MÜNSTER. Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht hat am Montag die Berufungsklage der AfD gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz zurückgewiesen. Die Partei darf damit vom Inlandsgeheimdienst als rechtsextremer „Verdachtsfall“ geführt werden. Zuvor war die Partei vor dem Verwaltungsgericht Köln mit ihrer Klage gescheitert.
Die Richter sahen es als erwiesen an, daß „hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür vorlägen, „daß die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind“, heißt es vom Gericht. „Es besteht der begründete Verdacht, daß es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. Dies stellt eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie nicht zu vereinbaren ist.“
Wie begründet das Gericht sein Urteil?
Den Richtern läge „eine große Anzahl von gegen Migranten gerichteten Äußerungen vor, mit denen diese auch unabhängig vom Ausmaß ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft systematisch ausgegrenzt werden und trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ihre vollwertige Zugehörigkeit zum deutschen Volk in Frage gestellt wird“. Zudem gäbe es Anhaltspunkte, daß die AfD die „Menschenwürde von Ausländern und Muslimen“ mißachte.
Zwar gebe es bei der Partei um Tino Chrupalla und Alice Weidel auch „Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen“, allerdings nicht „in der Häufigkeit und Dichte wie vom Bundesamt angenommen“. Die Richter betonten dabei, daß es im Verwaltungsgerichtsverfahren auch nicht nötig sei, daß der Inlandsgeheimdienst vorher etwaige Quellen in der Partei abschalte.
Die AfD hatte bereits im Vorfeld angekündigt, alle weiteren Rechtsmittel gegen das Urteil ausschöpfen zu wollen. Konkret ist allerdings nur noch eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht möglich, das allerdings keine inhaltliche Prüfung mehr vornehmen würde. Das Gericht selbst ließ die Revision nicht zu, dennoch kann die Partei die nächste Instanz anrufen. Zudem hat die Partei nun die Möglichkeit, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
Hunderte AfD-Anträge nicht behandelt
Für Aufsehen hatte während des Verfahrens vor allem gesorgt, daß die Richter es ablehnten, rund 470 Beweisanträge der AfD zu verhandeln. Diese seien unerheblich, würden keine neuen Beweise erbringen oder seien gegen den Verfassungsschutz gerichtet, um dessen Arbeitsweise auszuforschen, hatten die Richter ihre Entscheidung begründet.
Zuvor war die Partei mit ihrem Anliegen gescheitert, alle Beweisanträge einzeln vorlesen zu lassen. Das Gericht nahm diese dann zu Protokoll. Zudem machte Richter Gerald Buck schon während des Prozesses deutlich, daß er sich sein Urteil längst gebildet habe und genügend Anzeichen dafür sehe, daß die AfD gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung agiere. Mit der Einstufung als „Verdachtsfall“ ist es dem Verfassungsschutz möglich, die Partei auch umfangreich mit nachrichtendienstlichen Mitteln auszuforschen. Zudem bestätigte die Behörde während des Verfahrens, daß sie bereits V-Leute in der Partei rekrutiert habe.
Faeser zeigt sich zufrieden
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigte sich hocherfreut über das Urteil. „Unser Rechtsstaat hat Instrumente, die unsere Demokratie vor Bedrohungen von innen schützen. Genau diese Instrumente werden auch eingesetzt – und sind jetzt erneut von einem unabhängigen Gericht bestätigt worden.“ Der Inlandsgeheimdienst habe „einen klaren gesetzlichen Auftrag, gegen Extremismus vorzugehen und unsere Demokratie zu schützen. Dabei arbeitet es eigenständig“, betonte die SPD-Politikerin. „Die Bewertung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall wurde sorgfältig begründet und ist nun durch das Oberverwaltungsgericht Münster bereits in zweiter Instanz für rechtmäßig befunden worden. Im Rechtsstaat entscheiden unabhängige Gerichte.“
Faeser bezeichnete das Ausspähen der Opposition als „Schutz unserer Demokratie“. Die SPD-Politikerin kündigte an: „Wir werden die rechtliche Bewertung weiter von der politischen Auseinandersetzung, die wir in Parlamenten und öffentlichen Debatten führen, klar trennen.“
AfD attackiert Gericht
Die AfD kündigte an, das Urteil anzufechten. „Daß der Senat die Revision nicht zugelassen hat, obwohl wir tagelang über komplexe Rechtsfragen debattiert haben, ist nicht nachvollziehbar. Wir werden selbstverständlich die nächste Instanz anrufen“, kündigte Bundesvorstandsmitglied Roman Reusch an. Zudem hob die Partei hervor, daß die Richter deutlich gemacht hätten, daß es sich bei der Einstufung eben nur um einen Verdacht handele.
AfD-Vize Peter Boehringer sagte, „auch wenn wir dem Senat in der Kritik an der Arbeit der Haldenwang-Behörde zustimmen, müssen wir die ungenügende Sachverhaltsaufklärung deutlich rügen“. Hunderten Beweisanträgen nicht nachzugehen, grenze „an Arbeitsverweigerung wie schon in der Vorinstanz, was ja gerade der Hauptgrund für die Revision gewesen war“, unterstrich Boehringer.
Ist das Folgegutachten schon geschrieben?
Bereits im Februar war durchgesickert, daß der Verfassungsschutz bereits an einem Gutachten arbeite, um die Gesamtpartei als „gesichert rechtsextreme Bestrebung“ einzustufen. Inhaltlich soll laut den Entwürfen schon jetzt für die Behörde feststehen, daß sich die bisherigen Verdachtsmomente gegen die AfD verdichtet hätten. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, sollen hochrangige Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bereits deutlich gemacht haben, daß es eigentlich auch keiner neuen Erkenntnisse bedürfe, um zur neuen Einschätzung zu kommen.
Neu hingegen sei, daß auch das Verhältnis zu Rußland in dem Folgegutachten auftauchen soll. Auf Anfrage der SZ teilte der Verfassungsschutz mit, daß er sich grundsätzlich „zu behördeninternen Arbeitsabläufen“ nicht äußere. (ho)