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Das fünfte Rad am Wagen

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Das fünfte Rad am Wagen

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Wir Grüne haben ein starkes Profil, aber da ist noch viel Platz nach oben. Rund 30 Prozent der Deutschen können sich vorstellen, Grün zu wählen – das zeigt, daß sich bei unseren Wahlergebnissen noch viel ausbauen läßt“, sagte der Mitvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, der Westdeutschen Zeitung – vor der Bundestagswahl. Nachher war er ein wenig kleinlauter.

Denn trotz ihres bisher besten Bundestagswahlergebnisses (10,7 Prozent) stellen die Grünen die kleinste aller Fraktionen im Bundestag und haben ihr Wahlziel, Schwarz-Gelb zu verhindern, voll verfehlt. Die Partei, die vor dreißig Jahren aus der Vision einer historischen Alternative zu Kapitalismus und Staatssozialismus entstand, ist weder geistig-moralisch noch tagespolitisch zur „Dritten Kraft“ geworden, sondern wurde das fünfte Rad an einem Wagen, der weiter Richtung Katastrophe rollt.

Selbst die FDP und die runderneuerte PDS mit ihrem Alleinvertretungsanspruch für die Linke und die Volksmassen zogen an der grünen Partei vorbei – die FDP an die Regierungsfleischtöpfe, die Gänsefüßchen-„Linke“ auf leisen Sohlen in die Ausgangsstellungen des Projekts, 2013 die Macht zu erobern für eine Bundesregierung mit sozialdemokratischen Aushängeschildern, exotischen Tupfern aus der Restopposition und etlichen zeitgeistig kostümierten Volkskommissaren in den Schlüsselpositionen.

Auf dem Rostocker Parteitag am vergangenen Wochenende („Rostock I“ gab 2001 der Regierung grünes Licht zum Afghanistan-Abenteuer) wurde Heerschau gehalten, wurden Wunden geleckt, die Claims neu abgesteckt und des Kaisers neue Kleider vorgeführt. Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten und Seltsamkeiten: Eine Parteiführung, die einerseits hektisch „Irgendwas tun!“ ruft, andererseits sich auf Ruhe als erste Mitgliederpflicht beruft, wirkt dabei ebenso komisch wie eine Grüne Jugend, die offen das Abtreten der bisherigen Spitzenpolitiker fordert, um selbst ganz oben Platz nehmen zu können.

Renate Künasts harsche Abwehr der jugendlichen Karrieristen-Konkurrenz auf dem Bundeskongreß der Grünen Jugend vor knapp zwei Wochen in Weimar („Wir sind gut beraten, uns nicht inhaltlich zu erneuern. Wir müssen unsere sehr guten und vom Wähler honorierten Inhalte jetzt in Alltagspolitik übersetzen“) offenbart eine menschlich-allzumenschliche Komödie, die aus den Vorabendserien vertraut ist: Die PatriarchInnen wollen partout nicht aufs Altenteil, die Junioren sägen am Thronsessel.

Aber sind die Inhalte wirklich so großartig und begeisternd? Führt nicht vielmehr der besinnungs- und gesinnungslose Bruch mit der ursprünglichen Programmatik und Identität der Grünen – verbunden mit einer Verdrängung des „Woher?“ und des „Vorher“ – und die gleichzeitige Weigerung, die Frage nach dem „Wohin?“, also den langfristigen Zielen der Partei,  zu stellen und zu beantworten, zwangsläufig zu einer Politik, die mit Tagestaktiererei, Taschenspielertricks und Denkverboten über die Runden zu kommen versucht? Wer nicht durchdenken und offenlegen will, in welche neue Ordnung er das Volk führen will, ja wer nicht einmal klar sagt, mit wem er mittelfristig seine Vorstellungen durchzusetzen beabsichtigt, dem wird ein sehr gesundes Mißtrauen entgegenschlagen. Stehen die Grünen für ein schwäbisch-anatolisches Ländle-Biedermeier, wie es uns Cem Özdemir verkaufen will (die Grünen als bewußt bürgerliche Partei, wobei „links“ und „bürgerlich“ kein Widerspruch sein soll) oder für den Erweiterten Wahrheits- und Politikbegriff der Hamburger Schwarzgrünen (Stichwort „Elbevertiefung und Bildungsverflachung“) oder für das saarländische Jamaika-Experiment (drei Abgeordnete – zwei Minister – ein Dauerstörfeuer von Jürgen Trittin und Freunden) oder für die „inhaltliche Meinungsführerschaft für die linke Mitte“ (so der hessische Grünen-Chef Tarek Al-Wazir), oder sollen sie, wie es die Grüne Jugend fordert, „sich als linke Oppositionspartei neben SPD und Linkspartei aufstellen und als progressive und emanzipatorische Kraft gegen die beiden konservativ-sozialdemokratischen Parteien absetzen“? Der Wähler darf rätseln.

Noch etwas brachte Rostock: den eher klammheimlichen Beschluß „Debatte zur Zukunft der europäischen Integration führen“, der dazu auffordert, das Grundgesetz zu ändern beziehungsweise faktisch auszuhebeln und Deutschland am Volkswillen vorbei in eine Provinz der „Vereinigten Staaten von Europa“ zu verwandeln. Dann hätte es in existentiellen Fragen sowenig Einfluß wie die Einwohner von Missouri oder Kalifornien innerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika. Statt des 1980 von den Grünen geforderten Regenbogen-Europa unabhängig kooperierender Nationalstaaten soll staatsstreichartig das Europa der Bürokraten, Pseudo-Eliten und der Konzernmultis kommen – eine Horrorvision, die Demokraten innerhalb und außerhalb der Grünen als Aufruf zum Widerstand und zur Verteidigung der demokratischen Ordnung verstehen sollten.

Rolf Stolz war Mitbegründer der Grünen und lebt heute als Publizist in Köln.

Foto: Claudia Roth und Cem Özdemir in Rostock: Die Junioren sägen am Thronsessel

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