ISTANBUL. Grünen-Chefin Claudia Roth ist am Wochenende bei der Räumung eines Parks in Istanbul durch die türkische Polizei verletzt worden. Die 58 Jahre alte Politikerin hatte sich zusammen mit anderen Demonstranten in ein Hotel geflüchtet, das von den Sicherheitskräften mit Tränengas beschossen wurde. Roth erlitt nach eigenen Angaben Reizungen im Gesicht und in den Augen.
„Das war ein Gewaltangriff, wie ich es noch nicht erlebt habe“, sagte sie dem Focus. Zudem warf die Grünen-Politikerin der türkischen Polizei vor, Chemikalien in das Wasser der Wasserwerfer gemischt zu haben. Hintergrund des Polizeieinsatzes sind die seit mehreren Tagen andauernden Demonstrationen gegen den türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan.
Regierungschef verteidigt Polizeieinsatz
Entzündet hatte sich der Protest ursprünglich an der Räumung des Gezi-Parks in Istanbul. Dort soll ein neues Kaufhaus errichtet werden. Bei den Protesten gegen Bau waren in der vergangenen Woche hunderte Demonstranten verletzt und mehr als 1.000 Personen festgenommen worden.
Erdogan verteidigte das Vorgehen der Polizei am Sonntag vor über 100.000 Anhängern in Istanbul. Der Platz gehöre nicht einer einzelnen Gruppe, sondern allen Bewohnern Istanbuls. Die Demonstranten bezeichnete er als „Gesindel“ und „Terroristen“. Den ausländischen Medien warf er vor, nicht korrekt über die Proteste zu berichten.
Roth lobte Erdogans Politik
Einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei lehnte Roth unterdessen ab. „Man muß noch deutlicher sagen: jetzt erst recht. Jetzt geht es um die Justizkapitel, um die Menschenrechte, um die demokratischen Freiheitsrechte.“ Ein Ende des Prozesses sei lediglich ein „Geschenk für Erdogan“.
Die Grünen-Vorsitzende forderte die deutschen Journalisten auf, solidarisch mit der türkischen Zivilgesellschaft zu sein. „Erdogan hat kriegsähnliche Zustände gegenüber den Demokraten in diesem Lande geschaffen.“ Noch vor wenigen Jahren hatte die Politikerin Erdogan und seine islamische Partei AKP ausdrücklich für ihre Politik gelobt.
Nach dem Wahlsieg der Erdogan-Partei 2007 sprach Roth von einem klaren „Sieg der Vernunft und der Demokratie in der Türkei“. Die Wähler hätten ein Zeichen für die weitere „Demokratisierung des Landes“ gesetzt und sich gegen „Nationalismus und Chauvinismus“ ausgesprochen. (ho)