BERLIN. Die Grünen haben auf ihrem Parteitag schwere Vorwürfe gegen den von der Parteispitze mitgetragenen EU-Asylkompromiß erhoben. „Es ist für mich nicht vertretbar, daß wir unser Okay zu Haftzentren gegeben haben. Und zwar egal, ob da nur Kinder und Familien oder nur Erwachsene drin sind. Das wir es nicht einmal geschafft haben, daß Kinder und Familien ausgenommen werden“, sagte Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) der ARD zufolge am Sonntag.
Das seien alles Menschen, die wie ihre eigene Familie vor 30 Jahren nach Europa gekommen seien, „die Mitglieder unserer Partei, die Teil unserer Gesellschaft sind. Und unsere Geschichten sind nicht egal.“ Tourés Eltern sind 1992 vor einem Putsch in Mali nach Deutschland geflohen. Der Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke (Grüne) lobte Tourés Rede. „Das hier ist die wichtigste Rede, die ich bei den Grünen je gehört hab“, twitterte er am Montag.
Das hier ist die wichtigste Rede, die ich bei den Grünen je gehört hab.
„Das sind Menschen, wie meine Familie vor 30 Jahren.
Die Mitglieder unserer Partei, die Teil unserer Gesellschaft sind.
Und unsere Geschichten sind nicht egal.“Danke @aminajxxpic.twitter.com/3B8aiv1Ns9
— Julian Pahlke (@J_Pahlke) June 17, 2023
Außenministerin Baerbock verteidigt EU-Asylreform
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verteidigte die Einigung auf EU-Ebene hingegen. „Mein Job ist, mir genau das zuzumuten. Wenn wir so schwierige politische Entscheidungen treffen, bereit zu sein, sich vorzustellen, was das für einen selbst und die eigenen Kinder bedeuten. Und dann keine Einzelfälle zu sehen, sondern auch andere Menschen und Familien in ihrer Situation“, ordnete sie die Asylreform auf dem Parteitag ein.
Der EU-Parlamentarier Erik Marquardt (Grüne) rief seine Partei zu Realismus auf. „Wir müssen uns auch klarmachen, daß wenn wir Veränderung wollen, wir das in Verantwortung tun wollen“, äußerte der Politiker. Grüne könnten sich nicht einfach an den Seitenrand stellen und sagen „Wir wollen Veränderung“, wenn darauf dann nichts folge. Deshalb sei es richtig, in der EU zu verhandeln.
„Ich finde ich es wichtig, daß wir festhalten, daß wir in einer Situation sind, wo wir so viel wollen und so wenig schaffen, weil es eben leider gerade keine Mehrheiten gibt. Und an diesen Mehrheiten müssen wir arbeiten“, unterstrich Marquardt. Für seine Rede wurde der Europaabgeordnete aus seiner Partei teils scharf kritisiert.
Grünen-Parteichefin Lang: „Müssen Hegemonialität herstellen“
Die Grünen-Parteivorsitzende Ricarda Lang stimmte ihrem Kollegen zu, mahnte aber zugleich an, die Grünen müßten an neuen Mehrheiten arbeiten. „Wir haben gerade nicht die Mehrheit. Wir haben sie nicht auf parlamentarischer Ebene, wir haben sie nicht in der Regierung und wir haben sie nicht in Europa“, gestand die Politikerin ein.
In diesem Zustand könne sich die Partei nicht ausruhen. „In Zeiten, in denen Populisten wieder an Zuwachs gewinnen, müssen wir uns nochmal fragen: Wie arbeiten wir an Hegemonialität?“, forderte Lang. Dies sei auch mit Blick auf eine moderne Migrationspolitik wichtig.
Der EU-Politiker Rasmus Andresen (Grüne) zeigte sich unterdessen erleichtert über das am Sonntag formulierte Abschlußpapier. Er habe zwischenzeitlich nicht mehr an eine Einigung geglaubt. „Wenn Sie mich heute morgen gefragt hätten, nachdem wir schon anderthalb Tage und nächste gerungen haben, dann hätte ich das nicht erwartet“, unterstrich Andresen.
Anfang des Monats hatten sich die EU-Innenminister auf eine Neuregelung des Asylrechts in der Staatengemeinschaft geeinigt. Beschlossen wurden unter anderem Aufnahmeeinrichtungen an den Außengrenzen der Europäischen Union, die seither vor allem von den Grünen wegen angeblich „haftähnlicher Bedingungen“ kritisiert werden. Auch Spitzenpolitiker der Grünen, darunter etwa Außenministerin Annalena Baerbock, hatten sich zuvor für den Kompromß ausgesprochen. (fw)