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Geopolitik: Pharaonen in Flecktarn

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Geopolitik
 

Pharaonen in Flecktarn

Ägypten ist ein zutiefst gespaltenes Land, ein Land in Aufruhr, politisch in der Sackgasse, wirtschaftlich am Abgrund – und von großer regionaler und geostrategischer Bedeutung. Der Umbruch in Ägypten hat Auswirkungen auf die gesamte Region Gelingt Kairo mehr Demokratie, kann das auf andere Staaten der Region abstrahlen. Versinkt das Land jedoch in Gewalt und Despotie, kann dies das gesamte Umfeld destabilisieren.
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Anhänger des abgesetzten Präsidenten: Die Muslimbrüder scheiterten an der Aufgabe, einen modernen Staat zu führen Foto: Imago

Ausnahmezustand, Straßenschlachten, Tote und Verletzte. Muslimbrüder, Liberale, koptische Christen, das Militär: Ägypten ist ein zutiefst gespaltenes Land, ein Land in Aufruhr, politisch in der Sackgasse, wirtschaftlich am Abgrund – und von großer regionaler und geostrategischer Bedeutung.

Bereits im dritten Jahr in Folge sind die Augen der politischen Welt auf das bevölkerungsreichste arabische Land gerichtet. Zuerst die Massendemonstrationen Anfang 2011, die schon Elemente eines Bürgerkriegs zeigten und zum Sturz des Autokraten Mubarak führten, dann die von inneren Unruhen begleitete Wahl eines politikunfähigen Muslimbruders namens Mursi zum Präsidenten.

Nach dem Wahlsieg kam die Unterdrückung „Ungläubiger“

Während des Wahlkampfs hatte er noch versprochen, im Falle seines Sieges mit säkularen Kräften zu koalieren und die Gestaltung der neuen Verfassung nicht allein seinen religiös-radikalen Parteigängern zu überlassen. Doch nach dem Wahlsieg waren Mursis Versprechen nur noch das Geschwätz von gestern. Statt zum „Aufbau der Nation“ kam es zu Unterdrückung und Ausgrenzung Andersdenkender, die der Präsident als Kriminelle, Anhänger des alten Systems oder als Ungläubige etikettierte.

Die Oktroyierung einer islamistisch geprägten Verfassung Ende 2012 und die brachiale Niederschlagung der Proteste dagegen machten der säkularen Opposition schnell klar, daß für Mursi Demokratie nicht viel mehr war als ein Vehikel, das ihm zur Macht verholfen hatte. Dies und der galoppierende wirtschaftliche Niedergang führten nach elf Monaten Mursi  dazu, daß der Volkszorn überkochte.

An der Führung eines modernen Staates gescheitert

22 Millionen Bürger (sehr viel mehr als ihn gewählt hatten) verlangten Ende Juni in einer Unterschriftenaktion Mursis Rücktritt und verliehen ihrer Forderung mit Großdemonstrationen Nachdruck. Statt politisch zu reagieren, rief der Präsident zu Gegendemonstrationen auf. Polarisierung und Gewalt überzogen das Land. Nur die Armee, einzig handlungsfähiges Staatsorgan, konnte das Gesetz des Handelns übernehmen.

Im 21. Jahrhundert einen Staat führen zu können, daran sind Mursis Muslimbrüder nachhaltig gescheitert. „Zäh, aber nicht zukunftsfähig“ – so lauteten die bösesten Kommentare zum gestürzten Präsidenten. Außenpolitisch anfangs interessiert und bemüht, hat Mursi im Ausland, etwa bei seinem Deutschlandbesuch im Januar, eine blasse, höflich belächelte Figur abgegeben, die dennoch gegen Guido Westerwelle, der in Berlin den Außenminister gibt, nicht abfiel.

Saudi-Arabien beglückwünscht Militär zum Putsch

Doch seine außenpolitische Agenda war mehr als ungeschickt: Er rief zum „heiligen Krieg“ gegen Syriens Diktator auf, brach die Beziehungen zu Damaskus ab. Im für Ägypten lebensbedrohlichen Streit um das Wasser des Nil hat er Äthiopien ohne Verstand drohen lassen. Auch für die Diplomatie war Mursi als Präsident eine Zumutung.

International lösten die jüngsten Vorgänge in Kairo ein geteiltes Echo aus. In den arabischen Golfstaaten wurde die Militäraktion begrüßt. Saudi-Arabiens König Abdullah war der erste Gratulant: Er wünschte dem vom Militär eingesetzten Interims-Präsidenten Glück und „schüttelte auch den Männern der Streitkräfte die Hände“. Der laute Knall der königlichen Ohrfeige aus Riad hallte in der ganzen Region wider.

Abwartendes Verhalten des Westens

Verurteilt wurde das Eingreifen der Armee dagegen in der Türkei, deren beleidigter Ministerpräsident Erdogan so wie Mursi mit einer starken Protestbewegung im eigenen Land nicht zurechtkommt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich vorsichtig nichtssagend geäußert. „Es handelt sich ohne Zweifel um umwälzende Ereignisse, die wir doch mit großer Sorge verfolgen.“

Kairos wichtigster Partner, Amerika, reagierte abwartend skeptisch. Präsident Obama forderte Ägyptens Militärs zur raschen Machtübergabe an eine gewählte Regierung auf und kündigte an, die Militärhilfe in Höhe von jährlich 1,3 Milliarden Dollar zu überprüfen – doch gleichzeitig versprach er „allen Politikern“, welche „die richtige Entscheidung“ träfen, erneut, daß sie „in die Geschichte eingehen, und in den Vereinigten Staaten von Amerika einen standfesten Partner finden werden“. Sie können Mubarak heißen oder auch ganz anders …

Strategisch wichtiger Faktor im Nahen Osten

Stabilität im bevölkerungsreichsten Land der Nahostregion kommt im Ringen um Macht, Profite und manchmal auch um Demokratie eine besondere Rolle zu. Gelingt Kairo mehr Demokratie, kann das auf Staaten Nordafrikas und der Arabischen Halbinsel abstrahlen. Versinkt Ägypten aber in einem Strudel aus Wirtschaftskrise, Gewalt und Despotie, kann dies auch das regionale Umfeld destabilisieren.

Die Elemente dieser Gleichung sind bekannt: die Religion in ihren fanatischen Schattierungen, Lebensstandard und Arbeitsplätze, Gerechtigkeit, das Militär – und die globalen Machtinteressen raumfremder Großmächte. Insofern zählt Ägypten zu den strategisch wichtigen Faktoren Washingtons und seines regionalen Verbündeten Israel:

Kairos Militär kontrolliert den Sinai und auch die Grenze zum von der palästinensischen Hamas regierten Gaza-Streifen – und vor allem den Suezkanal, der wie die Straße von Hormus (zwischen Iran und Oman) zu den bedeutenden Seewegen gehört, die das Mittelmeer mit Südasien und dem Fernen Osten verbinden.

JF 29/13

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