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Mit 73 Jahren verstorben: Jörg Kürschner, ein Gentleman mit großem Herzen

Mit 73 Jahren verstorben: Jörg Kürschner, ein Gentleman mit großem Herzen

Mit 73 Jahren verstorben: Jörg Kürschner, ein Gentleman mit großem Herzen

JF-Autor Jörg Kürschner im Jahr 2017. Foto: picture alliance / Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa | Britta Pedersen
Mit 73 Jahren verstorben
 

Jörg Kürschner, ein Gentleman mit großem Herzen

Ein Streiter für Gerechtigkeit, Ausgewogenheit und sachliche politische Auseinandersetzung: Vergangene Woche starb unser langjähriger Autor Jörg Kürschner. Ein Nachruf.
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Für die JUNGE FREIHEIT hat Jörg Kürschner schon viele Aufgaben übernommen. Einen entscheidenden und unschätzbar großen Dienst erwies er ihr bereits lange bevor sein Name zum ersten Mal in der Autorenzeile auftauchte. Und gerade davon profitierten und profitieren unsere Leser noch immer.

Kürschner war Türöffner, Fürsprecher, Ermöglicher, als im Jahr 2007 mit dem damaligen Innenpolitik-Redakteur Marcus Schmidt erstmals ein JF-Journalist um Aufnahme in die Bundespressekonferenz ersuchte.

Der zuständige Ausschuß beschied dies positiv, doch es regten sich Gegenstimmen, die – wider die Gepflogenheiten – dies auch öffentlich machten. Daß in der Mitgliederversammlung dieses politisch motivierte Veto verpuffte, war das maßgebliche Verdienst des seinerzeitigen MDR-Hörfunkkorrespondenten im ARD-Hauptstadtstudio.

Kürschner verkörperte einen wertegebundenen Liberalismus

Ruhig und sachlich trug er sein Hauptargument vor: Ausgewogenheit. Warum sollte man einem konservativen Medium verweigern, was man linken längst erlaubt hatte? Zum demokratischen Diskurs gehöre das eine wie das andere. Kürschners Stimme hatte Gewicht im Verein der Hauptstadtjournalisten.

Nicht nur weil er dort ein „alter Hase“ war, noch mit allen Rhein-Wassern gewaschen, zu Zeiten, da Regierung und Parlament dort ansässig waren. Unter Kollegen galt er als FDP-nah, nicht zuletzt, weil er kurz nach dem Jurastudium in Bonn für kurze Zeit als wissenschaftlicher Assistent in deren Fraktion tätig war.

Auch ohne Parteibuch verkörperte er jenen Liberalismus, der noch nicht modisch in die Slim-Fit-Anzüge gezwängt, der tolerant und doch wertegebunden war. Der Liberalismus des Waffenstudenten Kürschner (Corps Guestphalia Bonn et Guestphalia Greifswald) paßte mehr zum Paukboden als auf die Pride-Parade.

Ein Westdeutscher mit Herz für SED-Regimeopfer

Doch als Journalist verfügte er nicht nur über eine professionelle, sondern auch eine moralische Autorität. Das hing mit seiner Biographie zusammen. Ende 1979 hatte der frisch promovierte Jurist bereits seinen Vertrag für ein Volontariat bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung in der Tasche, als er sich mit seinem VW-Käfer auf den Weg zu Freunden in der DDR machte. Am Grenzübergang Wartha/Herleshausen schlug jedoch der Staatssicherheitsdienst zu und nahm den 28jährigen Bundesbürger wegen des Vorwurfs, verbotene und „hetzerische“ Schriften in den realexistierenden Sozialismus einzuführen, fest.

Fast zwei Jahre mußte Kürschner in DDR-Gefängnissen einsitzen, unter anderem im berüchtigten Stasi-Knast von Berlin-Hohenschönhausen. Erst 1981 wurde er freigekauft (seinen Käfer sah er nie wieder). Noch Jahrzehnte später empfand er tiefe Dankbarkeit für den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), der sich persönlich für seine Freilassung eingesetzt habe. Auch daß man ihm in der Redaktion in Hannover die Stelle freigehalten hatte, ließ er nie unerwähnt, wenn er über diese Zeit berichtete.

Charakteristisch für Kürschner war, daß er Jahre später, nach Friedlicher Revolution und Wiedervereinigung, den Mann aufsuchte, der ihn vor der Verurteilung in der DDR strengen Verhören unterzogen hatte. Nicht aus Rache, sondern aus Interesse. Ironie der Geschichte: Aus dem Stasi-Schergen war später selbst ein Stasi-Opfer geworden, das vom Regime, dem es gedient hatte, eingesperrt wurde.

Diese Erfahrung war prägend – und der einstige „Wessi“ in Ost-Haft setzte sich unermüdlich für SED-Opfer ein. Nicht zuletzt mit der Gründung des Gedenkstättenvereins in Hohenschönhausen. Für sein jahrzehntelanges Engagement dort erhielt er im Dezember 2017 das Bundesverdienstkreuz aus den Händen des Bundespräsidenten.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l.) überreicht Jörg Kürschner das Bundesverdienstkreuz. Foto: picture alliance / Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/ZB | Britta Pedersen

„Ich lasse mir nicht den Mund verbieten!“

Daß er dann nach der Pensionierung engagierter Autor dieser Zeitung wurde, goutierten nicht alle früheren Weggefährten. Ihn ließ die Kritik daran nicht zaudern: „Ich bin froh, daß ich für die JUNGE FREIHEIT tätig sein kann“, schrieb er mal in einer vorweihnachtlichen Whatsapp-Nachricht.

