Ursula Besser, Stadtälteste von Berlin, vollendet an diesem Freitag ihr 90. Lebensjahr – in ungewöhnlich geistiger Frische und ungebrochenem Tatendrang, der ihren Lebensweg durch die schweren Zeiten unseres Volkes kennzeichnet und auszeichnet. Man fühlt sich an das bekannte Goethewort erinnert: „Keine Zeit und keine Macht zerstückelt, geprägte Form, die lebend sich entwickelt.“ Sie ist damit vielen Menschen zum Vorbild geworden, hat wegweisend Orientierung in Zeiten der Irrungen und Wirrungen geboten und Maßstäbe für die Bewahrung und Erneuerung geistiger und politischer Werte gesetzt. Deshalb soll an erster Stelle im Rückblick auf ein erfülltes und gesegnetes Leben herzlicher Dank ausgesprochen werden. Ursula Besser hat die entscheidende und ihr Leben bestimmende Prägung durch das vielgeschmähte, „typisch“ preußisch-protestantische Milieu ihres Elternhauses, ihres Gymnasiums und eines evangelischen Jugendkreises erhalten. Ihr Vater war hoher Polizeioffizier in der Weimarer Republik, zuletzt Personalchef der Berliner Polizei. In dieser Position ist er 1933 sehr schnell in Konflikte mit den neuen Machthabern geraten, die sich entscheidend auf die geistige und politische Entwicklung der Abiturientin auswirkten und ihre Einstellung zum Nationalsozialismus bestimmten. Mit dem Übertritt des Vaters zur Reichswehr im Jahre 1934 beruhigte sich die familiäre Situation zwar etwas, aber nicht das einmal geweckte Interesse an der Bewahrung und Verteidigung moralischer und rechtlicher Grundwerte gegenüber den Machtansprüchen ideologischer Neuordnungen in Gesellschaft und Politik. Im Gegenteil! Die Prägungen durch das Elternhaus und durch das preußisch-christliche Milieu wurden ergänzt und vertieft durch Alltagserfahrungen im nationalsozialistischen Staat, insbesonders während des Krieges, in dem ihr Mann nach kurzer Ehe gefallen ist. Aus dieser Prägung durch Herkunft und Erfahrung erklärt sich das Engagement der jungen Kriegerwitwe mit zwei kleinen Kindern für die gesellschaftliche und politische Neuordnung nach dem Zusammenbruch. Bereits 1945 trat sie in die CDU ein, weil sie überzeugt war, daß die entscheidenden Impulse für diese Neuordnung nur aus einer Rückbesinnung auf die christlich-abendländische Werteordnung kommen können. Anstoß für diese Entscheidung war das Schicksal ihres Vaters, der 1945 zunächst von den Russen inhaftiert und später in einem der berüchtigten Waldheim-Prozesse als „Militarist“ und „Reaktionär“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Zahlreiche andere Déjà-vu-Erlebnisse kamen hinzu, so vor allem bei der Neuordnung der Berliner Universität im Ostsektor, an der sie aktiv beteiligt war. Im Widerspruch zur „liberalen Großstadtpartei“ Damit begann die Entwicklung zu einer der profiliertesten bildungs- und hochschulpolitischen Persönlichkeiten West-Berlins, vornehmlich in der CDU, im Berliner Abgeordnetenhaus und den einschlägigen Gremien der Berliner Hochschulen, darüber hinaus aber auch in der evangelischen Kirche als Mitglied diverser Leitungsgremien und der Landessynode, in konservativen Vereinigungen wie der Notgemeinschaft für eine freie Universität, dem Bund Freiheit der Wissenschaft, der Berliner Autorenvereinigung, der Evangelischen Sammlung Berlin, der Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise bis hin zur Vizepräsidentschaft der Europäischen Frauenunion für Wissenschaft und Kultur. Charakteristisch für ihre vielfältigen, aber immer auf den wesentlichen Punkt konzentrierten Tätigkeiten war eine stets enge Verbindung und Verbundenheit zur vielzitierten „Basis“, die sie vor allen möglichen ideologischen Lösungen unserer Probleme bewahrte. Es bedarf keiner besonderen Erklärung, daß Ursula Besser durch ihre konsequent konservative Einstellung in zunehmendem Widerspruch zur Umorientierung der CDU zu einer „liberalen Großstadtpartei“ mit allen bekannten Konsequenzen geraten ist. Viele ihrer Warnungen und Vorschläge zur Überwindung unserer Nöte sind inzwischen durch die Wirklichkeit bestätigt worden, werden aber als neueste Erkenntnisse der politischen Klasse ausgegeben. So haben sich die Zeiten geändert und viele Menschen mit ihnen. Ursula Besser nicht, jedenfalls nicht in diesem opportunistischen Sinne. Deshalb ist sie ein glaubwürdiger Zeuge unserer bewegten Geschichte geblieben, an deren Aufarbeitung sie nach wie vor aktiv beteiligt ist, unter anderem an der Herausgabe einer umfangreichen Dokumentation zur Geschichte der Freien Universität.
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