Die ganze Welt rätselt: Wer steckt hinter Sabotageaktion gegen Nord Stream 1 und 2. Theorien gibt es wie Sand am Meer. Immerhin in einem scheinen sich alle sicher zu sein: Angesichts der Komplexität des möglichen Anschlags, kann nur ein staatlicher Akteur dafür in Betracht kommen. Bereits kurz nach den mutmaßlichen Detonationen hatten unter anderem die Regierungen der Länder Deutschland, Rußland, Schweden, Dänemark und Polen sowie auch die EU und die Nato einen Anschlag als Ursache für die Schäden an den Gasleitungen öffentlich in Betracht gezogen.
Unterdessen hat die schwedische Küstenwache hat ein weiteres und damit viertes Gasleck an den beschädigten Pipelines entdeckt. Das berichtete die Stockholmer Zeitung Svenska Dagbladet. Zudem sind deutsche Sicherheitsbehörden davon überzeugt: Alle vier Doppelstränge sind mittlerweile so stark beschädigt, daß eine Reparatur der Gasröhren technisch wohl nicht mehr möglich ist. Das einströmende Wasser hat mittlerweile eine Korrosion der Metallröhren zur Folge, was sie für immer unbrauchbar machen könnte.
Die JUNGE FREIHEIT gibt einen Überblick über die am heißesten diskutierten Theorien zu den möglichen Verursachern der Lecks in den Pipelines, die mittlerweile zuhauf in den Medien und den sozialen Plattformen kursieren.
Deutscher Geheimdienst vermutet Taucher
Die Bundesregierung zeigt sich zwar besorgt und warnt vor weiteren Anschlägen, macht bislang jedoch noch keinen Beteiligten für die Tat verantwortlich. Natürlich sei die „kritische Infrastruktur ein potenzielles Ziel“, sagte Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) laut dem Tagesspiegel. Derzeit wertet demnach der Bundesnachrichtendienst (BND) Satellitenaufnahmen über mögliche Schiffsbewegungen im Vorfeld der Detonationen aus.
Eine Theorie des Auslandsgeheimdienstes geht davon aus, daß Taucher Sprengsätze an den Nord-Stream-Röhren angebracht haben könnten. Mögliche Auftraggeber dieser Taucher hat der BND bislang nicht benannt.
War es Rußland?
Der Tagesspiegel hat kürzlich die Argumente diskutiert, die für eine „False Flag“-Aktion Rußlands sprechen. „Würde Rußland weiterhin kein Gas liefern, würde das Land vertragsbrüchig. Dies greift jedoch nicht, wenn Rußland auf Grund kaputter Leitungen nicht liefern kann.“ Demnach halten unter anderem die Regierungen der Ukraine und Polens sowie norwegische und britische Sicherheitsfachleute eine russische Sabotageaktion für möglich.
Ein auf Streitkräfte und Geschichte spezialisierter Youtube-Kanal des Militärkenners Torsten Heinrich führte jüngst Gründe und Motive auf, warum Moskau hinter der Beschädigung ihrer eigenen Energieinfrastruktur stecken könnte. Dafür spreche zuerst der Fakt, daß die Detonationen knapp vor dänischen Hoheitsgewässern stattfanden, damit dies als „kein Angriff gegen ein Nato-Mitglied“ gewertet werden kann. Auch habe eine solche Aktion folgenden Effekt: „Die Russen können damit zeigen, zu was sie alles fähig sind.“ Der YouTuber betonte gleichzeitig, er könne nicht mit absoluter Sicherheit sagen, daß es Rußland tatsächlich war, hält dieses Szenario aber für realistisch.
Rußland hätte damit einen militärpolitischen Hebel, um Brüssel und Berlin energiepolitisch stark unter Druck zu setzen, indem es unterseeische Telekommunikationskabel oder andere Pipelines in Europa direkt angreift oder außer Gefecht setzt. Diese Strategie wäre ein frontaler Angriff auf die Energieversorgung der Europäer, auch hinsichtlich hybrider Kriegsführung.
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Oder waren es „Klima-Terroristen“?
Auch „Klima-Terroristen“ und Umweltschutzorganisationen zieht der Militärkenner Heinrich theoretisch in Betracht, um „die Nutzung fossiler Energien zu unterbinden. Das erscheint aber unwahrscheinlich“.
Polen und die Ukraine, die auch als potenzielle Urheber der Schäden benannt werden, betrachtet er demnach als unwahrscheinliche Theorien zur Sabotageaktion. Beiden Staaten fehlten dazu schlußendlich die Mittel, urteilte der Militärkenner.
Rußland bringt amerikanischen Spezial-Helikopter ins Spiel
Moskau wiederum weist alle Vorwürfe zurück, hält aber Sabotage durch einen anderen Akteur für möglich, wie Kremlsprecher Dmitri Peskow kurz nach den Vorfällen mitgeteilt hatte. Russischen Medienberichten zufolge könnte ein Hubschrauber des US-Militärs an den Lecks von Nord Stream 1 und 2 beteiligt gewesen sein. Das kremlnahe Medienportal lenta.ru nannte konkret den Mehrzweck-Helikopter MH-60R Strike Hawk als mögliche Tatwaffe.
Dieser sei russischen Aufklärungsdaten zufolge im bekannten Zeitraum der Detonationen in der Nähe der dänischen Insel Bornholm gesichtet worden. Die Ostseeinsel liegt in der Nähe der beschädigten Gasleitungen. Ein solcher Helikopter könne auch Unterwasserziele bekämpfen, hieß es.
Britischer Geheimdienst: „Moskau hat nur Nord Stream“
Die britische Times berichtete unter Berufung auf Geheimdienstkreise, „höchstwahrscheinlich“ sei, daß russische Kräfte bereits vor Wochen oder Monaten Sprengsätze an den Nord-Stream-Pipelines angebracht haben könnten. Diese seien dann per Fernzündung detoniert.
Zum Anbringen hätte ein kleines Fischerboot gereicht, hieß es. „Rußland hat absolut kein Druckmittel auf den Westen, außer dieses eine: Gas“, zitierte das Blatt einen britischen Geheimdienstler. Eine von weiteren Theorien besagt, Rußland habe bereits beim Bau die Röhren von Nord Stream vermint.
Dänischer Militärforscher vermutet Unterwasserdrohnen
Der dänische Militärexperte Kenneth Buhl vom dänischen Royal Defense College hat sich zum möglichen Ablauf des mutmaßlichen Anschlags geäußert, aber keine Theorien zu möglichen Urhebern kommentiert. „Die Werkzeuge und Mittel dazu existieren und sind sozusagen bereits entwickelt. Um ein solches Rohr zu sabotieren, ist es am naheliegendsten, es mit einer Sprengladung zu sprengen, die auf dem Rohr platziert wird“, sagte er laut dem Nachrichtenportal t-online.
Für ihn sei der Einsatz von Unterwasserdrohnen am wahrscheinlichsten. Diese könnten ferngesteuert tauchen und ihr Ziel „exakt lokalisieren“, um einen möglichen Sprengsatz paßgenau anzubringen. Dieser könnte eventuell auch über einen Zeitzünder detoniert sein. Ebenso wahrscheinlich, daß die Unterwasserdrohnen in der Nacht bei Dunkelheit ihren Einsatz fanden, so der skandinavische Wissenschaftler. Solche Drohnen könnte jedes beliebige Schiff, also auch ein ziviles, in die Ostsee nahe der dänischen Insel Bornholm abgelassen haben. (ab)