In einer Hinsicht sind sich Islamkritiker und strenggläubige Muslime einig: Das Kopftuch der Muslima ist nicht einfach ein Stück Stoff, sondern ein Zeichen für das selbstbewußte Vordringen des Islam in den öffentlichen Raum. Ein Befund, der freilich von beiden unterschiedlich bewertet wird. Das vom Berliner Senat 2005 beschlossene Neutralitätsgesetz, welches das Tragen religiöser Symbole im öffentlichen Dienst untersagt, wurde entsprechend als säkulare Verteidigungslinie errichtet. Doch ist diese Linie äußerst brüchig. So machte die damalige PDS ihre Zustimmung zum Gesetz von der Einrichtung einer „Antidiskriminierungsstelle“ sowie eines Arbeitskreises „Islam und Schule“ als Beitrag zur Integration muslimischer Einwanderer abhängig. Ob aber diese Einrichtungen wirklich zu einer sinnvollen Integration beitragen? Es gehört zum feministischen Grundkanon, die kopftuchtragende Muslima als Opfer des Patriarchats zu betrachten. Als gesellschaftliches Opfer in einem ganz anderen Sinne sieht sie die Antidiskriminierungsstelle des Senats. In dem jetzt gemeinsam mit der Integrationsbeauftragten herausgegebenen Heft „Mit Kopftuch außen vor?“ heißt es: „Speziell muslimische Frauen mit Kopftuch gelten in Deutschland weitverbreitet als unemanzipiert und nicht integriert, sie stoßen vielerorts auf Ablehnung, geprägt von Vorurteilen, Unwissenheit und Unsicherheit.“ Dieses Problem habe in den vergangenen Jahren „auf erschreckende Weise zugenommen“. Der überraschte Leser erfährt hier, daß es nicht die Muslima ist, die sich durch ihr Kopftuch von ihrer Umgebung unterscheiden, das heißt diskriminieren möchte, sondern sie durch eine intolerante deutsche Gesellschaft ausgegrenzt wird. Von „Diskriminierungserfahrungen“ weiß die Broschüre zu berichten, die unter anderem dazu führen, daß diese Frauen zu Sozialfällen werden. So behauptet die Berliner Zeitung resümierend: „Mädchen mit Kopftuch können sich kaum Hoffnung auf eine Lehrstelle machen, auch älteren Frauen werden Arbeitsplätze wegen des Kopftuches verweigert.“ Allerdings gibt die Zeitung selbst zu, daß es keine „wissenschaftliche Untersuchungen“ zu diesen Unterstellungen gibt. Denn nichts anders als Unterstellungen sind die aus Gesprächen mit Kopftuch-trägerinnen gewonnenen „Erkenntnisse“, die diese Broschüre verbreitet. Genausogut könnte man auch umgekehrt die „Vorurteile“ der deutschen Gesellschaft als „Diskriminierungserfahrungen“ betrachten. Nur gäbe es dann freilich keinen Arbeitsauftrag für die Antidiskriminierungsstelle, die dem „Neutralitätsgesetz“ entsprechend kritisch gegenübersteht: „Das Bild einer muslimischen Verkehrspolizistin, die unter ihrer Polizeimütze ein Kopftuch trägt“, ist in Berlin im Gegensatz zu London „undenkbar“, beklagen die Autoren — und vergessen zu erwähnen, daß man in London bereits überlegt, die Scharia offiziell im Zivilrecht einzuführen. In Berlin hat dagegen der Arbeitskreis „Islam und Schule“ noch einen langen Weg vor sich. So hat bereits vor seiner Veröffentlichung ein Leitfaden des Arbeitskreises für Berliner Lehrer, der den Umgang mit muslimischen Schülern regeln soll, für heftigen Streit gesorgt. Grund ist ein in dem Informationsmaterial enthaltenes Interview mit dem Imam Ferid Heider, aus dem der Tagesspiegel vorab zitiert und in dem Heider die Scharia als „allgemeingültig und zeitlich unbegrenzt“ betrachtet: „In der Schulzeit sollte man versuchen, die fünf Gebete zu verrichten“, verlangt Heider vom Islamischen Kultur- und Erziehungszentrum, für das sich nicht nur Berliner Jugendliche, sondern auch die radikale Muslimbruderschaft und der Verfassungsschutz interessieren. Fastenzeiten sollten unbedingt eingehalten werden, auch in Prüfungszeiten. Es sei „empfehlenswert, seine Kinder schon frühzeitig, etwa mit sieben Jahren, langsam auf das Fasten hinzuführen“. Bei möglichen gesundheitlichen Risiken habe er „das Gefühl, daß die Lehrer oft übertreiben“. Burhan Kesici von der Islamischen Föderation äußerte in der Handreichung immerhin Kompromißvorschläge: Ließen sich die Kinder nicht vom Fasten abhalten, dann könne man die Prüfungstermine doch so organisieren, „daß sie nicht in die Fastenzeit fallen oder zumindest in den frühen Morgenstunden stattfinden“. Eigentlich sollte der Arbeitskreis Lehrer auf die Belange von Moslemfamilien vorbereiten und Lösungsvorschläge bei Kulturkonflikten entwickeln. „Diesem Arbeitskreis kommt eine besondere Bedeutung zu, weil er nicht nur den Kontakt mit den zahlreichen Islam- und Moscheevereinen suchen und halten, sondern auch dafür sorgen soll, daß muslimische Eltern ihre Mädchen nicht vom Sport- und Schwimmunterricht abmelden“, hieß es über die Gründung in der Zeitung Parlament. Die geplante Handreichung sollte bereits im Mai veröffentlicht werden. Doch gerade der Umgang mit dem Sport- und Schwimm-unterricht sorgte immer wieder für Auseinandersetzungen. Ursprünglich nahmen sogar Frauenrechtlerinnen wie Necla Kelek und Seyran Ates am Arbeitskreis teil, die sich aber schon bald zurückzogen. Kelek begründete ihren Rücktritt damit, daß man in dem Arbeitskreis konservativen islamischen Kräften zu sehr entgegengekommen sei. Kritik an der Zusammensetzung übte auch der Abgeordnete Özcan Mutlu, der für die Grünen im Bildungsausschuß sitzt. Heider und Kesici seien „Repräsentanten des politischen Islam und haben eine Nähe zu diversen radikalen Sekten des Islam und sind für mich die Letzten, die ich in Berlin konsultieren würde. Die Blauäugigkeit des Senats schockiert mich.“ Was sich in diesem Arbeitskreis für Szenen abgespielt haben mögen, bleibt der Phantasie überlassen. Selbst Landesschulrat Hans-Jürgen Pokall, der die Interviews mit Heider und Kesici verteidigte, sprach gegenüber dem Tagesspiegel von einer „mangelhaften Kompromißbereitschaft“ und einer „sehr gering ausgeprägten Diskussionskultur“. Aber immerhin soll die Lehrerhandreichung nach neuesten Informationen bald veröffentlicht werden. Zusammen mit der Broschüre wird sie dann ausdrücken, was der Berliner Senat unter Integration versteht.
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