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JF-Serie zu Europas Armeen: Frankreich stolpert durch die Zeitenwende

JF-Serie zu Europas Armeen: Frankreich stolpert durch die Zeitenwende

JF-Serie zu Europas Armeen: Frankreich stolpert durch die Zeitenwende

Das Bild zeigt Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron bei einem Besuch der Luftwaffe.
Das Bild zeigt Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron bei einem Besuch der Luftwaffe.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einem Besuch der Luftwaffe: Der Ukrainekrieg kam für Paris zu einem schlechten Zeitpunkt. Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP | Patrick Bar
JF-Serie zu Europas Armeen
 

Frankreich stolpert durch die Zeitenwende

Frankreich ist stolz auf sein Militär. Doch die veränderte Sicherheitslage hat die Grande Nation eiskalt erwischt. Die fünfte Republik muß ihre Armee strukturell anders organisieren, wenn sie wehrfähig bleiben will.
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Kaum einem EU-Land dürfte der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 bezüglich seiner Militärdoktrin so ungelegen gekommen sein wie Frankreich. Nicht daß es dem Land an respektablen Streitkräften mangeln würde oder daß es bis dahin ein besonders ausgeprägtes Vertrauen in Rußland gehabt hätte. Aber Frankreich gefiel sich nicht erst seit Ende des Kalten Kriegs in seiner Rolle als internationale Ordnungs- und Nuklearmacht mit einem weltumspannenden Netz von Überseegebieten und Militärstützpunkten.

Der ständige Sitz im UN-Sicherheitsrat unterstrich dabei stets die eigene Wichtigkeit, und gern stand man in der Nato auch etwas abseits, war dort sogar zwischen 1966 und 2009 nicht Teil der integrierten Kommandostruktur. Die plötzliche Erkenntnis, in ihrem Mutterland, auf europäischem Boden, wieder militärischen Bedrohungen ausgesetzt zu sein, erwischte die Franzosen 2022 ebenso kalt wie die Deutschen. Die Einsicht, daß sich die USA unter Trump in der Nato nun immer mehr als ein „unsicherer Kantonist“ herausstellen und daß das US-Verteidigungsministerium inzwischen Taiwan vor Europa priorisiert, tut ihr Übriges.

Marine und Luftwaffe als Filetstücke

Doch wie steht es um die französische Militärmacht 34 Jahre nach dem Ende des Warschauer Pakts und 28 Jahre nach Ende der allgemeinen Wehrpflicht in Frankreich im einzelnen? Nach 30 Jahren „Friedensdividende“, die den Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt kontinuierlich von 4,1 Prozent in 1991 auf noch 1,9 Prozent in 2022 absenkte, ist das Land trotzdem die stärkste Militärmacht innerhalb der EU. Der „Global Firepower Index“ (GFP), der 145 Länder nach ihrer militärischen Stärke bewertet, führt das Land auf Rang 7, direkt nach Großbritannien. Deutschland erreicht dort lediglich Rang 14.

Frankreich glänzt entsprechend seiner Schutzfunktion für entlegene Überseedepartements und seinem Anspruch als Ordnungsmacht (schwerpunktmäßig in Afrika) vor allem mit seinen Marine- und Luftwaffeneinheiten sowie schnellen Eingreifkräften. Hervorzuheben sind hier der EU-weit einzige Flugzeugträger – die nuklear angetriebene „Charles de Gaulle“ –, vier kernwaffentaugliche Atom-U-Boote der Triomphant-Klasse, elf Zerstörer sowie die Transportflotte.

Das Bild zeigt den einzigen Flugzeugträger eines EU-Staates. Er heißt Charles de Gaulle und gehört Frankreich.
Frankreichs Flugzeugträger Charles de Gaulle: Die Grande Nation gilt als stärkste Militärmacht des europäischen Festlands. Foto: IMAGO / ABACAPRESS

Hinzu kommen bei den Luftstreitkräften entsprechend einer Selbstversorgungsdoktrin zum Beispiel das Rafale-Mehrzweckkampfflugzeug, das in der Lage ist, Luft-Luft- und Luft-Boden-Missionen durchzuführen, außerdem die Mirage 2000 und die Super Etendard. Insgesamt verfügt Frankreich über 976 fliegende Einheiten, darunter 226 Jäger, 448 Hubschrauber und 16 Tankflugzeuge.

