BERLIN. Nach den Meldungen über einen möglichen Rausschmiß der beiden AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch und Marcus Pretzell aus der Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) gibt es widersprüchliche Darstellungen über den Ablauf und die Hintergründe.
Am Dienstag hatte der Vorstand der EKR-Fraktion die beiden AfD-Abgeordneten aufgefordert, die Fraktion bis Ende März zu verlassen. Anderenfalls werde am 12. April über einen Ausschluß von Storchs und Pretzells abgestimmt. Anlaß für das Vorgehen ist die Kritik innerhalb der Fraktion an den Interviewäußerungen von AfD-Chefin Frauke Petry zum Schußwaffeneinsatz bei der Grenzsicherung. Aber auch die Haltung der AfD zu Rußland und die Annährung an die FPÖ schmeckt nicht allen Fraktionskollegen.
Nach Darstellung der beiden AfD-Abgeordneten ist dies aber nur die halbe Wahrheit. Denn zwar habe der Fraktionsvorstand sie tatsächlich zum Austritt aufgefordert, eine eigentlich bereits für Dienstag geplante Abstimmung der gesamten Fraktion über einen Ausschluß sei dagegen kurzfristig abgesagt worden. „Der gestellte Antrag auf Ausschluß der AfD wurde in der Fraktionssitzung am 8. März in Straßburg zurückgezogen, weil es keine Mehrheit dafür gab. Deswegen wurde von der EKR-Fraktion gar nicht erst abgestimmt“, sagte von Storch.
Kritik an Fraktionsführer
Der zurückgezogene Antrag stammte nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT vom niederländischen Abgeordneten Peter van Dalen (ChristenUnie), der die angeblichen Forderung der AfD nach einem Waffeneinsatz gegen Flüchtlinge scharf kritisiert hatte. Unabhängig von der Schießbefehl-Debatte wirft van Dalen der AfD vor, in den vergangen zwei Jahren immer weiter nach rechts gerückt zu sein.
Von Storch kritisierte im Zusammenhang mit der Austrittsforderung die Fraktionsführung um Fraktionschef Syed Kamall (Tories). Diese beteilige sich „an dem bösen Spiel, der AfD vor den drei Landtagswahlen am 13. März zu schaden“. Schon seit Wochen gebe es fraktionsinterne Diskussionen um die Positionen der AfD zum Grenzschutz, zu Rußland und zum Verhältnis zur FPÖ. „Dabei erweckte die britische Fraktionsführung stets den Eindruck, hinter der AfD zu stehen, und erklärte die Mißverständnisse für ausgeräumt. Fünf Tage vor wichtigen Landtagswahlen hat sich dies als Täuschung erwiesen“, kritisierte die stellvertretende AfD-Vorsitzende.
Die beiden AfD-Abgeordneten vermuten, daß die britischen Konservativen in der EKR-Fraktion vom britischen Premierminister David Cameron unter Druck gesetzt wurden, gegen die verbliebenen AfD-Politiker in ihren Reihen vorzugehen. Der geplante Rauswurf der beiden Parlamentarier wäre demnach ein Zeichen des Entgegenkommens Camerons an Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Verhandlungen über die Bedingungen für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. Hierfür sprechen auch die Aussagen eines Brüsseler Tory-Abgeordneten, der der JUNGEN FREIHEIT Ende Februar von erheblichem Druck aus London berichtete.
Welche Rolle spielt Hans-Olaf Henkel?
„Ich bin gespannt, wie Cameron es in der Brexit-Diskussion erklären will, daß mit der AfD ausgerechnet die deutsche Partei aus der EKR-Fraktion ausgeschlossen werden soll, die in der EU etwas verändern will“, sagte Marcus Pretzell der JUNGEN FREIHEIT mit Blick auf die mutmaßliche Verwicklung Camerons in den geplanten Fraktionsausschluß.
Daß unter den britischen EKR-Abgeordneten gezielt Stimmung gegen die AfD gemacht wird, könnte auch ein Video belegen, das Ende Februar auf einem eigens dafür neu eingerichteten Youtube-Kanal veröffentlicht wurde und unter EKR-Abgeordneten kursiert. Es zeigt Ausschnitte der Rede, die der FPÖ-Vorsitzende Hans-Christian Strache Anfang Februar auf einer AfD-Veranstaltung in Düsseldorf gehalten hat. In dem Video wurden die Ausschnitte mit englischen Untertiteln versehen. Vor dem Hintergrund, daß die Annährung der AfD an die FPÖ, die in Brüssel gemeinsam mit dem französischen Front National der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheiten“ (ENF) angehört, in der EKR-Fraktion äußerst kritisch gesehen wird, ist dies brisant.
Pretzell zeigt sich gelassen
Seit längerem bekannt ist dagegen, daß seit der Spaltung der AfD im Juli vergangenen Jahres die fünf zur Alfa gewechselten ehemaligen AfD-Abgeordneten hinter den Kulissen den Rauswurf von Storchs und Pretzells betreiben. Hans-Olaf Henkel, der auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender ist, spielt hierbei offenbar eine führende Rolle.
Marcus Pretzell gibt sich angesichts des wachsenden Gegenwinds in der Fraktion gelassen. „Frau von Storch und ich haben nicht vor, aus der EKR-Fraktion auszutreten. Wir machen jetzt erst einmal bis zum Sonntag Wahlkampf. Ab dem 14. März werden wir dann Gespräche führen“, sagte Pretzell. Vermutlich wird es daher am 12. April in der EKR-Fraktion zum Schwur kommen. Auch von Storch gibt sich zuversichtlich: „Die Mehrheit in der EKR-Fraktion für einen formellen Ausschluß fehlt jetzt und in Zukunft“, sagte sie. (ms)