Wenn es um das Thema Steuerreformen geht, muß in Österreich traditionell der Superlativ herhalten. So wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten gleich dreimal die „größte Steuerreform aller Zeiten“ ausgerufen – im Jahr 2004 durch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP), 2015 durch den sozialdemokratischen Kanzler Werner Faymann und vor wenigen Tagen durch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Entlastungen in Milliardenhöhe und eine CO2-Bepreisung sind laut Regierung die Kernpunkte der lange angekündigten schwarz-grünen „Öko-Sozialen Steuerreform“ von, die am Sonntag in Wien vorgestellt wurde.
Lob gab es für diese jüngste Reform vor allem von der eigenen Regierungsbank und aus Teilen der Wirtschaft, jedoch auch aus den Reihen der deutschen Medienwelt: „Mega-Steuerreform von Kurz“ titelte die Bild-Zeitung, während der Focus von einem „Steuer-Hammer für Österreich!“ und die Süddeutsche Zeitung von „Öffi-Fahren für die Zukunft“ sprachen. Einer Reihe von politischen Kommentatoren gilt die Reform überdies als Vorbild für Deutschland, wo derzeit die Themen Klimaschutz und Energiewende im Zusammenhang mit den Sondierungsgesprächen im Fokus stehen.
Deutlich umstrittener, als es die deutsche Berichterstattung vermuten läßt
Innerhalb Österreichs ist die präsentierte Steuerreform indes deutlich umstrittener als es die Berichterstattung deutscher Medien vermuten läßt. Die Oppositionsparteien äußerten unisono scharfe Kritik an der Reform und sprachen von einer „reinen Mogelpackung“ (FPÖ), einer „Verhöhnung der Steuerzahler“ (Neos) sowie von „altbekannter türkiser Klientelpolitik“ (SPÖ).
Laut der Freiheitlicher Partei werden die künftigen Mehrkosten für Heizen und Autofahren die Entlastungen deutlich übersteigen, der Bürger müsse am Ende also draufzahlen. Die Sozialdemokratie sieht vor allem große Konzerne und die Landwirtschaft als Profiteure des Steuerpakets und ortet eine „Schieflage im Steuersystem“ zu Ungunsten von Arbeitnehmern. Die sozial-liberalen Neos kritisieren einen zu geringen Lenkungseffekt der angestrebten CO2-Bepreisung und weisen vor allem auf die negativen Effekte der Kalten Progression hin.
Letztere steht beim Thema Steuerreformen immer wieder im Mittepunkt der Diskussion. So hatten Experten des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria errechnet, daß die Kalte Progression in den Jahren 2019 bis 2025 rund 19,5 Milliarden Euro ausmachen werde, was dazu führt, daß die mit Entlastungen von etwa 18 Milliarden Euro angesetzte Steuerreform binnen weniger Jahre verpuffen würde.
Knirsch zwischen ÖVP und Grünen
Die wirtschaftsliberale Denkfabrik Agenda Austria kritisierte indes, daß auch nach der Reform die Belastung des Faktors Arbeit nur in drei europäschen Ländern höher sei als in Österreich. Wörtlich heißt es in der Analyse: „Von einer konservativen Regierung sollte man erwarten, daß sie auch jene nicht aus dem Blick verliert, die den Sozialstaat maßgeblich finanzieren“.
Insbesondere die Grünen müssen für ihr Leuchtturmprojekt seitens diverser Umweltverbände wie Global2000 oder Greenpeace viel Kritik einstecken, da die präsentierte Klimapolitik auch im europäischen Vergleich deutlich zu unambitioniert sei.
Das politische Zustandekommen der Reform ist nach Informationen der JUNGE FREIHEIT das Ergebnis von monatelanger Detailarbeit zwischen ÖVP und Grünen, die jedoch auf den letzten Metern in einen medialen Sololauf der ÖVP mündete. Zum Zeitpunkt der Verkündung einer Einigung zwischen den Koalitionspartnern am vergangenen Freitag – zwei Tage vor der eigentlichen Präsentation der Steuerreform – seien zentrale Streitpunkte wie die Höhe der CO2-Bepreisung noch nicht fertig verhandelt gewesen, heißt es aus Regierungskreisen.
Auch habe man nichts von der Medienoffensive der Kanzlerpartei ÖVP gewußt, sondern sich von derem eigenmächtigen Agieren überrumpelt gefühlt. Die als gemeinsamer Erfolg von ÖVP und Grünen geplante Steuerreform stellt sich nun also als Belastung für das Koalitionsklima heraus.