BONN. Die Bundesnetzagentur hat am Montag drei weitere Organisationen als sogenannte „vertrauenswürdige Hinweisgeber“ („Trusted Flagger“) nach dem europäischen Digital Services Act (DSA) benannt. Dabei handelt es sich um den Bundesverband Onlinehandel e. V., die HateAid gGmbH sowie den Verbraucherzentrale Bundesverband e. V., wie die Behörde mitteilte.
Diese Organisationen seien ab sofort berechtigt, vermeintlich rechtswidrige Inhalte auf besonders großen Online-Plattformen mit Vorrang zu melden. Die Benennung erfolgte auf Grundlage eines Antragsverfahrens bei der Bundesnetzagentur. Bisher war lediglich die Meldestelle „REspect!“ der Stiftung zur Förderung der Jugend in Baden-Württemberg von der Bundesnetzagentur als „Trusted Flagger“ anerkannt.
Massenlöschungen sind nicht vorgesehen
Mit der Zertifizierung dieser drei Organisationen setzt die Bundesnetzagentur eine Vorgabe des DSA um. Dieser verpflichtet sehr große Online-Plattformen dazu, Meldungen von staatlich anerkannten „Trusted Flaggern“ mit besonderer Priorität zu bearbeiten. Ziel soll es sein, rechtswidrige Inhalte im Internet schneller zu identifizieren und zu entfernen.
„Die Zertifizierung der ‚Trusted Flagger‘ nach dem DSA ist ein bedeutender Schritt zur Umsetzung der europäischen Plattformregeln“, betonte der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller (Grüne). Die ausgewählten Organisationen hätten umfassend belegt, daß sie über besondere Sachkenntnis und Erfahrung in der Erkennung, Identifizierung und Meldung rechtswidriger Inhalte verfügten. Zudem seien sie unabhängig von den Online-Plattformen und arbeiteten nachweislich „sorgfältig, genau und objektiv“.
Die Benennung als „Trusted Flagger“ setzt laut Mitteilung ein Prüfverfahren voraus, das von der Bundesnetzagentur festgelegt wurde. Dieses sieht unter anderem vor, daß die Organisationen über klare interne Strukturen verfügen, systematisch vorgehen und ihre Meldungen nachvollziehbar dokumentieren. Ein automatisiertes oder massenhaftes Vorgehen ist demnach nicht zulässig. Die Bundesnetzagentur behält sich vor, die Einhaltung der Anforderungen regelmäßig zu überprüfen.
Bundesnetzagentur verspricht Unabhängigkeit und Fachkenntnis
Der Status kann widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind. Nur durch sorgfältig geprüfte und rechtlich begründete Meldungen könne das Ziel erreicht werden, illegale Inhalte zuverlässig und rechtsstaatlich korrekt zu behandeln.
Die Bundesnetzagentur weist zudem darauf hin, daß auch künftig weitere Organisationen den „Trusted-Flagger“-Status beantragen können. Das Antragsverfahren sei fortlaufend möglich, Informationen dazu stünden auf der Webseite der Behörde bereit. Voraussetzungen seien weiterhin Fachkenntnis, Unabhängigkeit und ein strukturiertes Vorgehen bei der Meldung rechtswidriger Inhalte.
HateAid zeigt sich erfreut über Ernennung
Der Digital Services Act, auf dessen Grundlage die Zertifizierung erfolgt, ist seit Februar 2024 für besonders große Online-Dienste – sogenannte Very Large Online Platforms – in Kraft. Die Umsetzung des DSA in Deutschland erfolgt durch die Bundesnetzagentur, die auch für die Benennung der „Trusted Flagger“ verantwortlich ist.
Die HateAid gGmbH, die aus der extrem linken Kampagnenplattform „Campact“ hervorgegangen ist, zeigte sich erfreut über ihre Zertifizierung als „Trusted Flagger“. HateAid betonte, daß sie keine Inhalte selbst löschen könne, sondern lediglich Hinweise auf potentiell rechtswidrige Inhalte gebe. Die Entscheidung über eine Entfernung liege weiterhin bei den Plattformen.
