BERLIN. Die SPD hat den Weg für Verhandlungen über eine Große Koalition frei gemacht. Eine große Mehrheit der Delegierten stimmte am Donnerstag auf dem Parteitag in Berlin für die Aufnahme von ergebnisoffenen Sondierungsgesprächen mit der Union. Bevor die SPD Koalitionsverhandlungen aufnimmt, müßte ein Sonderparteitag im kommenden Jahr grünes Licht geben. Über einen möglichen Koalitionsvertrag werden nach dem Willen der Parteiführung zusätzlich noch die Mitglieder abstimmen.
Noch am Wahlabend hatte SPD-Chef Martin Schulz diese Option ausgeschlossen und angekündigt, in die Opposition zu gehen. Die Sozialdemokraten fuhren am 24. September mit 20,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten bei einer Bundestagswahl ein.
Am Abend wurde Schulz mit 81,9 Prozent in seinem Amt als Parteichef bestätigt. Bei seiner Wahl im März hatte er noch 100 Prozent der Stimmen erhalten. In seiner Parteitagsrede forderte Schulz die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa bis 2025. „Ich will, daß es einen europäischen Verfassungsvertrag gibt, der ein föderales Europa schafft“, sagte der frühere Präsident des Europaparlaments.
„Europa ist unsere Lebensversicherung“
Eine europäische Verfassung solle demnach von einem europäischen Verfassungskonvent ausgearbeitet werden, der die Zivilgesellschaft und die Bürger mit einbeziehe. Anschließend soll der Vertrag allen Mitgliedstaaten zur Ratifizierung vorlegen. Länder, die ihre Zustimmung verweigern, müßten nach dem Willen von Schulz in einem solchen Fall automatisch die EU verlassen. „Europa ist unsere Lebensversicherung“, betonte er.
Weiter prangerte der Parteivorsitzende in seiner Rede „asoziale Steuerflucht“ und Konzerne wie Google und Facebook an, die europäische Regeln nicht akzeptierten. Hart ins Gericht ging Schulz auch mit der vermeintlichen Austeritätspolitik des früheren Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble (CDU): „Weitere vier Jahre deutsche Europapolitik à la Wolfgang Schäuble, das kann sich die Europäische Union weiß Gott nicht mehr leisten.“
Kritik an Schulz` Thesen zur Europapolitik kam aus der CSU. „Man muß jemanden, der die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa bis 2025 fordert, der damit die Auflösung der Nationalstaaten in den kommenden sieben Jahren will und der alle, die sich diesem Diktat nicht beugen wollen, aus der EU rausschmeißen will, wohl als einen Europaradikalen bezeichnen“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt laut einem Bericht der Welt. (tb)