Kinder berühmter Eltern haben es oft schwer. Alles, was sie sind, alles, was sie tun, wird auf ihre familiäre Herkunft zurückgeführt. Will ein Sproß dann auch noch in die Fußstapfen seines prominenten Vaters oder seiner erfolgreichen Mutter treten, muß er sich stets an den Leistungen seiner Eltern messen lassen. Um so wichtiger ist es da, über das notwendige Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu verfügen, um sich gegen Kritiker, Neider und Zweifler zu behaupten und nicht auf dem angestrebten Weg verunsichern zu lassen.
Das weiß auch Johannes F. Kretschmann, dem es zumindest an Selbstvertrauen nicht zu mangeln scheint. Den Sohn des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zieht es nun ebenfalls in die große Politik. Wie der Vater gehört auch der Filius den Grünen an. Für diese will er im September in den Bundestag einziehen. Als Direktkandidat im Wahlkreis Sigmaringen-Zollernalb und auf Platz 22 der Landesliste.
Beim grünen Kreisverband ist man „ganz arg stolz“ auf den Kandidaten Kretschmann, der mit einer „starken und poetischen Rede“ seinen verdienten Listenplatz erreicht habe.
„Geilste Partei“ „geilste Fraktion“
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Kretschmann wiederum spricht von der „geilsten Partei“, der er seit über 20 Jahren angehöre und für die er seit 2019 im Sigmaringer Kreistag „die geilste Fraktion“ führe. Seine dortigen Erfolge will er nun auf den Bund ausweiten und sich für die Grünen als Außenpolitikexperte profilieren. Nicht weniger als die „Hölle gefrieren lassen“ strebt Kretschmann Jr. an, mit dem Ziel einer „freien Gesellschaft, einer liebenswerten Umwelt und einem starken Europa“.
Ein Jungpolitiker ist der gebürtige Schwabe mit seinen 43 Jahren allerdings nicht. Dennoch fühlt sich Kretschmann nicht als Spätberufener. „Wenn ich Karriere hätte machen wollen, hätte ich sie schon gemacht“, verriet er kürzlich dem Cicero.
Ein Blick auf seinen Lebenslauf scheint ihm dabei recht zu geben. Offenbar wollte er das bislang wirklich nicht. Nach dem Abitur 1998 begann er ein Studium der Religionswissenschaft, Rumänistik und Linguistik an der Freien Universität Berlin sowie der Humboldt-Universität Berlin, das er nach mehr als zehn Jahren 2009 mit einem Magister Artium abschloß. 2014 zog er für die Grünen in den Sigmaringer Kreistag ein und wurde damit auch Verwaltungsrat der Hohenzollerischen Landesbank Kreissparkasse Sigmaringen.
Darüber hinaus sieht es mit Kretschmanns beruflicher Erfahrung allerdings eher mau aus. Auf Xing, einem sozialen Netzwerk für berufliche Kontakte, führt der Grünen-Kandidat als bisheriger Stationen seines Arbeitslebens „Anklatscher“ beim ARD-Talkformat „hart aber fair“ an (Oktober 2008 bis Juni 2010). Im Herbst 2010 verdingte er sich für drei Monate als „Moster“ bei der Mosterei Streib Mössingen sowie im Folgejahr bis Juli 2012 als Sargträger für ein Bestattungsunternehmen in Mössingen.
Langjähriger „Kraftwerksbetreiber“
Seit November 2011 ist Kretschmann zudem nach eigenen Angaben „Kraftwerksbetreiber“. Vieles spricht allerdings dafür, daß es sich bei der von ihm angegebenen „Kretschmanns Sonnendeck GbR“ lediglich um eine private Photovoltaikanlage handelt.
Als weitere berufliche Station nennt der Grünen-Politiker das Unternehmen Swisscom. Für deren Nachrichtenportal bluewin.ch sei er von 2011 bis 2019 als Online-Redakteur tätig gewesen. Auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT bestätigt Cyrill Treptow, der Leiter News & Online von bluewin.ch, die Angaben Kretschmanns. Dieser habe als freiberuflicher Redakteur teilzeit Beiträge für die deutschsprachige Ausgabe des Portals geliefert. Mit seiner Arbeit sei man „stets sehr zufrieden“ gewesen.
Und dennoch: Bislang scheint Johannes F. Kretschmann, der seine E-Mails laut dem Südkurier auch gern mal mit „JFK“ unterschreibt, in seinem Leben als Erwachsener nie über einen längeren Zeitpunkt einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeittätigkeit nachgegangen zu sein. Fragen der JF hierzu läßt der 43jährige unbeantwortet. Und so bleibt auch offen, wieviel Strom der „Kraftwerkbetreiber“ Kretschmann denn im Jahr so produziert und von welchen Auskommen er bislang gelebt hat.
„Studierter Rumänist mit Auslandserfahrung“
Zumindest letzteres könnte sich nach der Wahl im September dann aber geklärt haben. Denn auch wenn Kretschmann das Direktmandat im bisherigen schwarzen Wahlkreis gegen Amtsinhaber Thomas Bareiß (CDU) verfehlen sollte, ist der Einzug über die Landesliste nicht unwahrscheinlich. Bei der vergangenen Bundestagwahl erhielten die Grünen bundesweit 8,9 Prozent. In Baden-Württemberg jedoch kamen sie auf 13,4 Prozent und stellten mit 13 Abgeordneten die größte Landesgruppe der Grünen im Parlament.
Ein paar Prozentpunkte mehr bei der kommenden Wahl und es könnte auch für Listenplatz 22 reichen. Spätestens damit müßte sich Kretschmann auch nicht mehr wie zu Studienzeiten als „Anklatscher“ betätigen. Dann wird sich der JFK von der Schwäbischen Alb endlich den großen Problemen der Weltpolitik widmen können, für die er sich berufen sieht.
Sein „bundespolitisches Hauptaugenmerk liegt auf den inneren und äußeren Rändern Europas“ und den dort schwelenden Konflikten, erzählte er in seiner Bewerbungsrede für die Landesliste im April über sich. Um diese Brände zu löschen, wolle er als „studierter Rumänist mit Auslandserfahrung“ seine „Expertise und Tatkraft in die Waagschale werfen“.