CELLE. Asylbewerber haben auch dann Anspruch auf höhere Sozialleistungen in Deutschland, wenn sie zuvor in einem anderen EU-Land als Flüchtlinge anerkannt wurden. Voraussetzung ist, daß sie dort angeblich prekäre Verhältnisse ertragen müssen. Das Einreisemotiv spiele eine wesentliche Rolle bei der Beurteilung solcher Fälle, entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen am Montag in Celle.
Die Richter wiesen damit ein Urteil des Sozialgerichts Hildesheim zurück und gaben einer Nigerianerin recht, die über Italien nach Deutschland eingereist war. Hier wurde ihr Asylantrag zwar abgelehnt, eine Abschiebung scheiterte jedoch am Kirchenasyl, teilte das Gericht mit. Nachdem die alleinerziehende Mutter einen Duldungsstatus erlangt hatte, beantragte sie bei der Stadt Göttingen Sozialgelder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Die Stadt bewilligte lediglich eingeschränkte Leistungen „wegen des Vorwurfs der Verhinderung aufenthaltsbeendender Maßnahmen und der Einreise zum Zwecke des Leistungsbezugs“. Die Nigerianerin gab jedoch an, ihre Motivation zur Einreise nach Deutschland seien „die prekären Verhältnisse in Italien“ gewesen, schrieb das Gericht. Dort habe sie keinen festen Wohnsitz gehabt und für ihren Lebensunterhalt betteln und sich prostituieren müssen.
„Migrationspolitische Interessen stehen hinter staatlicher Leistungspflicht zurück“
Nach Deutschland sei sie nicht wegen der Sozialhilfen gekommen, „sondern aus Angst um Leib und Leben“. Hier habe sie auf Hilfe gehofft. Das Landessozialgericht wies die Stadt Göttingen nun an, der Frau ungekürzte Asylleistungen zu zahlen. „Migrationspolitische Interessen müßten auch im Falle einer illegalen Einreise hinter der staatlichen Leistungspflicht zurückstehen, wenn ein Flüchtling in einem europäischen Mitgliedsstaat völlig auf sich allein gestellt sei und für längere Zeit auf der Straße leben müsse.“
In den vergangenen Wochen waren auch in anderen Urteilen die Rechte von Asylsuchenden gestärkt worden. Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht stoppte vor zwei Wochen die Abschiebung zweier Syrerinnen nach Griechenland, weil dort die elementarsten Bedürfnisse wie „Bett, Brot, Seife“ nicht gesichert seien. Das Landessozialgericht in Celle urteilte im Februar, eingewanderte Roma hätten auch dann Anspruch auf höhere Sozialleistungen, wenn sie ihre Identität nicht nachweisen könnten. (ls)