In seinem Leitartikel „Deutschland zuletzt“ hat Gerhard Papke die jüngsten Äußerungen von Außenministerin Annalena Baerbock über die deutsche Haltung zum Ukraine-Krieg zum Anlaß genommen, um die Frage aller politischen Fragen – die nach der Souveränität Deutschlands – aufzuwerfen: „Kann es denn wirklich sein, daß Deutschland die Entscheidung über den weiteren Fortgang dieses schrecklichen Krieges alleine in die Hand der Ukraine und ihres Präsidenten legt? Kann es sein, daß die deutsche Außenministerin der Ukraine eine unbefristete Zusage für Waffenlieferungen und zum Beibehalt von Sanktionen gegen Rußland gibt, ohne Rücksicht auf deren Konsequenzen für die eigene Bevölkerung?“
Die Antwort lautet: Ja, das kann es! Frau Baerbock sagte in Prag, es gehe „nicht um eine deutsche Vision, denn wir kämpfen für das, wofür die Ukraine kämpft: Das Recht jedes Landes, seine Zukunft selbst zu bestimmen.“ Für Deutschland gilt dieses Recht freilich nicht. Seine Bürger haben für den Blankoscheck aufzukommen, den Baerbock Kiew ausgestellt hat: „Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht – dann möchte ich es einlösen, egal, was meine deutschen Wähler denken.“
„Feministische Außenpolitik“ als verantwortungsloses Geplapper
Die Unzulänglichkeit der Amtsinhaberin ist ein Gemeinplatz: Ihr Mangel an historischer Bildung, die Unfähigkeit zu strategischem und analytischem Denken, die Neigung zum sinnfreien, auf jeden Fall verantwortungslosen Geplapper. Ihre „feministische Außenpolitik“ ziele darauf ab, „von Anfang an den Genderblick in Ressourcen und Köpfen zu verankern“, äußerte sie kürzlich. Und niemand ist in Sicht, der ihrem gemeingefährlichen Unfug im Auswärtigen Amt ein Ende macht.
Das führt zu der Frage nach den materiellen und immateriellen Strukturen, die diese Politikerin nach oben getragen haben und gegen allen Sachverstand oben halten. Da wäre zuerst ihre Partei, die Grünen. Während die anderen Parteien politische, gesellschaftliche und teilweise auch organisatorische Kontinuitäten aufweisen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, sind die Grünen eine genuine Parteigründung der westdeutschen Bundesrepublik.
Mentalität aus Schuldgefühl und moralischem Größenwahn
Für die war kennzeichnend, daß die großen Fragen der Außen- und Militärpolitik außerhalb ihrer Entscheidungsgewalt lagen. Das ergab sich aus der Niederlage im Zweiten Weltkrieg, aus den alliierten Vorbehaltsrechten, aus der Teilung und der Frontstellung des Kalten Krieges. Wer in diesen beschränkten Status hineingewachsen ist und durch ihn geistig und politisch konditioniert wurde, neigte dazu, die Politik ausschließlich als hypermoralisch aufgeladene Innen- und Gesellschaftspolitik zu verstehen und vor das Ausland mit einem schuldbewußten „Ich bin klein, mein Herz ist rein“ hinzutreten.
Diese Mentalität aus Schuldgefühl und moralischem Größenwahn gehört zur DNA der Grünen, während in den älteren Parteien traditionelle Konstanten wirksam blieben, wenn auch mit kontinuierlich abnehmender Intensität. Die maßgeblichen Politiker der Bundesrepublik waren sämtlich Transatlantiker, allein schon aus der Einsicht, daß ohne den Schutz der USA die Russen zum Rhein vordringen würden. Doch sie waren sich auch der Anomalität der Situation bewußt und wußten auch, daß es eine Schnittmenge der Interessen, aber keine Interessenidentität mit den Nato-Partnern gab.
Westdeutsche Politiker kämpfen um deutsche Interessen
Adenauer spielte mitunter über die Bande – über Paris –, um die Amerikaner in eine bestimmte Richtung zu lenken. Kanzler Helmut Schmidt berichtete in seinen Memoiren über harte Zusammenstöße mit dem US-Präsidenten Carter und dessen Sicherheitsberater Zbigniew Brzeziński. Als diese schmerzhafte Boykottmaßnahmen gegen die Sowjetunion forderten, lehnte er ab.
Die Bundesregierung, so seine Begründung, müsse berücksichtigen, „daß sechzehn Millionen Deutsche in der DDR unter sowjetischer Oberhoheit und zwei Millionen Deutsche in West-Berlin leben; wer von der Bestrafung der Sowjetunion spreche, der müsse wissen, daß es für die Sowjetunion ziemlich einfach sei, ihrerseits die Deutschen zu bestrafen“.
