So eine kapitale Regierungskrise ist ein Hochamt der politischen Volksbildung. Alle können dabei nur lernen. Das Volk lernt seine Regierung erst so richtig kennen, die Regierung ihre Abgründe und selbst Journalisten werden schlauer. „Absturz eines Besserwissers“, so titelt der Spiegel urplötzlich den Fortschritts-Kanzler in die Tonne. Die „ARD Tagesthemen“ senden einen „Neuwahlen jetzt(!)“-Kommentar und die Süddeutsche Zeitung besichtigt „Die Trümmer ihrer Luftschlösser“. Die Aufzählung wäre fortzusetzen. Nach Jahren überwiegend fortschrittskoalitionärer Haltungsgesänge sind unerwartet steile Lernkurven zu beobachten bei den einschlägig verdächtigen Meinungstenören.
Und was hat „Anne Will“ (ARD) gelernt? Zumindest der Sendungstitel „Regierung in Geldnot – Wie hart trifft es Deutschland?“ ließ Einsicht erhoffen. Tatsächlich wurde es wesentlich. Und diesmal grätschte die Moderatorin auch nicht zusammenhanglos in Grundsatzdebatten wie erst am Sonntag zuvor, etwa mit der rituellen Frage nach dem „Dienstwagenprivileg“, nur damit einmal mehr die FDP auch ja ihr Fett wegbekomme.
Nein, in ihrer vorletzten Sendung gab Anne Will tatsächlich so etwas Ähnliches wie Debattenfreiheit. Und die wurde vor allem von der FAZ-Journalistin Julia Löhr und dem Christdemokraten Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, weidlich genutzt. Da blieben SPD-Chef Lars Klingbeil und DIW-Präsident Marcel Fratzscher nicht viel mehr als besänftigende Allgemeinplätze. Und ja, ganz am Rande gab´s auch wieder die Routinewatsche für die FDP – diesmal von der offenbar vor allem zu diesem Zweck eingeladenen „Klimajournalistin“ Ann-Kathrin Büüsker (Deutschlandfunk).
Es braucht eindeutige Prioritäten
„Die Schuldenbremse verhindert nicht die wichtigen, sondern die unwichtigen Ausgaben.“
Julia Löhr mit guten Argumenten und kühlem Kopf bei #AnneWill pic.twitter.com/xnAaSQ0fW6
— Johannes Winkel (@johwinkel) November 26, 2023
Ansonsten ging´s heftig und zielstrebig zur Sache. Schnell war man sich über das anhaltende „Kommunikationsdesaster“ von Scholz & Co. einig. Die Frage der Moderatorin nach der B-Note, also ob der Kanzler „sich dafür entschuldigen muß“, blieb unbeachtet. Zügig drängten Haseloff und Löhr zum Wesentlichen: Es sei eigentlich ja „genug Geld da“ (Löhr), die Ampel müsse nur endlich Klarheit über zwei ihrer höchst prekären Projekte schaffen. Da wären zum einen die Subventionsexzesse zur angeblichen Klimarettung und zum anderen die schon lange nicht mehr finanzierbare Sozialsause. Vom Bürgergeld über die grenzenlose Alimentierung der Masseneinwanderung bis zur als Kindergrundsicherung maskierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im öffentlichen Dienst. Bliebe das alles in der Schwebe, drohe die „Staatskrise“ (Haseloff).
Es folgte eine Generalabrechnung mit den Projekten, mit denen sich die Ampel-Koalition an den Rand der Zahlungsunfähigkeit und darüber hinaus laviert hat. Das schlimme S-Wort war schon nach zehn Minuten gefallen. Nicht mehr als weitere fünf dauerte es, bis der Rettungsanker weiterer Notstandstatbestände zur Umgehung der Schuldenbremse auch für das Haushaltsjahr 2024 wieder eingerollt wurde. „Wir haben keine Notlagensituation“, die sich der Regierungskontrolle entziehe, konstatierte Löhr trocken.
Und selbst Fratzscher, der sonst gern und ausführlich sozialetatistisch argumentiert, forderte: „Politik muß sich ehrlich machen.“ Man könne nicht einfach weiterhin das Geld mit beiden Händen ausgeben, zumindest nicht ohne Steuererhöhungen. Prioritäten müßten nun gesetzt werden, da war man sich einig.
Wachstum um welchen Preis?
Von Beginn an in der Defensive konnte SPD-Chef Klingbeil auch an dieser Stelle nicht durchdringen mit der in diesen Tag oft bemühten Leerformel von der „Schuldenbremse als Wachstumsbremse“. Welches Wachstum denn, und um welchen Preis? Doch nicht etwa das Wachstum einer dauersubventionierten „grünen“ Stahlindustrie auf Wasserstoffbasis? FAZ-Wirtschaftsjournalistin Löhr rückte ein zentrales Klimarettungsprojekt der Ampel ins Fadenkreuz. „Die Frage ist doch hier: Rechnet sich das langfristig?“ Energie – und grüner Wasserstoff sowieso – werde in Deutschland immer wesentlich teurer bleiben als in anderen Ländern.