Juristischer Streit um Befugnisse der „Trusted Flagger“
Bereits kurz nach Vorstellung des neuen Meldesystems war es zu scharfer Kritik daran gekommen. So schrieb der an der Universität Augsburg tätige Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner im Oktober vergangenen Jahres auf X: „Wenn man später einmal den Niedergang der Meinungsfreiheit in Deutschland und den Einstieg in den Zensurstaat rekonstruieren will, wird dem ‚Leitfaden“ zu den Trusted Flaggers die Rolle eines Schlüsseldokuments zukommen.“
Wenn man später einmal den Niedergang der Meinungsfreiheit in D. u. den Einstieg in den Zensurstaat rekonstruieren will, wird dem „Leitfaden“ d. Grünen Kl. Müller zu den Trusted Flaggers die Rolle eine Schlüsseldokuments zukommen. Leute, lest diesen Leitfaden, insbes. d. Anhang! pic.twitter.com/AAEqV2xJYV
— Josef Franz Lindner (@JosefFLindner) October 11, 2024
Auch FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki hatte sich Ende vergangenen Jahres kritisch zu der neuen Praxis geäußert. Vorausgegangen war eine Frage des FDP-Politikers an die Netzagentur, ob die „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“ Träger von Hoheitsgewalt, juristisch sogenannte Beliehene, sind. Darauf konnte Bundesnetzagenturpräsident Müller keine Auskunft geben.
Er antwortete laut Welt, ob seine Zertifizierung „eine Beleihung darstellt, ist notfalls gerichtlich zu klären“. Bedeutet: Die zensierten User müssen kostspielig klagen, damit die Frage entschieden wird.
Verfassungsrechtler sieht Angriff auf die Meinungsfreiheit
Das wiederum hatte Lindner moniert. „Es ist in einem Rechtsstaat unerhört“, sagte der Verfassungsrechtler der Welt, daß eine Behörde den Rechtsstatus von Organisationen offenlasse, die sie selbst zertifiziert habe. „Herr Müller von der Bundesnetzagentur macht es sich in wirklich bedenklicher Weise leicht, wenn er dem Bürger sagt, er solle das von den Gerichten klären lassen. Das ist nicht nur wegen des Prozeßkostenrisikos ein No-Go.“
Lindner schätzt die „Trusted Flagger“ als Träger von Hoheitsrechten ein. Damit seien sie auch verpflichtet, „die Grundrechte zu beachten, zumal die Meinungsfreiheit – und damit auch die strenge Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“. Karlsruhe hat den Rahmen für erlaubte Meinungen sehr weit gefaßt.
Kubicki unterstellt Dilettantismus
Auch Kubicki sieht in den „Trusted Flaggern“ eine Gefahr für die Meinungsfreiheit. Außerdem sagte er der Welt: „Man kann nur von unverantwortlichem Dilettantismus sprechen, wenn nicht einmal die Bundesnetzagentur um die rechtliche Qualität einer Zertifizierung der ‚Trusted Flagger‘ weiß.“ Es gehe bei der Frage nicht um eine Kleinigkeit: „Wir reden im Zweifel von schweren Eingriffen in die Meinungsfreiheit. Da kann man von einer Bundesregierung und den ihr unterstellten Behörden erwarten, daß sie wissen, was sie tun.“
Und Kubicki kritisierte auch den Chef der Netzagentur: „Daß sich Klaus Müller als Robert Habecks Behördenchef auf den Standpunkt ,Sollen sie doch klagen‘ stellt, deutet zudem an, wie viel die Grünen von mündigen Bürgerinnen und Bürgern halten, wenn sie selbst in der Regierung sitzen: nicht viel.“ (ho/st/mit KI)