaß durch den politischen Begriffsnebel", Resch Verlag, Gräfelfing 2005, 300 Seiten, broschiert, 18 Euro

Bild: Ruder auf dem Windjammer Sedow: Der Preis der Freiheit trägt den Namen Risiko

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