HAMBURG. Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hat seine Partei davor gewarnt, den Kontakt zur Lebensrealität ihrer Anhängerschaft zu verlieren. Die SPD habe bereits „große Teile der Arbeiterschaft“ verloren, sagte Thierse dem Zeit-Magazin. „Wollen wir jetzt auch noch alle die ausschließen und verlieren, die das Gendersternchen nicht mitsprechen wollen und können?“
Er sei mittlerweile zum Symbol geworden „für viele normale Menschen, die ihre Lebensrealität nicht mehr gespiegelt sehen in der SPD, die unsicher sind, was sie noch sagen dürfen und wie sie es sagen dürfen“, mahnte der 77jährige.
Anlaß ist der Streit über einen Beitrag Thierses in der FAZ, in dem er sich gegen eine zu einseitige linke Identitätspolitik ausgesprochen hatte, die Diversität zum übergeordneten Ziel aller sozialen und kulturellen Anstrengungen mache.
Thierse: Opfererfahrungen nicht absolut setzen
Nachdem sich SPD-Chefin Saskia Esken und ihr Stellvertreter Kevin Kühnert von den Aussagen distanzierten, stellte Thierse die Frage, ob sein Verbleib in der Partei noch erwünscht sei. Mit positivem Ergebnis: Er habe Rückhalt und Unterstützung vom Großteil der SPD-Mitglieder erhalten, berichtete Thierse nun dem Magazin aus Hamburg. Deshalb werde er sein Parteibuch nicht abgeben. „Die werden mich nicht los, zumal die Mehrheit der Partei will, daß ich bleibe.“
Gleichzeitig erneuerte Thierse seine Kritik daran, überall einen omnipräsenten Rassismus zu wittern und Opfererfahrungen als absolut zu setzen. „Nur weil ich Opfer bin, habe ich nicht automatisch recht.“ Eine solche Haltung mache Diskussionen unmöglich. Das habe er auch nach seinem FAZ-Beitrag erfahren. „Man hat mich als homophob beschimpft, als reaktionär, als deutschnational, als alten weißen Mann und was weiß ich noch nicht alles“, sagte Thierse. (krk)