Am Wochenende kommt die AfD in Dresden zu ihrem zwölften Bundesparteitag zusammen. Auf der Tagesordnung steht in erster Linie der Beschluß eines Programms für die Bundestagswahl im September. Der rund 70 Seiten lange Leitantrag der Bundesprogrammkommission liefert vor allem AfD-Klassiker: Volksabstimmungen auf Bundesebene werden genauso gefordert wie der Ausstieg aus dem Euro.
Dazu eine restriktivere Einwanderungspolitik, die Begrenzung von Amts- und Mandatszeiten für Politiker; die Rückkehr zur Wehrpflicht, zu Magister und Diplom sowie zu einer nationalen Landwirtschaftspolitik. Das Bargeld soll erhalten bleiben, ebenso das dreigliedrige Schulsystem. Fester Bestandteil des Programms ist außerdem die Ablehnung von Quoten, von „Cancel Culture“ oder des „Green Deal“.
Auch das beim vorherigen Parteitag in Kalkar im November vergangenen Jahres beschlossene Rentenkonzept – lange Zeit eine innerparteilich beklagte inhaltliche Lücke – fand nun Eingang in die Thesensammlung, die die Bundesprogrammkommission vorgelegt hat. Mit gut 170 Änderungsanträgen werden sich die Delegierten befassen müssen. Doch das ist nicht der einzige Diskussionsstoff in den Messehallen an der Elbe. Schon im Vorfeld des Treffens rückten wieder Personal- und damit auch Machtfragen innerhalb der AfD in den Fokus.
Meuthen-Abwahl gilt als unwahrscheinlich
So steht etwa ein Antrag auf Abwahl von Parteichef Jörg Meuthen im Raum, mit dem vor allem einige seiner Widersacher aus dem Landesverband Baden-Württemberg abrechnen wollen. Ihr Vorwurf: Meuthen habe es an der notwendigen Loyalität gegenüber den Mitgliedern mangeln lassen, etwa indem er andere AfD-Politiker öffentlich kritisiert oder die Auflösung des „Flügels“ gefordert hatte.
Außerdem wird ihm sein Fehlverhalten in Sachen Parteispenden vorgehalten. Daß der Antrag die notwendige Zweidrittel-Mehrheit erhalten würde, gilt als eher unwahrscheinlich. Selbst erklärte Meuthen-Gegner wollen dieses Faß nicht vor der Bundestagswahl aufmachen. Denn auch ihnen ist klar, welch verheerende Außenwirkung es abgeben würde, wenn eine Partei kurz vor der Wahl einen ihrer beiden Vorsitzenden stürzte. Doch auch wenn es der Antrag am Ende erst gar nicht auf die Tagesordnung schafft, dürften in der Debatte dazu die Schlangen an den Saalmikrofone dennoch nicht sehr kurz sein.
Eine größere Kontroverse könnte sich auch anhand des Antrags zur Wiedereinsetzung des Bundestagsabgeordneten Roland Hartwig als Vorsitzenden der innerparteilichen „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ entspannen. Er war von einer Mehrheit im Bundesvorstand aus dieser Funktion abberufen worden, der Parteikonvent hatte jedoch seine Wiedereinsetzung gefordert.
Entscheidung über Spitzenkandidaten?
Mit Spannung erwartet wird das Thema Spitzenkandidaten. Gleich mehrere Anträge fordern, die Frage, mit welchen Köpfen (oder welchem Kopf) an der Spitze die AfD in den Bundestagswahlkampf ziehen soll, an diesem Wochenende in Dresden zu klären. Dem entgegen steht das Ergebnis einer Mitgliederbefragung, in der sich eine Mehrheit dafür ausgesprochen hatte, daß alle Mitglieder der AfD darüber befinden sollen.
Vor diesem Hintergrund ist denkbar, daß der Parteitag noch keine Entscheidung in Sachen Spitzenkandidaten treffen wird. Denn das Votum der Basis zu übergehen, gilt in der Partei als unschicklich.
Auch ohne eine bisherige Stellungnahme oder eine Nominierung gilt der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla als gesetzt für die Spitzenkandidatur. Das ist auch jenen in Partei oder Bundesvorstand klar, die nicht mit ihm auf einer Wellenlinie sind. Denn für Chrupalla sprechen gewichtige Gründe: Er ist der einzige aus der Doppelspitze der AfD, der für den Bundestag kandidiert, seit Jörg Meuthen seinen Verzicht erklärt und bekräftigt hatte, in Brüssel zu bleiben.
