Am Ende kam der Rückzug nicht mehr wirklich überraschend. In seiner saarländischen Heimat wurde schon länger gemunkelt, daß Alt-Ministerpräsident Oskar Lafontaine keine Lust mehr auf die Berliner Bühne verspüre. Doch daß der 67jährige nach dem Fraktionsvorsitz der Linkspartei auch den Sessel an der Parteispitze sowie den Stuhl im Bundestag räumen wird, hat nun doch auch enge Mitstreiter vor den Kopf gestoßen (siehe auch den Kommentar auf Seite 2).
Lafontaine hinterläßt eine Partei, die sich die Frage stellen muß, ob ihr nicht mittelfristig ein erneutes Dasein als mitteldeutsche Regionalpartei droht. Bis heute ist es den SED-Nachfolgern nicht gelungen, ein überzeugendes Personaltableau in den westlichen Bundesländern aufzustellen.
Die Linkspartei im Westen, das war Lafontaine. Mehr als 21 Prozent hat seine Truppe bei der Landtagswahl im Saarland eingefahren, und vor seiner Krebserkrankung wurde spekuliert, er habe den Fraktionsvorsitz im Saarbrücker Landtag nur deshalb übernommen, weil sich seine Mannschaft als ziemliche Gurkentruppe herausstellen werde. Sein Rückzug in die Heimat bedeutet auch weniger öffentliche Präsenz – der Noch-Parteichef kündigte selbst an, wesentlich kürzer treten zu wollen.
Daß sich die Linkspartei bewußt ist, was sie an Lafontaine hatte, zeigt die Schnelligkeit, mit der seine Nachfolge geregelt wurde. Nachdem der Fraktionschef der Partei im Bundestag, Gregor Gysi, neben Lafontaine der einzige Funktionsträger, den breitere Bevölkerungsschichten im Westen kennen, bereits am Wochenende abgelehnt hatte, die Partei künftig alleine zu führen, lief alles auf Gesine Lötzsch und Klaus Ernst zu.
Die beiden Bundestagsabgeordneten erfüllen die wichtigsten Voraussetzungen: Sie sorgen für Geschlechtergerechtigkeit an der Spitze und decken sowohl Mitteldeutschland (Lötzsch) als auch den Westen ab (Ernst war IG-Metallbevollmächtigter in Schweinfurt). Nicht alle in der Partei trauen den beiden jedoch eine Befriedung der sich kritisch gegenüberstehenden Ost-West-Flügel zu. Gerade in den östlichen Bundesländern ist die Partei regional fest verankert und strebt Regierungsbildungen mit den Sozialdemokraten an.
Pragmatiker wie der populäre und wortgewandte Thüringer Fraktionschef Bodo Ramelow haben sich schon in der Vergangenheit deutlich von den Fundamentalisten in den westdeutschen Verbänden distanziert. Dort hatte Lafontaine der Partei einen strammen Oppositionskurs verordnet. Lediglich im Saarland, wo zahlreiche ehemalige Sozialdemokraten ihrem Chef in die Linkspartei gefolgt sind, wollte die Partei mitregieren. Es mutet wie ein Treppenwitz der Geschichte an, daß ausgerechnet Lafontaines Rückkehr in die Landespolitik die Grünen in das erste Jamaika-Bündnis der Republik getrieben hat.
Andere spekulieren hinter vorgehaltener Hand, daß durch den Abschied des Alphatiers aus der Bundespolitik nun der Weg frei für eine Versöhnung mit den Sozialdemokraten sei. Diese hoffen freilich darauf, daß die Linkspartei unter der neuen Führung in alte Grabenkämpfe zurückfallen könnte, zumal weder Lötzsch noch Ernst über annähernd soviel Autorität bzw. Charisma verfügen wie die scheidende Führung unter Lothar Bisky und Lafontaine.
Die nordrhein-westfälische SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft bietet ehemaligen Parteifreunden daher bereits die Rückkehr in den heimischen Schoß an – kein Wunder angesichts der Tatsache, daß es im Vorfeld der Landtagswahlen im Mai nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün aussieht. Ein knappes Scheitern der Linkspartei an der Fünf-Prozent-Hürde könnte den entscheidenden Ausschlag zugunsten der Sozialdemokraten geben, zumal Parteichef Sigmar Gabriel die rot-rote Option nicht favorisiert.
Der ehemalige Juso-Chef und Partei-Linksaußen Niels Annen liebäugelt dagegen mit einer Regierungsbeteiligung der Sozialisten. Die wissen nicht so recht, wie sich verhalten sollen. Lafontaine hatte stets befürchtet, eine Annäherung an die SPD könnte der Partei die Existenzberechtigung nehmen. Vor diesem Dilemma stehen die SED-Erben nun erneut. Und dieses Problem besteht unabhängig davon, wer künftig die Spitze der Partei bilden wird. Zunächst muß sich die Linkspartei jedoch Gedanken über ihre Satzung machen. Die Praxis der Doppelspitze sollte eigentlich in diesem Jahr auslaufen.