Dabei blieb es auch, als nach einem Streit innerhalb des Vereinsvorstands ein ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneter gegen Kürschner zu Felde zog und daraufhin in einem Artikel der Berliner Zeitung vor dem angeblichen „Rechtsruck“ des Gedenkstättenvereins gewarnt wurde (JF berichtete). Jörg Kürschner focht das nicht an: „Ich lasse mir von Hinrichtungsjournalisten nicht den Mund verbieten!“, war sein Kommentar dazu.

Als das Berliner Abgeordnetenhaus die politische Intrige gegen den geschaßten Gedenkstätten-Leiter Hubertus Knabe aufzuarbeiten suchte, stellte sich Kürschner als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Untersuchungsausschuß zur Verfügung.

Der Umgang der Politik mit der AfD entsetzte Kürschner

Stets stand er bereit, auch kurzfristig einzuspringen. Sei es, um „rasch mal eben“ noch ein aktuelles Ereignis zu kommentieren, sei es, den wegen zeitlicher Engpässe verhinderten Redakteur bei einer Pressekonferenz oder ähnlichem Termin zu vertreten. Dann schwang er sich in die S-Bahn und nahm während der Fahrt noch telefonisch Fragewünsche entgegen.

Rief man ihn anschließend an, um zu erfahren, was da alles so gesagt wurde, konnte man sicher sein, genau informiert zu werden. Dann ging der vermeintliche Ruheständler, tatsächliche Vollblutjournalist seine Aufzeichnungen durch und referierte punktgenau und ohne Umschweife. Denn stets zückte er bei solchen Gelegenheiten seinen bevorzugten Kaweco-Kugelschreiber und notierte alles wesentliche akkurat auf einem kleinen Din-A-6-Spiralblock.

Zum Gegenstand seiner Berichterstattung – noch als Korrespondent beim Mitteldeutschen Rundfunk – gehörte von ihren Anfängen an die AfD. Ihren Aufstieg, ihre Brüche und Häutungen verfolgte er mit professioneller Neugier. Manche Erscheinungsformen oder Protagonisten fand der befremdlich, woraus er im persönlichen Gespräch keinen Hehl machte.

Was ihn jedoch regelrecht empören konnte, war die Ausgrenzung der neuen oppositionellen politischen Kraft; wenn die anderen Fraktionen mit Geschäftsordnungs-Tricks der unliebsamen neuen Konkurrenz die ihr eigentlich zustehenden Posten oder Ämter vorenthielten. In den Augen des sich für sämtliche parlamentarischen Feinheiten interessierenden, juristisch geschulten Politikberichterstatters waren solche Methoden ein Verstoß gegen demokratische Sitten und Gebräuche.

Ein engagierter Unterstützer der JF ist gegangen

Ob bei gemeinsamen „Außeneinsätzen“ oder gelegentlich in Berlin: „Geselligkeit blenden wir nicht aus“, lautete seine Aufforderung – und auch da enttäuschte Jörg Kürschner nie. Die Gesprächsthemen waren dann so vielseitig wie seine Interessen.

Neben Fußball (und der dabei stets humorig-augenzwinkernd gepflegten Rivalität seines Heimatvereins Hannover 96 mit Eintracht Braunschweig) und niedersächsischer Regionalgeschichte verfügte er genauso über eine ausgeprägte Kenntnis in Sachen Eisenbahn-Historie sowie automobilen Kulturguts. Kein Wunder bei einem Besitzer eines Messerschmidt-Kabinenrollers und eines Youngtimer-Volvo-Coupés.

Herzensangelegenheit war ihm auch der Förderverein für die kleinste Holzkirche Deutschlands im sachsen-anhalter Örtchen Elend. So oft es ging, besuchte er dieses von den Bewohnern liebevoll und in Eigenregie gepflegte und erhaltene kleine Schmuckstück im Harz. Als er anläßlich eines Besuchs dort beim Abstieg vom Brocken unglücklich gestürzt und mit gebrochenem Sprunggelenk ins Krankenhaus Wernigerode eingeliefert worden war, meldete er sich umgehend mit der Nachricht „Geist und Hände sind unversehrt“ beim Redakteur parat.

Eine solche hoffnungsfrohe Meldung blieb nun leider aus, als Jörg Kürschner jüngst in die Klinik mußte. Dort erlag er am Samstag vergangener Woche im Alter von 73 Jahren einer kurzen, schweren Krankheit. Ein Hirntumor setzte seinem segensreichen Schaffen ein Ende. Der JUNGEN FREIHEIT wird er schmerzlich fehlen. Als kluger Ratgeber, als engagierter Unterstützer und kenntnisreicher Autor mit flotter Schreibe. Vor allem aber und ganz besonders als väterlich-kollegialer Freund.

JF-Autor Jörg Kürschner im Jahr 2017. Foto: picture alliance / Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa | Britta Pedersen
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