WIESBADEN. Die Zahl der Rentner, die in Deutschland auf Sozialhilfe angewiesen sind, hat ein neues Allzeithoch erreicht. 719.330 Senioren bezogen laut dem Statistischen Bundesamt im ersten Quartal 2024 die sogenannte Grundsicherung im Alter. Die Zahlen, über die die Neue Osnabrücker Zeitung am Donnerstag berichtete, hatte das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) abgefragt.
Die Grundsicherung im Alter erhält, wer nach seiner Pensionierung über nicht genug Einkommen verfügt, um seinen Lebensunterhalt zu decken. Sie beinhaltet Hilfszahlungen, aber auch Zuschüsse für Wohnen, Heizen und Arztbesuche. Im Juni 2023 wurde so etwa für einen Rentner ein durchschnittlicher Nettobedarf von 594 im Monat errechnet.
Wie das Statistische Bundesamt außerdem mitteilte, sei die Zahl der auf die Stütze angewiesenen Senioren zuletzt merklich angestiegen – allein im Vergleich zu 2023 um 35.000. Im März vergangenen Jahres hätten noch 684.360 Senioren Sozialhilfe bezogen. Noch deutliche falle die Rückschau auf das Niveau 2015 aus. Seither sei die Zahl der auf Hilfen angewiesenen Pensionäre um 40 Prozentpunkte gestiegen.
Wagenknecht: „Das nächste Armutszeugnis für die Ampel“
BSW-Chefin Wagenknecht äußerte ihre Besorgnis über diesen Anstieg. „Daß immer mehr Rentner auf Sozialhilfe angewiesen sind, zeigt, daß das deutsche Rentensystem viele alte Menschen zu entwürdigender Armut verdammt“, sagte die Bundestagsabgeordnete im Gespräch mit der NOZ. Der Befund der Statistiker sei „das nächste Armutszeugnis für die Ampel“. Wagenknecht mutmaßte, die Zahlen seien nur die Spitze des Eisbergs. „Denn viele Senioren hätten Anspruch, aber wollen sich die Demütigung ersparen, zum Sozialamt zu gehen.“
Bereits im Mai hatte sich das BSW für die Rente mit 63 nach 45 Arbeitsjahren ausgesprochen. „Gemessen an der Wirtschaftskraft steigen die Rentenausgaben nicht, sondern sie fallen“, konstatierte das Bündnis damals in einem Thesenpapier zum Thema. Daher müsse die Rente in Zukunft „deutlich stärker“ angehoben werden. Renten bis 2.000 Euro sollten zudem steuerfrei bleiben.
Taugt Österreich als Vorbild?
Bei ihren Auftritten und Reden zeigte sich Wagenknecht in der Vergangenheit immer wieder angetan vom Rentensystem Österreichs. Dort lag die durchschnittliche Altersrente 2022 bei 1.751 Euro brutto, während sie in Deutschland bei 1.177 Euro brutto angesetzt wurde, wie die Gewerkschaft IG Metall unlängst vorrechnete. In der Alpenrepublik befindet sich der Beitragssatz bei derzeit 22,8 Prozent und ist damit höher als die 18,6 Prozent hierzulande.
Zudem zahlen in Österreich fast alle nach dem Modell der „Einheitsrente“ in die Kasse ein. In Deutschland sind Beamte und Selbständige hingegen vom gesetzlichen Rentenbeitrag ausgenommen. Zuletzt hatte sich Wagenknecht daher für einen Volksentscheid über ein Rentensystem nach dem Vorbild Österreich ausgesprochen. (fw)