Es sind Herbstferien in Hessen. Die Grünanlagen im Dietzenbacher Spessart-Viertel wirken gepflegt. Dietzenbach ist Kreisstadt, liegt im Einzugsgebiet von Offenbach sowie der Mainmetropole Frankfurt und zählt circa 35.000 Einwohner, rund ein Drittel davon sind Ausländer, vor allem Türken und Marokkaner. Die Verantwortlichen bemühen sich, die Spielplätze und Begrünungen um die großen Wohnblöcke des Spessart-Viertels in der Idsteiner und Laufacher Straße instand zu halten und zu pflegen. Das Viertel besteht zum Teil aus Hochhäusern aus den siebziger Jahren, in manchen von ihnen leben ausschließlich Ausländer. Der Stadtteil macht einen ordentlichen und aufgeräumten Eindruck. Zahlreiche Mütter gehen in der Herbstsonne mit ihren Kindern spazieren. Je mehr man sich jedoch einem der Hochhäuser nähert, um so mehr bekommt man einen Eindruck von den Verhältnissen innerhalb eines solchen Blocks. An der Hauswand zum Eingang grüßen verschiedene Graffiti, und an zahlreichen Balkons sind Satellitenschüsseln angebracht. Wäsche hängt auf den Balkons zum Trocknen. Die Klingelschilder am Haupteingang haben keine Namen, sondern nur vierstellige Nummern. Wer irgendwo klingeln möchte, muß erst den Namen am Briefkasten suchen und sich die dazugehörige Nummer merken. Am Eingang springt ein Aushang mit Namen von Personen ins Auge, die wegen Vandalismus Hausverbot haben. Die Innenwände der Flure hätten mal wieder einen Anstrich nötig. In einem anderen Wohnblock hängt im Eingangsbereich ein Aushang der Kriminalpolizei, die nach einem Mörder fahndet. Mitten in diesem Viertel liegt ein Kindergarten – einer von elf städtischen Kindergärten in Dietzenbach, die in der vergangenen Woche in die Schlagzeilen geraten sind. Denn die Stadtverordnetenversammlung beschloß auf Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU, Bürger für Dietzenbach/Freie Wähler mit Unterstützung der Republikaner, in den städtischen Kindergärten nur noch Deutsch als Umgangssprache zuzulassen und außerdem ein Bild des Bundespräsidenten Horst Köhler sowie eine Deutschlandfahne „an zentraler Stelle“ aufzuhängen (JF 42/06). Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Helmut Butterweck, begründete gegenüber der JUNGEN FREIHEIT die Entscheidung, Deutsch als Umgangssprache in den Kindergärten durchzusetzen, mit der Notwendigkeit, den Kindern mit Migrationshintergrund „bessere Voraussetzungen und Chancen für ihre eigene Zukunft“ zu bieten. Dafür seien ausreichende Sprachkenntnisse unabdingbar. Trotz der öffentlichen Diskussion würde er den Antrag erneut stellen, denn man wolle „verhindern, daß das die Arbeitslosen von morgen werden“. Im übrigen habe er zu über 80 Prozent Zustimmung aus der Bevölkerung erfahren. Der Bürgermeister der Stadt Dietzenbach, Stephan Gieseler (CDU), will das Thema derzeit nicht kommentieren und verwies gegenüber der JF darauf, daß er die Beschlüsse des Stadtrates nun durchsetzen müsse. Die zahlreichen Mütter, die in Dietzenbach mit ihren Kindern spazierengehen, sehen die ganze Angelegenheit gelassen. Eine Marokkanerin versteht zunächst die Frage nicht. Nachdem ihre junge Tochter sich als Dolmetscherin betätigt hat, erklärt die junge Frau in gebrochenen Deutsch, daß sie es gut fände, wenn die Kinder im Kindergarten Deutsch sprächen. Immerhin sei man doch in Deutschland, deswegen müßten „die Kinder auch die deutsche Sprache beherrschen“. Sie spreche „mit ihrer Tochter Deutsch, soweit ich es beherrsche“. Jedoch, so sagt sie nachdenklich, müsse man verstehen, daß „die Kleine“ auch Arabisch sprechen muß. Denn wenn sie nach Marokko zu ihrer Familie fahre und das Enkelkind nur Deutsch könne, würde das der Familie nicht gefallen. Zwei andere Mütter die mit ihren Kinderwagen vorbeikommen, äußern sich nicht zu dem Thema – sie verstehen kein Deutsch. Eine Türkin mit zwei Kindern im Kindergartenalter sagte dagegen, die Forderung, daß die Kinder Deutsch sprechen sollen, sei gut und schlecht zugleich. Sie sehe das alles eher kritisch, denn ihre Kinder „sollen Deutsch und Türkisch sprechen können, und nicht nur Deutsch“. „Verbot der Muttersprache
ist kontraproduktiv“ Grundsätzlich machten alle Mütter eher den Eindruck, als sei die Deutschpflicht für sie kein diskussionswürdiges Thema. Nur eine türkische Mutter gab sich kampfeslustig und fragte, warum ihr kleiner Sohn im Kindergarten denn nicht Deutsch sprechen sollte: „Warum gibt es Leute, die etwas dagegen haben? Warum sollte er denn nicht Deutsch sprechen?“ Derweil schlägt die Diskussion um Deutsch als Umgangssprache im Kindergarten weiter hohe Wellen. So kritisierte der Sprecher der hessischen SPD, Frank Steibli, den „Deutschzwang“ als „eine Kultur von vorgestern“. Die Sozialdemokraten träten zwar dafür ein, Kinder beim Erlernen der deutschen Sprache optimal zu fördern. „Zugleich die Muttersprache zu verbieten, ist kontraproduktiv“, sagte Steibli. Ministerpräsident Roland Koch (CDU) erklärte, „daß sich zwei Kinder untereinander auch weiterhin in ihrer Heimatsprache unterhalten können sollen“. Der hessische Ministerpräsident unterstützte gegenüber der Frankfurter Neuen Presse den Plan der CDU Dietzenbach. Er glaube zwar nicht, daß Deutsch als verbindliche Umgangssprache in Kindergärten, sowie die Pflicht, Nationalflagge und ein Bild des Bundespräsidenten aufzuhängen, die Lösung aller Probleme sei. „Ich glaube aber auch, daß bei den Kindern keine psychosozialen Schäden auftreten werden, wenn in Schulen und Kindergärten Symbole unseres Staates ausgestellt werden“, sagte Koch. Und er forderte, daß in den Einrichtungen „unbedingt Deutsch gesprochen werden solle, weil das den Kindern ihre sprachliche Eignung für die spätere Einschulung erheblich erleichtert“. Nicht nur zwischen den konkurrierenden Parteien wird der Dietzenbacher Beschluß kontrovers diskutiert. Auch innerhalb der CDU ist man sich uneins. Osthessische Kommunalpolitiker bezweifeln, daß das Aufhängen einer Fahne Integrationsprobleme löse. Jedoch werde auch anerkannt, daß man nicht solche Probleme habe wie in Dietzenbach. Eine Telefonumfrage der Fuldaer Zeitung brachte hier ein eindeutiges Ergebnis; 83 Prozent der Teilnehmer waren der Meinung, daß die Deutschlandfahne auch vor den Kindergärten in Ost-hessen gehißt werden sollte. Nur 17 Prozent waren dagegen, Schwarz-Rot-Gold vor den Kindergärten zu flaggen. Genau das Gegenteil weist die Internet-Umfrage des Hessischen Rundfunks aus. Bei fast 16.000 Wortmeldungen waren über 93 Prozent gegen die Deutschlandfahne und das Köhler-Bild im Kindergarten. Auf die Nachfrage, warum der Dietzenbacher Bürgermeister dem Thema „Deutsch im Kindergarten“ eher reserviert gegenübersteht, sagte der örtliche CDU-Fraktionsvorsitzende Butterweck gegenüber der JF: „Inhaltlich trägt er die Entscheidung voll mit. Er mag es nur nicht, wenn die Stadt in der Öffentlichkeit steht.“ Fotos: Das Spessart-Viertel im hessischen Dietzenbach: In einigen Blocks wohnen ausschließlich Ausländer; Kindergarten, Mutter mit ihrem Nachwuchs: „Warum gibt es Leute, die etwas dagegen haben?“