BERLIN. Die Bundesregierung hat das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt, mit dem Transsexuelle künftig leichter Vorname und Geschlechtseintrag in Ausweisdokumenten ändern lassen können. „Heute ist ein guter Tag für die Freiheitsrechte in unserem Land. Und für die Vielfalt“, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) am Donnerstag.
Das bislang geltende Transsexuellengesetz, das ein Gutachten zur Änderung des Personenstands erforderte, werde durch ein „modernes Selbstbestimmungsgesetz“ ersetzt. Die Plausibilität der geforderten Änderung werde nicht von optischen Merkmalen abhängig gemacht. Die Willenserklärung gegenüber einem Standesbeamten reiche aus.
Paus: Wir leben in einer vielfältigen Gesellschaft
Die frühere Regelung habe Menschen, die sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlten jahrelang pathologisiert und auf unangemessene Weise in ihre Intimsphäre eingegriffen, kritisierte die Grünen-Politikerin. Rechtliche Hürden, wie sich einer Begutachtung durch einen Richter zu unterziehen, seien „menschenverachtend“. Niemand könne die Geschlechtsidentität eines anderen Menschen feststellen. „Wir leben in einer freien und vielfältigen Gesellschaft“, betonte sie.
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— Sven Lehmann (@svenlehmann) June 30, 2022
Justizminister Marco Buschmann (FDP) wertete das Transsexuellengesetz als nicht zeitgemäß. Sich nicht mit dem biologischen Geburtsgeschlecht zu identifizieren sei normal, wenn auch statistisch eher eine Seltenheit. „Wir führen ein Stück Normalität ein.“
Es bedürfe eines Rechts, das zu „unserer freiheitlichen Verfassung“ passe. Es gehe beim Selbstbestimmungsrecht aber lediglich um Fragen des Personenstands. Geschlechtsoperationen spielten darin keine Rolle, betonte Buschmann.
„Deadnaming“ wird strafbar
Um die Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre von Transsexuellen zu schützen, die die Angaben in ihren Ausweisdokumenten ändern lassen, soll es überdies ein sogenanntes Offenbarungsverbot geben. Wer „Deadnaming“ betreibe, also den abgelegten Namen oder das Geburtsgeschlecht eines Transgenders nenne, könne mit einem Bußgeld bestraft werden. So soll Buschmann zufolge ein „Zwangs-Coming-Out“ verhindert werden.
Auch Minderjährige ab 14 Jahren haben nach den Plänen der Bundesregierung das Recht, ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Sie benötigen dafür aber die Zustimmung ihrer Eltern. Falls diese sich gegen einen solchen Schritt wehren, soll ein Familiengericht im Einzelfall entscheiden. Die Änderung des Personenstands kann sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen frühestens nach einem Jahr wieder rückgängig gemacht werden.
Tessa Ganserer: Freiheit bedingt freie Geschlechtswahl
Auch, wenn es sich bei der Neuregelung um eine kleine Gruppe handle, sei es ein wichtiges Thema. Die Liberalität einer Gesellschaft zeige sich auch am Umgang mit Minderheiten, betonte der Justizminister. Die Bundesregierung werde nun ein entsprechendes Gesetz ausarbeiten. Laut dem FDP-Politiker könnte es in rund sechs bis neun Monaten beschlossen werden.
Endlich werden wir das diskriminierende Transsexuellengesetz überwinden!
Das neue #Selbstbestimmungsgesetz ist ein kleiner Schritt für Verwaltungen, aber ein großer Sprung in eine freie Gesellschaft. 🏳️⚧️@GansGruen & @nyke_slawik erklären, wie das aussehen wird 👇 pic.twitter.com/Yleqmn0uXH
— Grüne im Bundestag 🇪🇺🏳️🌈 (@GrueneBundestag) June 30, 2022
Das transsexuelle Bundestagsmitglied Tessa Ganserer (Grüne) lobte das vorgestellte Selbstbestimmungsgesetz. „Frei leben zu können heißt, daß nur jeder Mensch für sich selbstbestimmt sagen kann, welchem Geschlecht er angehört.“ (zit)