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Anhand der Beifallsbekundungen war es vorauszusehen. André Brie und Sylvia-Yvonne Kaufmann werden dem Europaparlament nach der Wahl am 7. Juni nicht mehr angehören. Beiden war am vergangenen Wochenende auf dem Parteitag der Linkspartei in der Grugahalle von Essen ihr Bekenntnis zum Lissabon-Vertrag zum Verhängnis geworden, gegen den Gregor Gysi und Oskar Lafontaine derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.

Dabei war der Parteitag zunächst weitgehend harmonisch verlaufen. Einige Hakeleien bei Anträgen, manchmal etwas zu lange Diskussionen. Das war schon alles an Zwist. Manchmal dreht sich Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch genervt auf seinem Platz in der ersten Reihe um, streng ein Ende der Debatte einfordernd.

Straffe Parteitagsregie sorgt für Unmut

Das Europawahlprogramm wurde mit großer Mehrheit angenommen. Und Parteichef Lafontaine betont in seiner wie gewohnt die Parteibasis mitreißenden Rede, daß er es nicht nötig habe, Einfluß auf die Zusammensetzung der Europaliste zu nehmen. Die sei ausgewogen, der Proporz zwischen Männern und Frauen sowie Ost- und Westpolitikern gewahrt. Lothar Bisky wird Spitzenkandidat, mit 93,4 Prozent Ja-Stimmen. Ein gutes Ergebnis. Sabine Wils erhält mit 70,8 Prozent Zustimmung Platz zwei. Die 49jährige ist bei der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt in Hamburg tätig und war in den achtziger Jahren Mitglied in der DKP. Auch die Wahl von Gabriele Zimmer für Listenplatz drei verläuft reibungslos. 77,8 Prozent votieren für die Europaabgeordnete. Der für Platz vier vorgesehene Thomas Händel hat dann zwar eine ganze Reihe von Gegenkandidaten. Jedoch setzt er sich gleich im ersten Wahlgang souverän mit 78,1 Prozent gegen fünf weitere Bewerber durch.

Die Tagungsleitung ist straff geführt. Dennoch ist das Abstimmungsprozedere selbst gegen Mitternacht noch nicht beendet. „Name und Delegiertennummer bitte“, erklingt es streng vom Podium, wenn sich ein Redner zu Wort meldet. Manchen ist das zu streng. „Delegiertennummer habe ich nicht, meine Schuhgröße ist 38“, gibt eine Teilnehmerin trotzig an. Nahezu alle Wortbeiträge überschreiten das Zeitlimit. Was dazu führt, daß den Bewerbern vom Präsidium rigoros das Wort entzogen wird.

„Ich möchte euch mal die Geschichte von Grisu dem kleinen Drachen erzählen“, holt Alfred Sarkiss, ein Gegenkandidat von Händel zu einer längeren Ausführung aus. „Die wirst du ein anderes Mal erzählen müssen, deine Redezeit ist abgelaufen“, dröhnt es aus der Richtung des Tagungspräsidiums zum Bewerber hinüber. Jörg Rogall möchte ein „Experiment durchführen“. „Alle Delegierten mit Kindern bitte mal aufstehen“ , fängt der Ostfriese an. „Dafür ist keine Zeit mehr“, wird auch er von einem sichtlich genervten Versammlungsleiter zum beenden seiner Rede gedrängt.

Es geschieht bei der Abstimmung um Listenplatz Nummer sieben. Die langjährige Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann, von 1976 bis 1989 Mitglied der SED, meldet Ansprüche an und kandidiert gegen die von der Parteiführung favorisierte Sabine Lösing aus Niedersachsen. Sie scheitert. Schon der Aufruf ihres Namens sorgt für Unmut in den Delegiertenreihen. „Um Gottes willen, bloß nicht“, erregt sich ein Delegierter spontan. Ein Kreisverband hatte zuvor bereits beantragt, daß sich jeder Kandidat in seiner Vorstellungsrede dahingehend zu äußern habe, ob er für oder gegen den Lissabon-Vertrag sei. Kaufmann ist dafür, wirbt für die „Idee Europa“. Lösing spricht gegen ein „Europa der Konzerne“. Das kommt bei der Basis an. 60 Prozent wählen sie, Kaufmann bekommt nur 36 Prozent. Eine Ohrfeige für die Ost-Linken. Die 43jährige unterliegt auch bei weiteren Kandidaturen. Als sie auch die Wahl für Listenplatz 13 verliert, gibt sie auf.

Einem anderen Lissabon-Befürworter ergeht es nicht besser. André Brie, wie Kaufmann bereits seit zehn Jahren Europaparlamentarier, Ost-Linker und einstiger Vordenker der PDS, fiel ebenfalls durch. Unruhig wandert er während des Nominierungsverfahrens hinter den Delegiertenreihen auf und ab, die Hände zumeist in den Taschen vergraben. Der 58 Jahre alte ehemalige Hochschullehrer hatte noch vor wenigen Jahren gegen Parteichef Lafontaine opponiert. Lafontaine selbst wirbt während seiner Rede dafür, die „austarierte Liste nicht zu gefährden.“ Berichte, wonach er gegen die Kandidaturen von Brie und Kaufmann mobil gemacht habe, weist der Saarländer zurück. „Ich habe es nicht nötig, durch die Reihen zu laufen. Ich kämpfe mit offenem Visier“, sagt er unter dem Beifall der Delegierten. Und: „In unserer Partei entscheiden Mehrheiten, das ist nun mal so.“

Lediglich bei einem Kandidatenvorschlag konnte sich die Parteiführung nicht durchsetzen. Mit 51,6 Prozent der Stimmen verdrängte der amtierende Europaabgeordnete Tobias Pflüger den für Platz zehn vorgesehenen einstigen Grünen Wilfried Telkämper.

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