HANNOVER. Niedersachsens Polizei soll verstärkt „rechtsnationalen Tendenzen“ in den eigenen Reihen vorbeugen. Das hat das Innenministerium in seiner Antwort auf die Anfrage des Landtagsabgeordneten Belit Onay (Grüne) mitgeteilt. Aufgrund des aktuell gestiegenen Zuspruchs „für Rechtspopulisten in Deutschland und in Europa“ sei zu befürchten, „daß hierdurch die Polarisierung in der Gesellschaft zunimmt“.
Deshalb komme es für die Ordnungskräfte im Land darauf an, „die Schlüsselkompetenz Demokratiefähigkeit und -resilienz“ zu erhalten und „nachhaltig weiter zu stärken“, heißt es in dem Schreiben. Gerade von Polizeibeamten müsse „in besonderer Weise erwartet werden können, daß diese den Verlockungen der scheinbar einfachen Lösungen rechtspopulistischer Kräfte widerstehen können und für den Schutz einer offenen Gesellschaft aktiv einstehen.“
GdP sieht „etwas in Schieflage geraten“
Bereits in der Ausbildung angehender Polizisten werde die Verfolgung politisch motivierter Kriminalität – etwa die Strafbarkeit des Führens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen oder Volksverhetzung – behandelt. Dabei würden „auch aktuelle Ereignisse aus diesem Kontext thematisiert und eingeordnet.“ Zudem seien bei der Aus- und Weiterbildung der Beamten „Bürgerorientierung und Toleranz“ sowie der Erwerb einer „interkulturellen Kompetenz“ essentiell, um ein „diskriminierendes Einschreitverhalten“ der Sicherheitskräfte zu verhindern. Darin sehe man einen wichtigen Baustein, um „rechtsnationalen Tendenzen in der Polizei Niedersachsen vorzubeugen“.
Nach solchen hatte der innenpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Onay, die Landesregierung gefragt und auf eine verstärkte politische Bildung in der Polizei gedrungen. Er bezog sich dabei auf die Aussage des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek. Der hatte einen verstärkten Bedarf an politischer Bildung bei den Ordnungshütern gesehen, um den „erforderlichen Verfassungspatriotismus“ zu stärken. Bei vielen Beamten, so Radek, sei „etwas in Schieflage geraten“, was sich in „Sympathien für das rechtsnationale Parteienspektrum ausdrückt“.
Das niedersächsische Innenministerium betonte, daß „jeder entsprechende Verdachtsfall, der auf ein Fehlverhalten mit einem rechtsnationalen, rechtsradikalen, rechts- oder auch sonst extremen oder extremistischen Hintergrund hindeutet, ernst genommen und auf seine Substanz hin untersucht“ werde. Bestätige sich ein solcher Verdacht, ergreife die Behörde alle erforderlichen dienst- und auch disziplinarrechtlichen Maßnahmen.
Fortbildungen für Beamte
Von 2016 bis Ende Juli seien landesweit in vier Fällen mit möglicherweise rechtsmotivierten Bezügen Verfahren gegen Polizisten aktenkundig, teilte das Ministerium mit. Ob einzelne niedersächsische Polizeibeamte „darüber hinaus rechtsnationale oder rechtsradikale Kontakte haben, entzieht sich der Kenntnis des Landespolizeipräsidiums“. Zudem sei eine Überprüfung von Beamten auf die Mitgliedschaft in einer Partei, „die nicht bestandsfähig als verfassungsfeindlich eingestuft ist, rechtlich nicht zulässig“.
Auch genüge gemäß der Rechtsprechung eine reine Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindliche Ziele verfolgenden Vereinigung nicht für eine Verletzung der Verfassungstreuepflicht von Beamten, heißt es in der Antwort der Landesregierung. „So können reine Kontakte zu rechtsnationalen oder rechtsradikalen Organisationen, Vereinigungen, Gruppierungen oder Bewegungen dabei zwar ein Indiz für Zweifel an der Verfassungstreuepflicht sein, stellen aber allein gesehen noch keinen Verstoß gegen diese dar.“
Die Behördenleitung verweist in ihrem Schreiben außerdem auf zahlreiche Fortbildungsangebote für die Beamten hin. Dies umfasse etwa die „umfängliche“ Behandlung des Themas „hate crime“, Führungen durch die Ausstellung des Verfassungsschutzes mit dem Titel „Gemeinsam gegen Rechts“ sowie die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen. Ziel dabei sei „den Blick zu schärfen für mögliche gesellschaftliche Fehlentwicklungen“ und so „rechtsradikalen Tendenzen innerhalb der Polizei nachhaltig entgegenzuwirken“. Eine „Legitimationskrise“ für die Polizei Niedersachen, so heißt es abschließend aus dem Innenministerium, sei „weder erkennbar noch zu erwarten“.
AfD ist in Niedersachsen „Prüffall“
Der Grünen-Abgeordnete Onay forderte in diesem Zusammenhang „regelmäßige Studien zu extremistischen Einstellungsmustern bei der Polizei“. Dabei gehe es nicht darum, die Beamten unter Generalverdacht zu stellen. Allerdings sei der „Rechtsextremismus in der Gesellschaft und auch in den Polizeistrukturen angekommen“. Da dies dort weitreichende Folgen habe, brauche man Fakten, um so „zur Versachlichung der Debatte“ beizutragen. Die Grünen fordern, daß die Ressortverantwortlichen ein entsprechendes Konzept zur nächsten Innenministerkonferenz am 4. Dezember 2019 in Lübeck vorlegen.
Unterdessen hat der niedersächsische Verfassungsschutz die AfD inzwischen ins Visier genommen. Wie der NDR berichtet, behandelt der Nachrichtendienst den Landesverband der Partei mittlerweile als Prüffall. Das habe der Chef der Behörde, Bernhard Witthaut, zu Beginn dieser Woche dem zuständigen Parlamentsausschuß in einer vertraulichen Sitzung mitgeteilt, so der Sender. Man befinde sich in der sogenannten „Verdachtsgewinnungsphase“, was bedeutet, daß „tatsächliche Anhaltspunkte“ für den Anfangsverdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorlägen.
Scharfe Kritik daran äußerte der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion, Klaus Wichmann. Er warf Innenminister Boris Pistorius (SPD) vor, den Verfassungsschutz für parteipolitische Zwecke zu instrumentalisieren. „Hier geht es nicht darum, das Grundgesetz zu schützen, sondern allein darum, einen lästigen Mitbewerber auszuschalten“, so Wichmann. Seine Fraktion werde im Ausschuß für Verfassungsschutz Auskunft darüber verlangen, was der AfD genau vorgeworfen werde, falls der Bericht des NDR zutreffe. Außerdem müsse aufgeklärt werden, wer diese vertraulichen Informationen an die Öffentlichkeit weitergegeben hat. „In jedem Fall werden wir rechtliche Schritte prüfen“, kündigte der AfD-Abgeordnete an. (vo)