POTSDAM. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende des BSW im Brandenburger Landtag, Christian Dorst, ist offenbar zum Rücktritt gezwungen worden. Damit verschärft sich die Krise in der Fraktion, die mit der SPD die Landesregierung von Ministerpräsident Dietmar Woidke stützt, weiter. Auch der Zusammenhalt der einzigen SPD-BSW-Koalition in einem Bundesland steht immer mehr auf der Kippe. Zuvor hatte nur einer von 14 BSW-Abgeordneten dem Rundfunkstaatsvertrag zugestimmt (die JF berichtete). Im Vorfeld waren sogar vier Parlamentarier aus der Wagenknecht-Partei ausgetreten.
Das aktuelle Beben im BSW hatte seinen Ausgang in einem X-Post von Dorst. Dort hatte er den AfD-Spitzenkandidaten für Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, für ein angebliches Zitat zur Judenvernichtung im Dritten Reich gelobt. Siegmund soll gesagt haben: „Ob der Holocaust das schlimmste Menschheitsverbrechen war, das mag ich mir nicht anmaßen zu bewerten.“
Der 55jährige Dorst schrieb deswegen über den 20 Jahre jüngeren Siegmund: „Er macht den Wilhelm Tell, in dem er sich weigert, den Gesslerhut zu grüßen und dies auf eine ziemlich elegante Art, ganz nach Sokrates.“ Und als „wahrhaft perfide“ bezeichnete Dorst dann das Statement des Präsidenten des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, der Siegmund NS-Sympathien vorwarf. Er hielt Schuster eine „Instrumentalisierung des Holocaust“ vor.
Antisemitismusbeauftragter kritisiert BSW-Politiker
Das Grüßen des Gesslerhuts ist eine Redensart, um auszudrücken, daß sich jemand öffentlich zwingen läßt, untertäniges Verhalten zu zeigen. Tell hatte das verweigert. Friedrich Schiller hatte das in seinem Drama verewigt.
Der Antisemitismusbeauftragte Brandenburgs, Andreas Büttner, hatte dem Tagesspiegel über Dorst gesagt: „Wer den Präsidenten des Zentralrats der Juden der Holocaust-Relativierung bezichtigt – und sich dabei faktisch vor Aussagen der AfD stellt – verdreht die Realität ins Absurde.“ Das sei „kein Ausrutscher – das ist ein Skandal“.
Den Rücktritt seines Stellvertreters teilte Brandenburgs BSW-Fraktionschef Niels-Olaf Lüders am Sonntagabend mit. Über Dorst schrieb Lüders: „Er stellte bei seinem Rücktritt klar, daß er die Singularität des Holocaust nicht angezweifelt hat und nicht anzweifelt.“ Und er fügte hinzu: „Die von Christian Dorst gewählte und zunehmend stärker besetzte Rolle als streitbarer politischer Kommentator in den sozialen Medien verträgt sich nicht mit der Funktion eines stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden.“ Deswegen sei die Rücktrittserklärung folgerichtig. Dem Vernehmen nach soll auch Parteigründerin Sahra Wagenknecht im Hintergrund auf die Demission Dorsts gedrängt haben.
CDU: „Schande für Brandenburg“
Im internen Streit um die Zustimmung zu den Rundfunkstaatsverträgen hatte Dorst vergangene Woche BSW-Vizeministerpräsident Robert Crumbach aufgefordert, sein Landtagsmandat niederzulegen (die JF berichtete). Crumbach war der einzige BSW-Abgeordnete, der mit Ja stimmte. Er sagte nun zu Dorsts Vergleich des AfD-Politikers Siegmund mit Wilhelm Tell: „Es gibt Aussagen, die nicht überzeugen wollen, sondern sich selbst entlarven – lauter als jede Widerrede.“

Die Brandenburger CDU-Vizefraktionschefin Kristy Augustin, hatte Dorsts Post im Tagesspiegel als „Schande für Brandenburg und einen Schlag ins Gesicht aller, die sich für eine verantwortungsvolle Erinnerungskultur einsetzen“, bezeichnet.
Die Koalition war nur deswegen nach der Abstimmung über den Rundfunkstaatsvertrag nicht zerbrochen, weil der Brandenburger Landtag letztlich doch zustimmte. Mit allen Stimmen der CDU reichte es für eine knappe Mehrheit. (fh)






