Am 13. September 2024 unterzeichneten Verteidigungsminister Boris Pistorius und sein litauischer Amtskollege Laurynas Kasčiūnas in Berlin ein Abkommen zur Stationierung einer Bundeswehr-Brigade in Litauen. Im April war bereits ein Vorkommando in dem Baltenstaat eingetroffen. Dauerhaft sollen dort 5.000 deutsche Soldaten stationiert werden, um so das Nato-Gebiet besser gegen Rußland verteidigen zu können. Doch auch das dünnbesiedelte 2,9-Millionen-Einwohner-Land von der Größe Bayerns rüstet auf.
Bis 2035 soll ein Panzerbataillon entstehen, das mit Leopard-2-Panzern aus ausgestattet werden könnte. Zumindest erwäge das Litauen, so der im März ins Amt berufene Kasčiūnas. Damit geht der Minister von der konservativen Vaterlandsunion (TS-LKD) auf vorsichtige Distanz zu einem Beschluß des Nationalen Verteidigungsrates vom Januar, in dem nach einem Bericht des litauischen Fernsehsenders LRT der Kaufbeschluß bereits gefallen sein soll.
Die Entscheidung soll bald fallen. Denn für den 13. Oktober stehen Parlamentswahlen an, die der strategisch bedeutsamen Ex-Sowjetrepublik wohl eine neue Regierung bescheren werden. Laut einer Prognose würden die Koalitionsparteien nur noch 14,3 Prozent der Wählerstimmen erhalten.
Im Aufwind sind Litauens Sozialdemokraten
Daß das Wahlergebnis erst Ende Oktober feststehen wird, liegt am litauischen Wahlrecht, nach dem nur 70 der 141 Abgeordneten nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden. Die übrigen 71 müssen als Direktkandidaten im ersten Wahlgang entweder mehr als 50 Prozent auf sich vereinen oder sich als Erst- und Zweitplatzierte am 27. Oktober einer Stichwahl stellen.
Aktuell wird Litauen seit 2020 von der TS-LKD (50 Sitze), den Liberalen (LRLS/12 Sitze) und der woken Freiheitspartei (LP/10 Sitze) unter Führung der Ministerpräsidentin Ingrida Šimonytė (TS-LKD) regiert. Die 49jährige frühere Vizechefin der Zentralbank war im Mai bei der Präsidentschaftswahl angetreten, hatte aber gegen Amtsinhaber Gitanas Nausėda in der Stichwahl keine Chance, als 75,6 Prozent für den 60jährigen parteilosen Ökonomen stimmten.
Im Aufwind sind die Sozialdemokraten (LSDP), die in Umfragen mit 22,3 Prozent stärkste Kraft werden könnten. Auf Platz zwei landet die TS-LKD mit 14,3 Prozent.
Kommt eine linksgrüne Koalition?
Auf Platz drei liegt mit 12,9 Prozent die Rechtspartei „Morgenröte der Memel“ (NA) des 42jährigen Juristen Remigijus Žemaitaitis, der unter anderem mit Israel-Kritik für Aufsehen sorgt. Knapp dahinter liegen die Bauernpartei (LVŽS) und die 2021 gegründeten grünen Demokraten (DSVL), zu denen der mit einer Ukrainerin verheiratete Ex-EU-Kommissar Virginijus Sinkevičius gehört.
Der frühere Parlamentspräsident Arūnas Valinskas ist sich sicher, daß es nach den Wahlen eine neue Koalition geben werde, sagt in einem TV-Forum. Er könne sich nicht vorstellen, daß die LVŽS und DSVL zusammenarbeiten könnten. DSVL-Chef Saulius Skvernelis benennt bereits die LSDP als potentiellen Partner: „Wir sind eine Mitte-Links-Kraft, daher haben für uns vor allem die politischen Kräfte Priorität, die in diesem Bereich tätig sind, in erster Linie die Sozialdemokraten.“
Nach Einschätzung der Ex-Chefin der linkspopulistischen Arbeitspartei (DP), Loreta Graužinienė, könne die TS-LKD bei den Parlamentssitzen dennoch vorne liegen, denn bei den Direktmandaten würde die NA Probleme haben: „Soweit ich mir die Personenliste angesehen habe, sehe ich dort keine starken Einzelmandat-Kandidaten“, so die 61jährige Graužinienė.
„Ohne Žemaitaitis wird es keine Koalition geben“
Auch der Politologe Viktoras Ščerbinkinas erinnert daran, daß Konservative bei Wahlen in der Regel besser abschneiden, als es die Umfragen vorhersagen. Und habe nicht die die LVŽS-Führung wiederholt ihren Wunsch zum Ausdruck gebracht, eine Koalition mit der DSVL zu vermeiden? Letztere dürfte aber zusammen mit LSDP kaum über ausreichend Mandate verfügen, um eine Regierungskoalition bilden zu können. Die rechte NA könnte das Zünglein an der Waage sein: „Ohne Žemaitaitis wird es keine Koalition geben“, glaubt Graužinienė.
Zugelegt hat in den Umfragen auch die derzeitige Koalitionspartei LRLS, die auf 8,6 Prozent kommen könnte. Die woke LP könnte allerdings an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Die DP könnte hingegen mit 6,2 Prozent erneut ins Parlament (Seimas) kommen. Es wird also wahrscheinlich wieder sehr bunt werden: 2020 kamen zu den sechs Parteilisten-Siegern noch vier Parteien über Direktmandate und vier unabhängige Kandidaten ins Parlament in Wilna (Vilnius).