Von 1970 an gab es für jeden in der DDR eine Personenkennzahl, die auf jeder Akte und jeder Urkunde stand. Die Kontrolle der Bürger in der SED-Diktatur war dadurch total. Mit der Einheit 1990 war der Spuk vorbei. Jetzt soll in Gesamtdeutschland wieder eine Personenkennziffer eingeführt werden. Die Bundesregierung will die Steueridentifikationsnummer (Steuer-ID), die sich auf jedem Steuerdokument findet, zu einer allgemeinen Personenkennziffer ausbauen. Das Gesetz kommt mit dem unverdächtig wirkenden Titel „Registermodernisierungsgesetz“ daher.
Am heutigen Donnerstag soll der Bundestag zu nächtlicher Stunde darüber erstmals beraten. Offenbar hofft die Große Koalition, das Gesetz unauffällig durch die erste Lesung zu bringen, da in der Öffentlichkeit immer noch das Infektionsschutzgesetz das beherrschende Thema ist und noch einige Zeit bleiben dürfte.
Dabei steht mit dem „Registermodernisierungsgesetz“ einer der schwersten Eingriffe in Grundrechte bevor. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hält das Gesetz für verfassungswidrig. Eine ausführliche Debatte ist im Bundestag nicht vorgesehen. Nach 30 Minuten für die sechs Fraktionen steht die Überweisung an die Ausschüsse an, wo das Thema dann hinter verschlossenen Türen seinen weiteren parlamentarischen Lauf nimmt.
Die Verwaltung will mehr Effizienz
Wie in solchen Fällen üblich, wird das Vorhaben mit Erleichterungen für die Bürger begründet: „Es ist schwer, der Bevölkerung zu vermitteln, daß sie beim Kontakt mit der Verwaltung für die Beantragung von Leistungen immer wieder die gleichen Daten angeben muß, die der Verwaltung an anderer Stelle bereits bekannt sind“, heißt es in dem Gesetzentwurf.
Künftig sollen sämtliche wichtigen Dokumente über die Steuer-ID abrufbar sein. Schreibfehler bei Namen, Irrtümer und Verwechslungen könnten durch ein registerübergreifendes Identitätsmanagement mit einem eindeutigen und veränderungsfesten Ordnungsmerkmal (Identifikationsnummer)“ in Zukunft vermieden werden. Dafür müsse die Verwaltung ertüchtigt werden, diese Nachweise (etwa Geburtsurkunden) selbst auf digitalem Wege beschaffen zu können, fordert die Bundesregierung.
Und dafür wird die Steuer-ID gebraucht. Ihr großer Vorteil für die Regierung: Das System ist etabliert; jeder bekommt eine solche Nummer mit der Eintragung ins Geburtenregister zugeteilt, und sie ändert sich im Unterschied zur Steuernummer ein Leben lang nicht mehr. Für die Regierung ist klar: „Dieser behördenübergreifende Datenaustausch kann effizient nur umgesetzt werden, wenn die Register der Verwaltungen anhand eines Ordnungskriteriums synchronisiert werden. Ohne ein solches kann der Grundsatz ‘once only’ nicht umgesetzt werden, da die nur einmalige Abgabe von Nachweisen durch Bürgerinnen und Bürger denknotwendig die zweifelsfreie Identifikation im späteren Prozeß erfordert.“
Datenschützer warnt vor erheblichem Risiko des Mißbrauchs
Zwar soll den Bürger der Zugang zu einem „Datencockpit“ ermöglicht werden, damit er die einen Überblick über die Verwendung seiner Daten bekommt, doch dem Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber reicht das nicht aus. Kelber lehnt die Nutzung der Steuer-Identifikationsnummer als übergreifendes Ordnungsmerkmal ab: „Durch die Verwendung einer einheitlichen Identifikationsnummer besteht ein erhebliches Risiko der mißbräuchlichen Zusammenführung der Daten aus unterschiedlichen Registern. Damit werden viele Sicherheitsmaßnahmen entwertet. Ich hoffe, daß uns nicht wieder erst das Bundesverfassungsgericht vor einem zu neugierigen Staat schützen muß.“
Der Datenschutzbeauftragte hält die Verwendung der Steuer-ID als allgemeine Personenkennziffer au mehreren Gründen für verfassungswidrig. So gefährde dieses System „schon durch seine Implementierung den besonders geschützten geistigen Innenraum des Bürgers. Schon die Verwendung eines einheitlichen Personenkennzeichens an sich birgt besondere Risiken der Kompromittierung der Register durch Angriffe oder Fehlgebrauch.“
„Staat darf seine Bürger nicht zwangsweise in ihrer ganzen Persönlichkeit registrieren“
Außerdem rechnet der Datenschutzbeauftragte mit einer Ausweitung der Personenkennziffer auf alle Lebensbereiche: „Beispiele in anderen Ländern zeigen, daß eine zentrale ID-Nr. am Ende in der gesamten Privatwirtschaft als zentrales Ordnungsmerkmal genutzt wird. Auch in Deutschland wird damit mittelfristig zu rechnen sein.“
Äußerst kritisch äußert sich auch der Deutsche Anwaltverein: „Das Bundesverfassungsgericht hat bereits zwei Mal – mit dem Mikrozensusbeschluß und dem Volkszählungsurteil – deutlich gemacht, daß der Staat seine Bürger nicht zwangsweise in ihrer ganzen Persönlichkeit registrieren und katalogisieren darf. Sobald Persönlichkeitsprofile erstellt werden können, dürfte es auch nur eine Frage der Zeit sein, bis die Sicherheitsbehörden darauf zugreifen.“
Das Infektionsschutzgesetz hat gezeigt, wie die Regierung und Parlament im Schnellverfahren in Rechte der Bürger eingreifen. Wenn der Widerstand gegen die Personenkennziffer nicht breiter wird, werden aus Bürgern bald Nummern geworden sein.