Frankreich spürt den demographischen Wandel

Weniger Aufmerksamkeit erfuhren in den letzten Jahren dagegen die Bodentruppen. Über gerade einmal 215 Leclerc-Panzer verfügt das Land, das 1991 noch eine Panzertruppe mit 1.350 Einheiten aufbieten konnte. Allerdings steht hier Deutschland mit 296 Leopard-Panzern nicht viel besser da. Die bitterste Lehre aus dem Ukraine-Krieg war aber auch für Frankreich, daß Luftabwehrsysteme, Drohnen und Weltraumaufklärung moderne Kriegsführung immer IT-lastiger machen und damit einen hohen Innovationsdruck erzeugen. Verteidigungsfähigkeit heißt zukünftig vor allem, schweres Militärgerät, Truppenverlagerungskapazitäten und Infrastruktur gegen Drohnen- und Raketenangriffe zuverlässig schützen zu können. Erste Umschichtungen des französischen Verteidigungshaushalts tragen dem Rechnung.

Bezüglich der Mannstärke der Truppe bekommt auch Frankreich den demographischen Wandel und das nachlassende Interesse am Militärischen bei der jungen Generation zu spüren. Insgesamt verfügen die französischen Streitkräfte über 376.000 Militärangehörige, darunter 200.000 Soldaten im engeren Sinne. Damit es dabei bleibt, muß die französische Armee jedes Jahr 24.000 neue Rekruten anwerben, was immer schwieriger wird. Dabei bezeichnen sich nach einer Umfrage des Instituts Odoxa von 2022 drei Viertel der Franzosen und auch 62 Prozent der extremen Linken und Grünen als Patrioten.

Denn in Frankreich hat sich das Verhältnis der Linken zu allem Militärischen ebenfalls entspannt, seit von 1981 bis 1995 mit François Mitterrand erstmals in der Fünften Republik ein Sozialist regierte und 1996 die Wehrpflicht abgeschafft wurde. Auch die „Opération Sentinelle“, bei der nach den Terroranschlägen von 2015 bis zu 10.000 Soldaten zum Schutz des öffentlichen Raums abgestellt wurden, trug erheblich zur Imageverbesserung der Armee bei.

Alleingänge sind unerwünscht

Insgesamt haben die französischen Streitkräfte unter ihrem Generalstabschef Thierry Burkhard auch aufgrund von begrenzten finanziellen Spielräumen des Landes noch nicht auf die veränderte Sicherheitslage in Europa reagieren können. Die aktuellen Mittelaufstockungen folgen noch immer dem bereits 2018 festgezurrten Pfad zum „Modell einer vollkommenen Armee“, wobei inzwischen sogar das Zieljahr für die Umsetzung von 2030 auf 2035 verschoben wurde. Verwendet wird das Geld dabei weitgehend für Ersatzbeschaffungen.

Emmanuel Macron hat mit seinem jüngst geäußerten Vorschlag, die EU unter den Schutzschirm der französischen „Force de frappe“ (Atomstreitmacht) zu stellen, einen weiteren zaghaften Schritt hin zu einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur gemacht. Zaghaft deshalb, weil die Franzosen zwar anbieten, ihre Atomwaffen teilweise auf dem Territorium ihrer europäischen Partner zu stationieren, die alleinige Kontrolle über die Waffen aber behalten wollen. Da Frankreich seine Atommacht der Zweitschlagsdoktrin unterstellt hat und den 290 französischen Sprengköpfen 5.889 russische gegenüberstehen, wird es für Europas Verteidigung ohnehin darauf ankommen, die klassischen Teilstreitkräfte in neue europäische Strukturen einzubinden. Insgesamt verfügen die EU-Länder heute über 1,4 Millionen Soldaten.

Vor allem aber wird sich Frankreich – und mit ihm Europa – auch von Rüstungsalleingängen verabschieden müssen. Denn in kleiner Stückzahl hergestelltes militärisches Gerät läßt sich nur sehr schwer auf „Kriegswirtschaft“ und damit Massenfertigung umstellen, wie man beim Wunsch, der Ukraine zu helfen, gerade überall leidvoll feststellt.

Aus der JF-Ausgabe 17/25.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einem Besuch der Luftwaffe: Der Ukrainekrieg kam für Paris zu einem schlechten Zeitpunkt. Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP | Patrick Bar
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