Bundesinnenminister Horst Seehofer ließ am Montag keinen Zweifel: Der Skandal um zu Unrecht erteilte Asylbescheide beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) benötigt noch immer eine vollumfängliche Aufarbeitung. „Bremen ist keine Bagatelle“, bekräftigte er im Presseclub Regensburg – und widersprach damit jüngsten Medienberichten, die ein gänzlich anderes Bild von den Versäumnissen in der Bremer Außenstelle gezeichnet hatten.
Immer häufiger hieß es, die ehemalige Behördenleiterin Ulrike B. sei lediglich das Opfer einer Rufmordkampagne geworden. „Der Riesen-Bamf-Skandal war höchstens ein Skandälchen“, kommentierte etwa die Zeit. Die Mißstände hätten sich als weit geringer erwiesen als zunächst angenommen. Die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Ulla Jelpke, forderte gar eine öffentliche Entschuldigung von Seehofer für seine „unverantwortliche Panikmache“.
Als Beweis diente der jüngst abgeschlossene Prüfungsbericht des Bamf, den die Behörde in den vergangenen drei Monaten selbst erarbeitet hatte. Für den „Vollbericht Bremen“ hatten 70 Mitarbeiter alle Fälle untersucht, die seit 2006 in der Hansestadt positiv beschieden worden waren – insgesamt 12.848 Akten, die sich auf 18.347 Asylbewerber bezogen. Die Experten wollten wissen: Wie viele Unregelmäßigkeiten gab es bei den einzelnen Entscheidungen?
Mitarbeiter manipulierten die Entscheidungen
Die Medien griffen einzelne Bruchstücke der Untersuchung dankbar auf. Nur 1,1 Prozent der positiven Asylbescheide hätten bislang revidiert werden müssen, zitierte der Spiegel aus dem vorgelegten Bericht. Der aufgebauschte Bamf-Skandal werde von Tag zu Tag immer kleiner. Kein Grund zur Aufregung also?
Die genaue Lesart des internen Prüfungsberichts biete „einen etwas klareren Blick auf die Vorgänge“, entgegnet nun die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Zwar liege die Zahl der groben Verstöße tatsächlich bei nur 145. Doch handele es sich hierbei lediglich um Fälle, bei denen Mitarbeiter eine „bewußt manipulative Einflußnahme zur Erreichung einer bestimmten Entscheidung“ vorgenommen hätten.
Gleichzeitig gebe es weitere 2.043 Asylverfahren, in denen „nicht ausreichend ermittelt“ worden sei. Bei rund 2.700 Fällen (rund 21 Prozent aller Verfahren) hätten die Prüfer „Mängel in der Bearbeitung“ beanstandet. Das Bamf bestätigte die Zahlen gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.
Auch Innenausschuß des Bundestags beschäftigt sich mit den Berichten
Der wohl heikelste Punkt aber blieb in den meisten Medienberichten der vergangenen Tage gleich ganz außen vor: Die 4.568 Fälle, „an denen die beiden jesidischen Rechtsanwälte aus Hildesheim und Oldenburg beteiligt waren, mit denen Ulrike B. teils eng kooperiert haben soll“, seien nämlich erst gar nicht untersucht worden, schreibt die faz. Durch den Korruptionsverdacht bei den positiven Asylbescheiden für Jesiden war die Bamf-Affäre jedoch erst richtig ins Rollen gekommen. Diese sollen nun gesondert untersucht werden.
Am kommenden Montag will sich auch der Innenausschuß des Bundestags mit den Geschehnissen in der Bremer Außenstelle beschäftigen. Hier soll ein zweiter Bericht in die Diskussion einfließen, den Innenminister Seehofer beim Bundesrechnungshof in Auftrag gegeben hatte.
Ulrike B. griff persönlich ein
Auch dessen Ergebnisse bergen eine besondere Brisanz: Der Untersuchung zufolge hat sich bei der Prüfung von 4.407 Fällen, an denen die jesidischen Anwälte beteiligt waren, herausgestellt, daß die Bremer Außenstelle in 89 Prozent der Fälle tätig wurde, obwohl der Antrag andernorts gestellt wurde. Die meisten anderen Dienststellen würden eine Quote von drei Prozent vorweisen. Auch hier hatte Ulrike B. offenbar ihre Finger im Spiel.
In 87 Prozent der Verfahren der beiden Anwälte hätte sie persönlich interveniert, im bundesweiten Vergleich ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Zudem sei in 42 Prozent der Fälle die Identität der Asylbewerber nicht hinreichend geklärt worden. Die Prüfer des Rechnungshofes kommen zu dem Schluß: „Ulrike B. hat jahrelang massiv gegen geltendes Recht, Sicherheitsvorgaben und hausinterne Anweisungen verstoßen.“ Ein Skandälchen also? Wohl kaum.