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Rußlandreise: Sputnik V und sächsische Träume von Freiheit

Rußlandreise: Sputnik V und sächsische Träume von Freiheit

Rußlandreise: Sputnik V und sächsische Träume von Freiheit

Reisen gemeinsam nach Rußland: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Oppositionsführer Jörg Urban (AfD)
Reisen gemeinsam nach Rußland: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Oppositionsführer Jörg Urban (AfD)
Reisen gemeinsam nach Rußland: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Oppositionsführer Jörg Urban (AfD) (v.l.n.r.) Foto: picture alliance/dpa | Robert Michael
Rußlandreise
 

Sputnik V und sächsische Träume von Freiheit

Der russische Impfstoff Sputnik V hat neben der medizinischen auch eine politische Bedeutung. Das zeigte sich zuletzt in Berlin, als die rot-rot-grüne Landesregierung darüber stritt. In Sachsen geht Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ganz pragmatisch vor und reist nach Rußland – gemeinsam mit dem sächsischen AfD-Chef Jörg Urban.
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Der russische Impfstoff Sputnik V ist hochtoxisch. Das haben nach einigen osteuropäischen Regierungschef, die ihn im Kampf gegen die Corona-Pandemie einführen wollten und prompt politisch darüber stolperten, nun auch Politiker in Berlin und Mitteldeutschland zu spüren bekommen.

Dabei geht es nicht etwa um das Wohl der Bevölkerung, sondern um das von Kremlkritiker Alexej Natwalny. So wollte Berlins Gesundheitssenatorin  Dilek Kalayci (SPD) gern mit Moskau über den Kauf von bis zu zwei Millionen Sputnik-Impfdosen verhandeln, um endlich Schwung in das Impfgeschehen in der Bundeshauptstadt zu bringen, holte sich aber von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) eine harsche Abfuhr. Die meinte: Solange das Leben des mit Putin verfeindeten Oligarchen, der von einem Hungerstreik geschwächt in einem Gefängniskrankenhaus liegt und die Behandlung durch eigene Ärzte fordert, in Gefahr sei, dürfe nicht mit Russland verhandelt werden, auch nicht über einen Impfstoff, der vielleicht das Leben von Berlinern retten würde.

Allein Putin würde von den Verhandlungen mit den „Vertriebs- und Herstellungsbeauftragten des Vektorimpfstoffes Sputnik V“ profitieren, hieß es von den Grünen und sie senkten den Daumen. Nach der heftigen Diskussion im rot-rot-grünen Senat – von einem gewaltigen Krach berichtete der Tagesspiegel – gab der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) schließlich klein bei.

Ost-Bundesländer und Bayern wollen Sputnik V

Weniger Scheuklappen zeigen zumindest in dieser Hinsicht Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und die Regierungschefs in den neuen Bundesländern. Für den Fall einer EU-Zulassung des Vektorimpfstoffs Sputnik V hat Bayern sich bereits 2,5 Millionen Dosen gesichert und überlegt sogar, im eigenen Land produzieren zu lassen.

Auch Bodo Ramelow (Linke) – der vor einer „politischen Ablehnung“ durch das Merkel-Kabinett warnte – in Thüringen, Manuela Schwesig (SPD) in Mecklenburg-Vorpommern, Dietmar Woidke (SPD) in Brandenburg, Reiner Haseloff (CDU) in Sachsen-Anhalt und Michael Kretschmer (CDU) in Sachsen wollen sich Optionen auf die Lieferung von Sputnik V sichern oder haben das bereits getan. Eine „Ideologisierung der Impfstofftypen“, so Thomas Isenberg, Gesundheitsexperte der Berliner SPD-Fraktion, gibt es anscheinend nur dort.

Sachsens Ministerpräsident Kretschmer ist derweil am Mittwoch an der Spitze einer großen Wirtschaftsdelegation nach Moskau aufgebrochen, um dort auch mit Vertretern des Gesundheitsministeriums über Sputnik V zu sprechen: „Alle deutschen Ministerpräsidenten wollen so schnell wie möglich die Zulassung dieses Impfstoffes.“ Aber der eigentliche Anlaß für den viertägigen Rußlandbesuch des CDU-Politikers ist die Eröffnung einer Ausstellung über deutsche und russische Malerei der Romantik in der Tretjakow-Galerie, die von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden unterstützt wird.

Kretschmers Reiselust sorgt für Unmut

Gerade dieser kulturelle Hintergrund sorgt in Sachsen und speziell in Dresden – wo gleichzeitig Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) zur 18. Deutschen Woche in die Partnerstadt St. Petersburg geflogen ist – für großen Unmut. Haben sich doch damit zwei hochrangige Politiker nicht nur auf Dienstreise in ein Land begeben, in dem die Zahl der Infizierten wieder ansteigt, sondern beide haben auch die Freiheitsrechte der eigenen Bürger gerade stark eingeschränkt und alle Proteste dagegen verbieten lassen.