„Bestimmte Produktionszweige werden sich in Deutschland nicht mehr rechnen“, so Löhr. Und da helfe wohl auch keine noch so üppige Dauersubvention, zumal die AKWs im Lande ja abgeschaltet seien. Löhr knüpfte damit an die nun schon mehrfach von der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm (zuletzt bei Lanz) vorgetragenen Argumentation, daß „nicht alle Teile der Wertschöpfungskette“ im Lande gehalten werden könnten, wenn man es mit „Klima-Transformation“ wirklich ernst meine und vor allem die Energie künstlich derart verteuere.
Die Sozialdemokratie wiederholt ihre Fehler
Was die grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit von letztlich dreistelligen Milliardensubventionen für „grünen Stahl“ im Saarland, in Salzgitter und anderswo aufwarf. „Mit unserer Energiepolitik werden wir bestimmte Wirtschaftszweige nicht mehr durchbringen“, war sich Löhr sicher. Darüber müsse endlich eine ehrliche Debatte geführt werden.
Klima-Rettung als Arbeitsplatzkiller? Da wurde der auffällig schweigsam gewordene SPD-Chef Klingbeil doch noch lebhaft: „Das ist eine Frage von Strukturpolitik.“ Wie solle er das Arbeitern in den betroffenen Regionen erklären? Das sei doch auch eine Frage der Unabhängigkeit von „Diktatoren in anderen Ländern“ und im Übrigen eine theoretische Debatte.
Ganz untheoretisch hätte eine aufmerksame Moderatorin Klingbeil an dieser Stelle darauf hinweisen können, daß man gerade im Ruhrgebiet ganz praktisch habe sehen können, wie mit sozialdemokratischer Subventionsutopie jahrzehntelang bei Kohle und Stahl erfolglos gegen einen Strukturwandel ansubventioniert wurde. So lange, bis das Geld verbrannt und die Hütten und Zechen trotzdem zugesperrt wurden. So wie es Klingbeils Genossen auch an der Weser mit der Werftindustrie ebenso erfolglos, weil gegen jede Kostenwahrheit getrieben hatten.
„Arbeit geht vor Alimentation“
Die Überleitung zum zweiten großen Milliardengrab der Ampel lieferte Haseloff im Zusammenhang mit seiner fast verzweifelten Verteidigungsrede für die Subvention der Chip-Produktion in Ostdeutschland. „Wir geben als Länder und Kommunen 23 Milliarden Euro in diesem Jahr aus für die Flüchtlingsunterbringung“, das seien hier die Relationen. „Und das muß ich mal sagen: Haben wir den Schuß nicht gehört? Da gehört verdammt viel auf den Prüfstand.“
Bei den Sozialleistungen müsse man genau hinsehen. „Arbeit geht vor Alimentation“. Man gebe darüber hinaus 50 Milliarden für das Bürgergeld im Jahr aus und setze die falschen Anreize. Da müsse einmal ganz genau hingeschaut werden. „Warum haben wir zwei Millionen offene Stellen, aber die Ausgaben wachsen von Jahr zu Jahr? Warum arbeiten bei uns weniger Flüchtlinge als in anderen Ländern?“, knüpfte Journalistin Löhr an Haseloff an. Da kam Wirtschaftsexperte Fratzscher gleich noch eine „Schieflage“ in den Sinn. „Der Staat gibt sehr viel Geld aus, sehr viel für Hilfe, aber diese Hilfen haben eine soziale Schieflage.“
Was die Bundesregierung schuldig bleibe, sei das im Koalitionsvertrag versprochene Klimageld, der Ausgleich für die steigende CO2-Abgabe. Bleibe das aus, gehe „soziale Akzeptanz“ der ganzen Politik verloren. Das größte Potential für Einsparungen liege im Übrigen nicht bei den Sozialausgaben, sondern bei den Privilegien im Steuersystem.
Ampel-Bankrott als Konjunkturprogramm für Meinungsfreiheit
Da wurde es Haseloff denn doch zu bunt: Herr Fratzscher solle doch bitte als Wirtschaftsforscher einmal nachforschen, wie die Struktur der Bürgergeldempfänger aussehe. Wer da alles am Tropf hänge, daß es faktisch zu einem „weltweiten bedingungslosen Grundeinkommen“ gekommen sei. „Jeder, der kommt, landet nach jetzt 36 Monaten in diesem System.“ Die Frage sei doch, ob das tatsächlich jemals so gedacht gewesen sei – vom „Genossen Schröder“?
Wir lernen: Es bedarf eines höchstrichterlich herbeiführten Ampel-Bankrotts, damit grundsätzliche Fragen zu rot-grün-gelben Klimarettungs-Milliarden und explodierenden Sozialtransfers im ARD-Hauptabendprogramm gestellt und sogar beantwortet werden.
Aber wurde das nicht alles schon öfter gesagt? Doch, eigentlich schon. Aber eben nicht von allen, oder von den Falschen – von denen nämlich, die lieber gar nicht erst bei Anne Will eingeladen werden.