FREIBURG. Der Historiker Ronald G. Asch hat angesichts aktueller Forderungen nach Straßenumbenennungen und Denkmalstürzen vor einem Verlust der eigenen Identität gewarnt. „Wenn wir die Vorgeschichte unseres Staates in Bausch und Bogen verwerfen, dann werden wir – noch mehr, als wir es ohnehin schon sind – zu einem Land ganz ohne Geschichte und ohne jegliche Identität. Denn das durchaus berechtigte und notwendige Entsetzen über die Verbrechen, die im Namen Deutschlands vor 1945 begangen wurden, wird als Basis für eine solche Identität kaum allein tragfähig sein“, äußerte er in einem Beitrag in der Welt.
Er mahnte, heutige moralische Maßstäbe dürften nicht an die Bewertung historischer Persönlichkeiten angelegt werden. „Wenn wir Erinnerungswürdigkeit im öffentlichen Raum nur an rein privaten Tugenden messen, riskieren wir, uns auf eine Hypermoral einzulassen, der wir selbst in unserem politischen Handeln nicht gerecht werden können; wir werden zu Heuchlern.“ Versuche, das kulturelle Erbe der Vergangenheit von allem zu säubern, was unrein sei, habe selten ein gutes Ende genommen.
Historiker warnt vor Kulturrevolution
Mit Blick auf aktuelle Forderungen nach Straßenumbenennungen, wie sie derzeit in Berlin wieder forciert werden, äußerte Asch: „Wir sollten daher auch im öffentlichen Raum mit den Ambivalenzen der Vergangenheit leben.“ Stimmen, die für solche Maßnahmen plädierten, warf der Freiburger Professor vor, eine Kulturrevolution ausrufen zu wollen, die weiteichende Folgen habe. „Daß solche Attacken auf die sichtbaren Spuren der Vergangenheit eine Gesellschaft potenziell spalten, sieht man freilich im Ausland zur Genüge“, fügte der Freiburger Historiker hinsichtlich vergleichbarer Vorgänge in Großbritannien hinzu.
Asch verwies für Deutschland zudem auf den Streit um Bismarck-Denkmäler. So soll beispielsweise in Hamburg ein künstlerischer Wettbewerb darüber entscheiden, wie die Statue des früheren Reichskanzlers künftig aussieht. (ag)