BERLIN. Das Berliner Landgericht hat ein Mitglied der radikalen Klimagruppe „Letzte Generation“ vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Die blockierten Autofahrer hätten bei der betreffenden Straßenblockaden Ende Juni 2022 auch auf Bus und Bahn umsteigen können, argumentierte das Gericht in einem Einzelfallentscheid vom 31. Mai, der der JUNGEN FREIHEIT vorliegt. Konkrete Orte für die Blockaden habe die „Letzte Generation“ zwar zuvor nicht öffentlich gemacht. Aber „ein Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr oder das Einplanen von mehr Zeit wäre den betroffenen Verkehrsteilnehmenden allerdings generell möglich gewesen“, merkten die Richter an.
Das Gericht verhandelte den Vorwurf der Nötigung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und hob den vorigen Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten von Oktober 2022 auf. Das untergeordnete Amtsgericht hatte zuvor im Oktober 2022 abgelehnt, Strafbefehl gegen den Klimaradikalen zu erlassen.
Das höhergestellte Landgericht folgte zwar der Argumentation des Amtsgerichts und sprach den Beschuldigten vom Vorwurf der gemeinschaftlichen Nötigung frei. Allerdings liege ein hinreichender Tatverdacht wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor, für das eine Hauptverhandlung anberaumt werden solle. Hierfür sei nicht das Festkleben entscheidend, das laut Gericht „keine Gewalt“ sei, sondern der Versuch des Beschuldigten, sich trotz Versammlungsauflösung durch die Polizei immer wieder aktiv auf die Fahrbahn zu setzen.
⚖️ Landgericht Berlin lehnt erstmals Vorwurf der Nötigung wegen Klimablockaden ab
Begründung:
🚋 Umstieg auf Nahverkehr & Einplanen von mehr Zeit generell möglich
⏱️ Halbstündige Verzögerung im Vergleich zu üblichen Berliner Stauzeiten moderathttps://t.co/X09hyGJeQi— Letzte Generation (@AufstandLastGen) June 12, 2023
Stau durch Straßenblockaden von 35 Minuten „hinzunehmen“
Im konkreten Fall klebte sich ein Mitglied der „Letzten Generation“ mit anderen Mitstreitern am 30. Juli 2022 im morgendlichen Berufsverkehr auf die Autobahnausfahrt A100 am Tempelhofer Damm in Berlin auf die Straße fest. Das Landgericht argumentierte, die Fortbewegungsfreiheit sei durch die Straßenblockade mit rund 35 Minuten „nur in überschaubaren Umfang beeinträchtigt worden“, was wegen den üblichen Stauzeiten in der Hauptstadt „moderat“ sei.
Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer in Folge der Straßenblockade sei „als sozial-adäquate (Neben-)Folge der rechtmäßig durchgeführten Versammlung hinzunehmen“. In dieser Einzelsituation habe das Recht auf Versammlungsfreiheit überwogen. (ca)