Und als die Westmächte in den 1980er Jahren auf die Idee kamen, in der Bundesrepublik atomare Kurzstreckenraketen zu stationieren – was eine entsprechende Antwort auf dem DDR-Territorium zur Folge gehabt hätte –, kommentierte der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Alfred Dregger, wütend: „Je kürzer die Reichweiten, desto deutscher die Toten.“
Hypermoralisten betrachten die Außen- als Weltinnenpolitik
Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher blockten 1990 Forderungen nach einem Friedensvertrag, der die leidige Reparationsfrage neu aufgeworfen hätte, erfolgreich ab mit der Begründung, daß „die Zeit über die Frage eines Friedensvertrages hinweggegangen“ sei. Einmischungsversuche des niederländischen und des italienischen Außenministers wies Genscher brüsk zurück: „This is not your game!“ (Daß Kohl und Genscher ihr erfolgreiches Einigungswerk kurz darauf mit dem Maastricht-Vertrag konterkarierten, steht auf einem anderen Blatt.)
Was sich hier ausdrückte, waren nationale Interessen, also etwas, was die historisch wurzellosen Grünen nicht kennen. Zumindest dann nicht, wenn es um deutsche Interessen geht. Was in der gefrosteten Welt des Kalten Krieges relativ folgenlos blieb, schlägt jetzt, da die Welt in Bewegung geraten ist, als Katastrophe auf das Land zurück. Hypermoralisten betrachten die Außen- als Weltinnenpolitik. Logischerweise haben sie keine innere Distanz zu den Einflüssen und Einflüsterungen internationaler Institutionen und Denkfabriken mit globalistischer Ausrichtung.
Ein Foto mit dem Investor George Soros sorgte für Unmut
Kurz vor der letzten Bundestagswahl, im August 2021, wurde die „Sehr geehrte Frau Baerbock“ auf Abgeordnetenwatch gefragt: „(W)as haben Sie bei Ihrer Teilnahme bei den Treffen der Young Global (Leaders) gelernt und was konkret davon möchten Sie umsetzen, wenn Sie gewählt werden?“ Die Fragestellerin konkretisierte ihren Standpunkt: „Young Global (Leaders) ist ja die Kaderschmiede des World Economic Forums, ein seit 50 Jahren bestehendes Netzwerk der Reichsten und Mächtigsten dieser Welt. Was haben Sie, genauso wie ihr Kollege Cem Özdemir, auf einer solchen Lobbyismus-Veranstaltung zu suchen, bestehend aus Vertretern der Hochfinanz, der Wirtschaft, des Hochadels und leider auch hochrangiger Vertreter der Presse?“
Das „Team Annalena Baerbock“ antwortete, sie habe „in ihrer Rolle als Politikerin diese Nominierung angenommen und sieht es als Gelegenheit, andere Perspektiven auf bestimmte Themen mit globalem/internationalem Bezug zu erhalten und sich mit Menschen aus ihrer Generation zu vernetzen“. Pandemiebedingt hätten noch keine Live-Veranstaltungen stattgefunden, auch würden Gegenleistungen nicht erwartet.
Schlichten Gemütern das Gefühl von Auserwähltheit vermitteln
Dem World Economic Forum (WEF) steht Klaus Schwab vor, der erklärtermaßen daran arbeitet, die Agenda des „Great Reset“ umsetzen. Die „Young Leaders“ bilden ein transnationales Netzwerk, das sich der Kontrolle des nationalstaatlichen Demos entzieht. Solche Netzwerke funktionieren natürlich nicht nach dem Prinzip nachprüfbarer Leistungen und Gegenleistungen, sondern auf der Basis von Loyalitäten. Für ehrgeizige Gemüter bedeutet es eine hohe Form sozialer Anerkennung, in exklusive Kreise und Gremien eingeführt zu werden, wo ihnen das Gefühl der Auserwähltheit vermittelt wird.
Das gilt erst recht für Gemüter, die eher schlicht verfaßt sind. Frau Baerbocks Stolz äußerte sich auf eine rührend-naive Weise. Auf Instagram postete sie ein Foto, das sie gemeinsam mit George Soros, einem wichtigen Finanzier des WEF, auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2019 zeigt. Das erregte viel Unmut. Dabei hätte sie wissen können, daß die Präsentation mit einer Galionsfigur des großen Geldes, die ihren Reichtum jenseits demokratischer Legitimation in politischen Einfluß umsetzt, sogar bei den eigenen Anhängern nicht gut ankommt. Trotzdem hat das ihrer Karriere nicht geschadet, denn alle großen Medien standen ihr zur Seite.
Wer die kleinen und großen Zufälle, die Personalentscheidungen und politischen Entschlüsse, die auf nationaler Ebene getroffen werden, verstehen, deuten und ausloten will, wird sie immer auch in größere, in transnationale Zusammenhänge stellen müssen. Nationale Interessenvertretung aber beginnt im eigenen Haus. Das deutsche Haus ist ohne Hüter.
(JF 40/22)