Während sogar regelmäßig halbwüchsige Schüler von der Polizei in Sachsen aufgegriffen und angezeigt werden, weil sie sich nachmittags zu dritt vor ihrer Schule treffen und aus unterschiedlichen Haushalten stammen, und sogar Treffen mit den Nachbarn untersagt sind, betont Kretschmer mit Blick auf die eigene Reiselust, daß der kulturelle, wirtschaftliche und wissenschaftliche Austausch wichtig sei, „um auch in schwierigen Zeiten wie diesen miteinander im Dialog zu bleiben“.

Und OB Hilbert teilt seinen murrenden und durch die Sächsische Corona-Schutzverordnung grundlegender bürgerlicher Rechte beraubten Dresdnern mit: „Gerade in Zeiten der Pandemie ist es wichtig, Freundschaft zu pflegen.“

Grüne kritisieren Rußland

Auch in der schwarz-rot-grünen Koalition knirscht es ob der Rußland-Reise Kretschmers. Kein geringerer als Vize-Ministerpräsident Wolfram Günther von den Grünen bringt sich per Twitter in Stellung. Aber nicht etwa, um die Freiheitsrechte der Sachsen zu verteidigen, sondern um auf die Freiheitsdefizite in Rußland aufmerksam zu machen und überdies die politische Karte der USA zu spielen: „Der Umgang mit der eigenen Bevölkerung und Oppositionellen, die militärische Eskalation in der Ukraine, das angespannte Verhältnis zu unserem Nachbarn Tschechien, die Einflußnahme auf Wahlen in anderen Ländern: Rußlands Regierung verhält sich nicht als verläßlicher Partner.“ Auch das Festhalten an Nord-Stream 2 stehe „klar gegen eine entschlossene europäische Energiewende und gegen Paris-kompatiblen Klimaschutz“.

Für eine Zusammenarbeit mit Rußland gebe es klare Bedingungen, wetterte Sachsens Grünen-Chef Norman Volger: „Werden diese nicht erfüllt, kann eine Zusammenarbeit nicht erfolgen, und vor allem sprechen wir Bündnisgrüne uns dann klar für striktere Sanktionen durch die Europäische Union aus.“ Allein die Ökopartei hat im Freistaat kaum Wähler und dient Kretschmer allein dazu, sich an die Macht zu klammern, denn die meisten Stimmen hatte im konservativen Freistaat die AfD erhalten.

Auch daß Kretschmer in Moskau zwar nicht über die Rückgabe von 1945 geraubten deutschen Kulturgütern sprechen will, aber zumindest über die Wiederaufnahme von Flugverbindungen zwischen dem Freistaat und Moskau beziehungsweise St. Petersburg, regt die klimabewußten Grünen auf. Immerhin zeigt Kretschmer klare Kante gegenüber dem ganz kleinen Koalitionspartner. Er finde es nicht akzeptabel, wenn die USA wirtschaftspolitische Interessen mit politischen vermischten, Nord-Stream 2 sei wichtig und dürfe „nicht aus innenpolitischen Gründen kaputt gemacht werden“.

Sachsens AfD-Chef Urban begleitet Kretschmer

Zwar wird es während des Kretschmer Besuchs in Moskau nach jetzigem Stand zu keiner Begegnung mit Präsident Putin kommen, aber Gespräche mit dem Ministerpräsidenten der Russischen Förderation, Michail Mischustin, Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow und dem Rektor der Lomonossow-Universität, Viktor Sadownitschy, einem Putin-Vertrauten, sind vorgesehen.

Kretschmers Dialogbereitschaft darf durchaus als Kritik an der Bundesregierung verstanden werden. Denn der Niederschlesier gilt als Gegner der Rußland-Sanktionen: „Gespräche abzubrechen, führt nicht automatisch zu Lösungen.“

Was die Stimmung in der Sachsen-Koalition derzeit nicht besser macht: Kretschmer hat den sächsischen AfD-Vorsitzenden und Chef der Landtagsfraktion, Jörg Urban, mitgenommen – und damit den Vertreter der mächtigsten politischen Kraft im Freistaat. Ist das vielleicht der Beginn einer ganz besonderen Freundschaft? Die von US-Architekt Daniel Libeskind gestaltete Ausstellung in der Tretjakow-Galerie trägt übrigens den Titel „Träume von Freiheit“.

Reisen gemeinsam nach Rußland: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Oppositionsführer Jörg Urban (AfD) (v.l.n.r.) Foto: picture alliance/dpa | Robert Michael
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