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Tanzabend sorgt für skurrile Provinzposse

Tanzabend sorgt für skurrile Provinzposse

Tanzabend sorgt für skurrile Provinzposse

 

Tanzabend sorgt für skurrile Provinzposse

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Eine skurrile Provinzposse hat das spezielle Verhältnis des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger zum Zentralrat der Juden hervorgebracht: den Ball mit Tanzverbot.

Weil der Wohlfahrtsball der Landespresse in diesem Jahr auf den 9. November fiel, setzte Oettinger als Schirmherr die Umwandlung des beliebten Stuttgarter Gesellschaftsereignisses in eine „Gala“ ohne Tanzvergnügen durch – und erntete wieder mal viel Kopfschütteln und Unverständnis.

Auslöser war der 83jährige Tübinger Pastor Dankwart-Paul Zeller: In einem Leserbrief und in einem Schreiben an das Staatsministerium kritisierte er die „skandalöse Instinktlosigkeit“ des Ministerpräsidenten, ausgerechnet am Jahrestag der vom NS-Regime 1938 organisierten antijüdischen Ausschreitungen als Schirmherr den Eröffnungswalzer zu tanzen. Der Zentralrat der Juden und die israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg griffen die Kritik auf.

Panische Angst in der Villa Reitzenstein

Im Regierungssitz auf der Villa Reitzenstein, wo man seit der Affäre um Oettingers Grabrede auf seinen Amtskollegen a.D. Hans Filbinger offenbar panische Angst vor geschichtspolitischen Ausrutschern hegt, reagierte man sofort: Oettinger bedrängte die Veranstalter, ihm und dem Datum zuliebe auf den Tanz zu verzichten.

Die Organisatoren waren irritiert: Wohltätigkeitsbälle könnten doch wohl jederzeit stattfinden, außer bei Katastrophen. In 48 Jahren habe man nur einmal abgesagt, nämlich 1977 nach der Schleyer-Entführung. Im übrigen sei der Presseball, der stets am zweiten Freitag des Monats stattfindet, auch früher schon auf einen 9. November gefallen, ohne daß der Zentralrat der Juden protestiert habe; zuletzt 1990.

Damals hatte man eine Verlegung sogar diskutiert, aber bewußt davon Abstand genommen, weil das Datum ja auch für den Mauerfall stehe. Oettinger habe mit seinen Bedenken die Sache überhaupt erst ins Rollen gebracht, kritisierte das ehrenamtliche Organisationskomitee. Jetzt werde man wohl Minus machen; Leidtragende seien verarmte Journalisten, denen der Erlös zugedacht war.

„Zynische Mogelpackung“

Immerhin war die israelitische Religionsgemeinschaft mit der mit Oettinger vereinbarten Umwandlung des Tanz-Balles in eine Sitz-Gala zufrieden. Nicht so der Zentralrat. Die Umwidmung sei verlogen und eine „zynische Mogelpackung“, giftete dessen Generalsekretär Stefan Kramer.

Er hätte erwartet, daß Oettinger die Schirmherrschaft zurückgebe: „Nach unseren intensiven Gesprächen über die Filbinger-Rede bin ich einfach maßlos enttäuscht“, legte Kramer den Finger in alte Wunden. Offenbar ohne sich mit seiner Vorsitzenden abzustimmen; Charlotte Knobloch griff den Ministerpräsidenten zwar ebenfalls an, weil er „wiederholt in ein solches Fettnäpfchen“ getreten sei, begrüßte aber zugleich das Tanzverbot.

Der unversöhnliche Ton Kramers befremdete nicht nur die landespolitischen Journalisten. Auch die Landtagsopposition wollte nicht so weit gehen, die Landespresse in die Nazi-Ecke zu stellen, um dem Regierungschef eins auszuwischen. Niemand sei geschichtsvergessen, nur weil er am 9. November einen Ball organisiere, nahm die Noch-Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD Ute Vogt ihren Gegner in Schutz; sogar Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann warnte vor der „unproduktiven“ Skandalisierung eines Nicht-Skandals.

Dezimierte Festgemeinde

Sein CDU-Kollege Stefan Mappus wies die Kritik des Zentralrats als „völlig unangemessen“ zurück, und Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) wurde als Ballteilnehmer noch deutlicher: Zentralrats-Generalsekretär Kramer habe „hoffnungslos überreagiert“ und „den Bogen deutlich überspannt“. Sein Geschichtsbewußtsein hätte „durchaus ein Tänzchen vertragen“, spöttelte Wirtschaftsminister Ernst Pfister vom Koalitionspartner FDP.

Der Landesvorsitzende der Republikaner, Ulrich Deuschle, griff Oettinger direkt an: Nur „ein schwacher Ministerpräsident mit inkompetenten Beratern“ habe in eine solche Posse überhaupt hineingeraten können. Seine Drohung, die Ballgäste mit einer Demonstration von Holocaust-Überlebenden zu konfrontieren, machte Kramer schließlich doch nicht wahr.

Ohnehin war die Festgemeinde stark dezimiert: 900 Karten wurden zurückgegeben, viele Prominente wie Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt oder Fernsehmoderator Dieter-Thomas Heck blieben aus Protest gegen das Tanzverbot zu Hause. Gerade 1.400 von ursprünglich 2.350 Gästen verloren sich zwischen leeren Tischen. Getanzt wurde übrigens dann doch – aber so richtig erst ab der Geisterstunde, als der 9. November endlich vorbei war. Nur Günther Oettinger blieb eisern
sitzen.                   

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