Zwei Tote und bis zu zehn Verletzte sind angeblich Opfer gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen russischen Grenztruppen im Norden der Halbinsel Krim und uniformierten Kommandos aus der Ukraine am Wochenende. Gestern hieß es in Moskau, Armee und Geheimdienst hätten geplante Terroranschläge auf der Krim im Vorfeld der russischen Parlamentswahlen am 18. September vereitelt.
Die in der Nacht zum Sonntag aus der Ukraine eingedrungenen Kommandos – die Rede ist von zwei Gruppen jeweils im Nordosten und Nordwesten der Halbinsel – hätten Minen, Granaten, selbstgebaute Sprengsätze, Munition und Spezialwaffen mit sich geführt. Die Sprengsätze hätten über eine Explosionskraft von zusammen 40 Kilogramm TNT verfügt.
Tote auf russischer Seite
Im Nordwesten ereigneten sich die Zusammenstöße im Gebiet der Grenzübergänge Kalantschak und Tschaplynka. Die russische Nachrichtenagentur Eurasia Daily zitierte eine Quelle im russischen Militär: „Unweit der Stadt Armjansk wurden bewaffnete Saboteure ausgemacht, es kam zu einem Schußwechsel mit einem Toten auf russischer Seite. Einen direkten Angriff auf den Grenzübergang oder auf russische Truppenteile, wie in einigen Medien berichtet, gab es allerdings nicht.“ Die Eindringlinge seien sofort nach Grenzübertritt aufgefallen.
Seinen Informationen zufolge, so der Militär weiter, habe das Kommando sich nach dem Schußwechsel wieder auf ukrainisches Gebiet zurückgezogen. Ob es gelungen sei, einen oder mehrere Saboteure zu verhaften, sei ihm nicht bekannt. Nach dem Vorfall wurden alle Grenzübergänge zur Ukraine geschlossen. Das bestätigte auch der Pressesprecher der ukrainischen Grenztruppen, Oleg Slobodjan.
Gerüchte über ukrainische Panzer
Auch im Nordwesten der russisch-ukrainischen Festlandsgrenze kam es in der Nacht zum Sonntag zu Übergriffen. Unter Berufung auf Militärangehörige auf der Krim sagte der Russe Igor Girkin, der im Frühjahr 2014 als Verteidigungsminister der selbsternannten „Volksrepublik Donbass“ für Schlagzeilen sorgte, Saboteure hätten von ukrainischem Territorium aus einen Grenzkontrollpunkt nahe der Ortschaft Tschongar angegriffen.
Insgesamt sollen bis zu vier russische Grenzschützer ihr Leben gelassen haben. Zwei Gruppen von Saboteuren, so heißt es, seien auf russisches Gebiet vorgedrungen. Eine davon sei auch in der Nacht zum Sonntag noch nicht gestellt worden. Dazu paßt die Information, daß noch am Montag ein russischer Soldat bei Schußwechseln getötet wurde. Es gibt allerdings auch Meldungen, die vom Vordringen ukrainischer Panzer auf russisches Gebiet am Montag berichten.
Widersprüchliche Informationen über Festnahmen
Widersprüchlich sind die vorliegenden Informationen zu Festnahmen. Einige Quellen berichten von mehreren Verhafteten, darunter einem 39-jährigen Angehörigen der ukrainischen Streitkräfte namens Jewgeni Panow aus der Stadt Saporischschja. Die Festgenommenen hätten Geständnisse abgelegt. Bei anderen heißt es, ein ukrainischer Offizier sei verhaftet und ein Sprengstofflager gefunden worden. Ob das Sprengstofflager identisch ist mit den erbeuteten Sprengsätzen bzw. der Offizier mit dem verhafteten Panow, ist offen.
Die verbale Reaktion aus Moskau ist eindeutig. RIA Nowosti meldet, der russische Präsident Wladimir Putin habe die Kommandounternehmen ein „sehr gefährliches Spiel“ genannt und betont, Russland werde alles tun, um die Sicherheit der Krim zu garantieren. Er denke, so der Präsident, allen sei jetzt klar, „dass die Kiewer Mächtigen die Lösung nicht auf dem Verhandlungsweg, sondern auf dem Wege des Terrors suchen. Das ist eine sehr alarmierende Tatsache.“
Ukraine weist Vorwürfe zurück
Gemeldet wurde auch, Putin habe den geplanten Normandie-Gipfel (Deutschland, Frankreich, Russland, Ukraine) am Rande des G 20-Treffens in China im September aufgrund der Vorfälle für hinfällig erklärt. Das ukrainische Verteidigungsministerium wies die Anschuldigungen aus Moskau entschieden zurück und dementierte jede Beteiligung ukrainischer Truppen oder Spezialeinheiten an Kommandounternehmen auf der Halbinsel. Der Chef des Nationalen Sicherheitsrats, Alexander Turtschinow, bezichtigte die russische Seite „hysterischer und falscher“ Anschuldigungen. Moskau warf er vor, auf der Krim Angst zu verbreiten.
Nach westlicher Lesart gehört die Krim völkerrechtlich zur Ukraine. Die Volksabstimmung im Frühjahr 2014, die zur Abspaltung der Halbinsel von der Ukraine und zum Anschluß an das frühere (bis 1954) russische Mutterland führte, wird international nur von wenigen Staaten anerkannt.
Intensität der Kämpfe steigt
Auch im ostukrainischen Bürgerkrieg steigt die Intensität der Kämpfe. Beide Seiten haben ihre schwere Artillerie längst wieder an die Front geschafft. Laut Berichten der OSZE-Mission im Donbass lag die Zahl der Artilleriegefechte im Juli deutlich über den der zurückliegenden zwölf Monaten. Besonders hoch war die Zahl ziviler Opfer auf Seiten der Aufständischen. Auf Regierungsseite kamen proportional mehr Uniformierte zu Tode.
Der Minsker Prozeß, der seit September 2015 durch die Kiewer Weigerung, einer Autonomieregelung zuzustimmen, politisch blockiert ist, ist inzwischen auch militärisch so gut wie revidiert. Seit Wochen halten sich Gerüchte, wonach die Regierungsarmee nach dem ukrainischen Unabhängigkeitstag am 24. August eine neue Offensive plant.