Zudem gehört Chrupalla als stellvertretender Fraktionsvorsitzender bereits eine Legislaturperiode zum Führungszirkel der AfD im Bundestag, in den er 2017 als einer von drei direkt gewählten AfD-Abgeordneten einzog. Vor allem aber kann er mit dem Pfund seiner Herkunft wuchern: aus dem Osten – und speziell aus Sachsen. Mit Spitzenwerten bei Wahl- und Umfrageergebnissen gilt der Freistaat als Herzkammer der AfD; dieser Landesverband, soviel ist jedem klar, muß in allen Belangen der Partei prominent vertreten und berücksichtigt werden.
Chrupalla ist nicht Gauland
Außerdem gilt Chrupalla immer noch als jemand, der sowohl bei den Unterstützern des inzwischen offiziell aufgelösten „Flügels“ Anklang findet, als auch unter Bürgerlich-Konservativen vermittelbar ist. Andererseits ist seine Stellung in der AfD nicht dieselbe wie die Alexander Gaulands im Wahljahr 2017. Der stellte seinerzeit klar, er werde nur gemeinsam mit Alice Weidel antreten. Damit sicherte er vor allem die Wahl seiner Co-Spitzenkandidatin ab, die auf eine solche Huckepack-Lösung angewiesen war; Gauland selbst war die Mehrheit sicher.
Chrupalla dagegen braucht Stimmen aus dem anderen, dem Meuthen-Lager. Darauf beruht der maßgeblich von einigen Funktionären aus westdeutschen Landesverbänden vorgeschlagene Deal einer Doppel-Spitze mit der hessischen Bundestagsabgeordneten Joana Cotar. Der Ost-West- und Frau-Mann-Proporz würde so um den Ausgleich der Parteiströmungen ergänzt werden, da Cotar für einen wirtschaftsliberal-konservativen Kurs in der AfD steht. Doch aus dem eigenen Landesverband und aus den Reihen des früheren „Flügels“ wurde offenbar Druck auf Chrupalla ausgeübt, sich nicht auf eine solche Vereinbarung einzulassen. Lieber solle er allein, als einzelner Spitzenkandidat antreten.
Offiziell noch ungewiß ist, ob Alice Weidel erneut für eine Spitzenkandidatur zur Verfügung stünde. Die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion und stellvertretende Parteivorsitzende wäre sicherlich das prominentere Gesicht an der Seite Chrupallas. Eine Entscheidung in der Frage hat Weidel gegenüber der JF für Samstag angekündigt. Beobachter werten ihr Zögern auch als Reaktion auf die zuletzt lauter werdende innerparteiliche Kritik an der Art, wie Weidel ihre Führungsämter wahrgenommen hat.
Die Waage neigt sicht stets mit knapper Mehrheit
Unterdessen hätten die Kritiker von Parteichef Jörg Meuthen noch eine Möglichkeit, an ihm zumindest auf einem Umweg ihr Mütchen zu kühlen. So fordert ein Antrag: „Ein Mitglied des Bundesvorstandes kann höchstens zweimal unmittelbar in dasselbe Parteiamt wiedergewählt werden.“ Und nach dem Ausscheiden wäre der Betreffende für die gleiche Dauer, die er sein Amt innehatte, von einer Wiederwahl ausgeschlossen. Kommt der Antrag durch – und das ist nicht unwahrscheinlich –, so wäre beim regulären Wahlparteitag im November eine Wiederwahl von Jörg Meuthen, sollte er überhaupt wieder antreten wollen, nicht mehr möglich. Und auch die Vize-Vorsitzende Beatrix von Storch dürfte dann nicht mehr antreten.
Fortsetzen wird sich wahrscheinlich der generell auf AfD-Parteitagen – außer im Osten – zu beobachtende Trend, daß die Mehrheitsverhältnisse zwischen den beiden innerparteilichen Strömungen nicht sehr eindeutig feststehen. Eher neigt sich die Waage stets aufgrund relativ knapper Mehrheiten in die eine oder die andere Richtung. Sollten die Personal- und damit die Machtfragen bei den Beratungen in Dresden doch nicht die dominierende Rolle spielen, könnte es ein relativ unspektakuläres Wochenende werden. Denn in den Sachfragen zum Wahlprogramm dürfte weitgehender Konsens bestehen.